Vorsehung I

"Du musst Geduld haben. Auf den richtigen Moment warten. Dann zuschlagen."

Katla knurrte leise. Sie wollte keine Geduld haben. Sie wollte jetzt zuschlagen, die Sache hinter sich bringen. Vor allem wollte sie aus diesem verdammten Wasser heraus, bevor ihr die Zehen abfroren. Bis zu den Knien stand die junge Norn im kühlen - nein, im eiskalten Nass eines Bergbachs, der an dieser flachen Stelle schnell floss, lebhaft plätscherte und gegen ihre Beine drückte. Er war glasklar, und sie könnte die vielen, durch das beständige Einwirken des Wassers flach und glatt gewordenen Steine erkennen, die auf seinem Grund lagen... Diese Steine waren jedoch nicht der Grund für ihr Kommen gewesen.

Außer ihnen war der Bach noch mit etwas anderem gefüllt: Graue Schemen, die durch das Gewässer huschten, unzählige von ihnen, auf dem Weg zu ihren Laichgründen. Lachse. Manche von ihnen waren so lang wie ihr Unterarm, andere noch größer. Flink glitten sie unter der Wasseroberfläche dahin, vermieden dabei Geäst und andere Hindernisse, die ihnen im Weg waren - und sie. Mit einem frustrierten Schnauben schüttelte Katla ihre Hand, die noch nass von ihrem gerade gescheiterten Versuch, einen der Fische direkt aus dem Bach zu schnappen, war.

Sie ließ ihren Blick zum Ufer wandern, wo ihr Onkel und Mentor mit verschränkten Armen und ernster Miene stand. Er war es gewesen, der sie an diesen Ort gebracht hatte. Er war es auch gewesen, der ihr vorgemacht hatte, was zu tun war. Die Früchte seines Erfolgs lagen in Form eines großen, leblosen Fischs auf einem Felsen neben ihm. Er hatte darauf bestanden, dass sie es ihm gleichtäte, obwohl sie sich eigentlich sicher war, dass sein Fang als Mahlzeit für sie beide genügen würde.

Tatsächlich waren sie nicht die einzigen, die dieser Überfluss an Nahrung, die nur darum bettelte, erbeutet zu werden, angelockt hatte. Sowohl Flussauf- als auch Abwärts tummelten sich Bären im und um den Bach herum. Sie zählte ein halbes Dutzend, die weder ihnen, noch sich untereinander viel Beachtung schenkten. Das Essensangebot war so reichlich, dass es für sie keinen Grund gab, seinetwegen in Konflikt miteinander zu treten. Alles in allem hatte die Szene etwas harmonisches an sich. Unter den Wipfeln der Nadelbäume, die sich sanft im Wind wiegten, schienen sowohl die Bären als auch die beiden Norn einem natürlichen Ablauf zu folgen, als nähmen sie alle an einem gemeinsamen Ritual teil. Sie konnte es sich nicht erklären, doch sie spürte eine Verbundenheit zu den Tieren. Nun, je länger sie darüber nachdachte, desto eher konnte sie es sich eigentlich doch erklären. Sie -

"Katla. Konzentration."

Ja, ja. Konzentration. Sie wandte sich wieder dem plätschernden Wasser zu, zwang sich, langsam und kontrolliert zu atmen. Ihre Füße gruben sich zwischen den Kies auf dem Grund, als sie ihren Stand festigte, ihren Oberkörper langsam hinab zur Oberfläche des rapide dahinrauschenden, kühlen Nass' bewegte. Die Fische mit bloßem Auge zu verfolgen, war schwierig, einen von ihnen aus der Bewegung heraus zu schnappen, würde beinahe unmöglich sein.

Und doch gelang es den Bären. Was taten diese, was sie nicht tat? Worin bestand ihr Trick? Sie schielte zu einem der Tiere hinüber, beobachtete dessen Jagdverhalten, und kam sich plötzlich ziemlich dumm vor. Natürlich! Wieso war sie nicht früher darauf gekommen?

Unter dem wachsamen, einäugigen Blick des älteren Norn watete sie an eine andere Stelle. Sie befand sich nun kurz hinter einer Stromschnelle, wo das Wasser ein kurzes Stück abfiel, nachdem es über eine Ansammlung größerer Felsen hinwegschoss. Einige der Lachse waren schlau genug, diese Stelle zu meiden, andere fielen der tückischen Stelle zum Opfer und waren gezwungen, einen Sprung aus dem Wasser zu wagen, wild zappelnd durch die Luft zu segeln, geradewegs in die wartenden Mäuler der Bären - oder, wie im Falle dieses schuppigen Gesellen, Katlas Hände.

"Ha! Hab' ich dich!" Die unangenehme Kälte, die die Haut ihrer Beine erst hatte brennen, nun langsam taub werden lassen, war für einen Moment lang wie vergessen, als sie ihren stolzen Fang - einen gewaltigen, wohlgenährten Lachs, dessen kräftige Schwanzflosse nun vergeblich durch die Luft schlug - in die Höhe reckte. Triumphierend stand sie dort, bleckte die Zähne in einem breiten Grinsen und ließ das Wasser, welches vom zappelnden Körper des Fischs durch die Luft abperlte und durch die Luft geschleudert wurde, auf ihr Gesicht niederprasseln. Einer der Bären in ihrer Nähe hob den Kopf und brummte auf, sicherlich bloß eine Reaktion auf ihren Aufschrei, doch sie entschied sich, den Laut als ein kollegiales Lob unter Fischfängern zu interpretieren.

"Gut gemacht. Nun bring ihn her," gab auch ihr Onkel zu verlauten. Seine Miene zeigte selten eine Regung, doch sie kannte ihn mittlerweile gut genug, um selbst die kleinen Veränderungen in seiner sonst so stoischen Fassade zu deuten und wusste, dass das kaum merkliche Hervortreten der Falten am Rande seines Auges einem Lächeln gleichzusetzen war.


- Fortsetzung folgt! -

Kommentare 1