Mein Name ist Ayunherihs. Aber alle nennen mich Ayu, ich bestehe darauf und nicht anders stelle ich mir vor. Der Name, den mir unsere Baummutter gegeben hat, erinnert mich zu sehr an einen Nachtgeborenen Sylvari, welche kurz nach ihrem Erwachen dem Alptraum verfiel. Sein Name war Nherhis.
Ich erwachte im Morgengrauen, direkt als die ersten Sonnenstrahlen zögerlich über den Horizont krochen. Der Hüter, der mich als frisch erwachten Schössling empfangen wollte erwartete wohl, dass ich eine Nachtgeborene werden würde, aber mein Erwachen verzögerte sich. Ich wollte nicht erwachen.
Der Traum der Träume, in dem ich eine Vorstellung von der Welt bekam, zeigte mir Dinge … verschwommene, aber auch deutliche Schatten. Schmerz, Gewalt, Schreie… und etwas Riesiges mit gewaltigen Flügeln direkt über unseren Köpfen. Ich bekam solche Angst vor der Welt da draußen, dass ich mich weigerte, diese zu betreten. Doch die Natur ist gnadenlos. Natürlich erwachte ich, aber nicht in der Nacht, sondern im Morgengrauen.
Das Erste, was ich sah, waren Sonnenstrahlen, die unaufhaltsam die Dunkelheit der Nacht vertrieben, das Erste, was ich hörte, war die freundliche Stimme eines Hüters. Er wollte mich willkommen heißen, aber ehe er seinen Satz zu Ende sprechen konnte, war ich schon fort.
In blinder Angst rannte ich davon, fort von den verdutzten Gesichtern, weg von diesen Stimmen. Ich rannte und rannte, über Wurzeln tiefer hinab in den Hain, bis ich eine ruhige Lichtung fand. Keuchend blieb ich dort stehen und musste erst einmal zu Atem kommen. Als ich mich beruhigt hatte, schaute ich mich gründlich um. Hier war niemand zu sehen, keine Stimmen waren zu hören, nur das zwitschern entfernter Vögel und das Rauschen eines Wasserfalls in der Nähe. Ich setzte mich hin und genoss diese Ruhe. Doch sie währte nur kurz. Ich hörte, wie sich Schritte meiner kleinen Oase näherten und panisch suchte ich nach einem Versteck. Ich hastete hinter ein Gebüsch und versuchte, mich klein und unsichtbar zu machen.
Ein Schatten betrat die Lichtung und stellte sich als ein weiterer Sylvari heraus, jedoch nicht der, der mich empfangen wollte. Er schaut sich kurz um und stellte wohl zufrieden fest, dass sonst niemand hier zu sein schien. Anscheinend hat er mich nicht bemerkt und auch nicht nach mir gesucht. Ich entspannte mich etwas, doch mein Herz klopfte wie wild. Vor Angst. Die Bilder in meinem Traum waren mittlerweile verblasst, doch die Schreie hallten immer noch in meinem Kopf.
Eine Weile beobachtete ich den Sylvari, der nur wenige Schritte von mir entfernt saß und … nichts tat. Er hatte die Augen geschlossen und seufzte hin und wieder. Ob er sich hier genauso wie ich versteckte?
Kurz darauf erschien noch eine Sylvari und langsam kam mir der Verdacht, dass dieses Versteck nicht so geheim war, wie ich anfangs vermutete.
„Du sitzt ja schon wieder alleine hier unten. Immer wenn ich dich suche, hast du dich hier verkrümelt. Kein Wunder, dass dich alle seltsam finden.“
„Was soll ich sagen, mein Liebling? Hier kann ich nun mal am besten entspannen. Hin und wieder brauche ich etwas Ruhe. Bist du hier, um mich zu holen?“
„Nein, dich nicht. Aber eine andere verwirrte Seele hockt ebenfalls hier unten.“ Mit diesen Worten fixierte sie genau das Gebüsch, hinter dem ich mich versteckt hielt. Panisch hielt ich schon nach einem Fluchtweg Ausschau, doch sie kam nicht näher, bewegte sich nicht. Sie sprach mit sanfter Stimme weiter, während der andere mein Versteck verwirrt musterte.
Ich weiß nicht mehr, was sie alles zu mir sagte und wie lange sich sachte auf mich einredete, aber ich lief nicht davon. Mit unendlicher Geduld lockte sie mich hervor und nahm mir die ersten Ängste vor meinesgleichen. Sie erklärte mir sanft die Welt, dass nicht alles so schrecklich wäre, wie mir der Traum einzureden versuchte. Ich wollte ihr glauben, aber hatte große Angst davor, es auf die Probe zu stellen.
Lange Zeit waren sie und die Hüterin, die alle Schösslinge betreute, die einzigen, die überhaupt mit mir reden konnten. Vor allen anderen lief ich davon. Während ich mich also stets vor allen verbarg, erkundete ich so ungesehen den Hain. Ich beobachtete aus dem Schatten, was alles um mich herum geschieht. So lernte ich, dass es wirklich freundliche und sanfte Wesen gibt. Aber ich hörte auch andere Geschichten. Vom Alptraumhof, Untoten und … Drachen. Mein Mentor erklärte mir, dass es meine Bestimmung sei, gegen dieses Ungeheuer zu kämpfen. Eine Woche lang hatte lang hatte mich niemand auffinden können.
Die Zeit verging und mit viel Geduld wurde ich schließlich in das Leben im Hain integriert. Man gab mir eine Aufgabe – ich sollte mich um die Pflanzen kümmern – und baute somit das Fundament für mein Selbstbewusstsein auf. Pflanzen waren mir ganz recht. Sie taten nichts Unvorhergesehenes oder… Böses. Nach ein paar Jahren beschloss man, mich zur Farnhund-Ausbildung zu schicken. Ich sollte meine Angst vor anderen Lebewesen überwinden, vor allem solchen mit Klauen und Zähnen. Aber diese Welpen schloss ich bald ins Herz. Es waren Tiere, sehr freundliche und kluge Wesen. Aber ich lernte, dass diese auch zubeißen konnten und wie man mit ihnen umzugehen hatte.
Ungefähr zu dieser Zeit begann man auch über eine Profession für mich nachzudenken. Hier war der Weg des Diebes naheliegend. Ich war bereits sehr gut darin, unsichtbar zu sein und schnell wie der Wind war ich auch. Doch bei den Übungen brachte ich meine Ausbilder zur Verzweiflung. Was ich bereits beherrschte, brauchte kaum noch verbessert werden, aber Übungen mit Waffen verweigerte ich. Ich sah keinen Sinn darin, tote oder lebende Dinge anzugreifen. Ich solle mich verteidigen können, sagte man mir, aber dann erwiderte ich stets, dass mich keiner angreifen kann, der mich nicht findet.
Diese Diskussion wurde immer und immer wieder geführt, ohne dass sich mein Standpunkt änderte.
Doch man fand, dass ich so kaum einen Alt-Drachen bekämpfen könne. Also änderte man die Taktik.
Was damals passierte, lässt mir auch heute stets einen Schauer über den Rücken laufen, wann immer ich daran denke.
Eines Tages überredete mich Draceno – mit dem ich mich angefreundet hatte, da wir beide gemeinsam mit großem Eifer Farnhunde ausbildeten – zu einem Ausflug ins Dorf Astorea. Wir kamen dort nie an.
Auf dem Weg dorthin griff uns eine Gruppe Alptraumhöflinge an. Natürlich hechtete ich ohne nachzudenken ins nächstgelegene Versteck. Ich wusste, dass Draceno ein guter Bogenschütze war und sich verteidigen konnte, doch irgendetwas lief schief. Seine Angriffe wirkten halbherzig und seine Verteidigungsversuche nur schwach. Kurze Zeit später wurde er gefangen genommen. Doch das genügte den Höflingen nicht. Mich wollten sie auch, aber sie konnten mich nicht finden. Panisch kroch ich langsam fort. Ich konnte nichts tun - ich war viel zu verängstigt. Aber sie ließen mich nicht gehen. Sie riefen mir zu, dass mein Begleiter sterben würde, wenn ich nicht aus meinem Versteck komme. Und tatsächlich – als ich einen Blick riskierte, sah ich, dass sie ihm einen Dolch an die Kehle hielten. Auch Dracenos Blick war nun Starr vor Angst. Als in meinem Kopf urplötzlich Bilder möglicher Folgen aufstiegen sah, ich nur noch rot.
Ohne auch nur einen Herzschlag darüber nachzudenken, sprang ich aus meinem Versteck hervor, umrundete die Gruppe Höflinge und schnappte mir einen ihrer Dolche. Das Blut rauschte mir in den Ohren und ich nahm nichts weiter war, außer meinem Ziel – mein Opfer. Schneller als das Auge sehen kann, schnitt ich dem ersten Höfling die Kehle durch, wodurch er nicht starb, aber außer Gefecht gesetzt wurde. Zwei weiteren schlug ich jeweils eine Hand ab, die daraufhin flüchteten. Den vierten, der Draceno festhielt und verdutzt um sich schaute, sprang ich auf den Rücken und riss ihn somit zu Boden. Wie ihm Wahn hackte ich meinen Dolch wieder und wieder auf ihn ein, womit auch sein Wachstumspunkt zerfetzt wurde.
Die ganze Aktion dauerte nur wenige Augenblicke, als noch eine Gruppe Höflinge aus dem Unterholz preschte. Doch diese blieben bei meinem Anblick erschrocken stehen. Immer noch hackte ich auf mein Opfer ein, Tränen liefen mir dabei unentwegt über das Gesicht und mein ganzer Körper war von dem goldenen Lebenssaft jenes Sylvari bedeckt, der leblos unter mir lag.
Die Höflinge griffen mich nicht an, denn es stellte sich heraus, dass es eine Gruppe Hainhüter war, die sich verkleidet hatten. Sie wollten in einem gespielten Szenario Draceno und mich überfallen, um mir zu zeigen, dass ich in der Lage sein muss, andere verteidigen zu können.
Es war… gut, dass ihnen echte Höflinge zuvorgekommen sind.
Fortan nahm ich meine Ausbildung ernst, blieb aber bei meinem Standpunkt, niemals jemanden anzugreifen, solange es abwendbar war. Ich verabscheue Gewalt und seither hoffe ich, dass dieses dunkle Ich niemals wieder zum Vorschein kommt.
Acht Jahre sind seit meinem Erwachen vergangen und einer der Alt-Drachen – Zhaitan – wurde bereits vernichtet. Dies gibt mir Hoffnung. Alt-Drachen kann man besiegen. Und nun wird es Zeit, meinen Beitrag dazu zu leisten.
Morgen mache ich mich auf zur Abtei Durmand, in der Hoffnung, dort alles lernen zu können, was man im Kampf gegen diese Bestien braucht.