Hoffnung (C. Sherbrook)

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Es war mitten in der Nacht. Das Aufschlagen des Zelteingangs klang wie der Knall eines Gewehrschusses, als zwei Ebon-Vorhut-Soldaten in das Innere des Zeltraumes drangen. Sie trugen einen Dritten mit sich, oder das, was von ihm übrig war, auf einer Liege aufgebahrt.
Die kalte Luft weckte die Priesterin ebenso wie der beißende Gestank, der sofort den kleinen, lederumspannten Raum des Lazarett erfüllte. Sechs Pritschen fanden sich im Innenraum. Zwei waren schon mit stöhnenden Körpern belegt. Eine bezog sie. Die Heilerin. Müde tastete sie nach der Brille,welche sie auf eine Kiste neben der weißen Pritsche gebettet hatte. Blind fingerten die Kuppen am kleinen Eisenrädchen der Öllampe herum und entfachten den Docht erneut, ehe sich die klaren, blauen Augen den Eindringlingen zuwandten.
Schwer bleckte der Atem aus den Lungen der Soldaten. Voll gerüstet, konnte sie die Gesichter der Männer nicht erkennen, nur das Weiße in ihren angstgeweiteten Augen. Sie erkannte, dass einer der Beiden noch schrecklich jung war. „Priesterin Sherbrook...“ Die Stimme des Älteren bebte. Die Blonde erhob sich aus dem spärlichen Nachtlager und rückte das Brillengestell zurecht. „Kommt, legt ihn hin.“, befahl sie in ihrem gewohnt ruhigen, aber strengen Tonfall, während sie dabei half den Körper des Verletzten auf die nächstliegende Pritsche zu heben. Ein dunkles Stöhnen quoll dabei aus den Lungen des Ohnmächtigen.
Die Plane des Zeltes stand noch immer offen und enthüllte einen schalgrauen Himmel. Durchzogen von dicken Wolken, in der Farbe von Eiter und giftigem Grün. Sie waren nahe des Brandes. Fast zu nahe. Näher als sich viele Truppen der Ebonvorhut wagten. Man nannte diesen Ort Todesfalle und man spekulierte darüber ob man die Zelte nicht abreißen sollte. Nach dem letzten, erfolglosen Spähtrupp gen Brand war diese Option sogar sehr wahrscheinlich. Viele der tapferen Soldaten die mit Cathlyn hierher gekommen waren, würden niemals wieder nach Hause zurück kehren. Ihre Asche hatte der Wind mit sich gerissen und über die geschmolzenen Weiten verteilt. Andere hatten nicht so viel Glück und ihre Körper waren noch irgendwo dort draußen, vielleicht für immer verloren.
Das spielte für Sherbrook jedoch im Moment keine Rolle, sie beugte sich über den Verwundeten und schon der Anblick der Rüstung, die sich nach innen gebogen hatte und wohl alle Organe des Mannes schmerzlich zerquetscht hatte, fällte sein Urteil.
Sie zog in sanfter Manier den verbogenen Helm von seinem Kopf und strich dem Soldaten durch das Haar. Er war jünger als sie. Hübsch von Angesicht. Bestimmt hatte er im Falken ein Mädchen welches auf ihn wartete. „Ist noch jemand verletzt?“, sprach sie gedämpft zu den beiden anderen Soldaten. Doch diese schüttelten den Kopf. „Gut, dann geht hinaus. An den Feuern gibt es noch etwas zu essen und meine Novizin müsste dort sein. Sagt sie soll euch etwas vorsingen.“ Auf die schiefen Blicke der Männer lächelte Cathlyn amüsiert. „Sie hat eine schöne Singstimme. Sie vermag einen über die Wolken zu tragen. Möge Dwayna euch heute Nacht Schlaf gewähren. Schließt bitte die Zeltplane hinter euch. Dieser Himmel ist eine Zumutung...“
Man tat, was man ihnen sagte, ehe sich die Priesterin wieder dem Verletzten zuwandte.
Er war wach. Sie sah in warme, tiefbraune Augen, in denen Schalk blitzte und tiefer, tödlicher Schmerz. Er versuchte etwas zu sagen und Blut drang in kleinen Bläschen aus seinem Mund und aus seiner Nase. Er stöhnte, als verlachte er sich selbst und seine Schwäche.
„Wie ist euer Name, Soldat?“, fragte Cathlyn leise, darum bemüht so viel zu erfahren wie es möglich war. Nebenbei stach eine kleine Nadel in sein Fleisch am Hals und eine gefährliche, süchtig machende Flüssigkeit linderte die Schmerzen für wenige Augenblick um ein Mindestmaß. Er lächelte sie an und die metallumspannte Pranke bettete sich auf die Ihre, welche an seiner Brust ruhte. Ihr Blick schwebte in den Seinen zurück. „Hendrick Glimmholz.“, drang es stockend und hustend über seine Lippen. Sein Blick flirrte umher. „M-mein Schwert?“ Cathlyn sah auf und blickte sich um. Bedauern trat in ihre Züge. „Es war nicht mehr bei euch. Es ist verloren.“ Er schnaufte, schluckte hart und nochmals und nochmals. Schluckte das Blut in seiner Kehle hinab. „Schade.“ Wieder ein schiefes Lächeln auf warmen, charismatischen Zügen die von Blut und Pein verzerrt waren. „Gibt es etwas... was ihr mir sagen wollt. Jemanden, der auf Nachricht wartet?“ Er schüttelte nur den Kopf. Später erfuhr sie, dass er eine Waise war. Und die Ebon-Vorhut war die einzige Möglichkeit gewesen noch etwas aus sich zu machen. Sein Mädchen hatte ihn fast einen Monat vor seinem Auszug für einen Anderen verlassen für den sie mit nach Götterfels ist.
Es gab niemanden, welcher um ihn weinte. Außer seine Kameraden. Er hatte das bezauberndste Lächeln, welches Cathlyn in ihrem ganzen Leben an einem Mann gesehen hatte. Sie hielt seine Hand und strich ihm über das Haar. Bis er endgültig eingeschlafen war.
Im Morgengrauen des darauffolgenden Tages, verbrannten sie Hendrick und die weiteren Kumpanen, die man aus dem kristallinen Pfuhl gezerrt hatte und die es nicht geschafft hatten. Morgen würden sie alle Zelte abbrechen, dieses Lager aufgeben und sich mehr ins Landesinnere zurück ziehen.


„Möge die trauernde Mutter über ihre Kinder wachen. Möge sie Liebe und Hoffnung in dunkelster Stunde all denen spenden, die glauben zu verzagen. Möge sie auch jene in ihre warmen Arme schließen, welche wir verloren haben und sie sicher führen, bis sie ihren Platz im Reich des Stillen und Wahrhaftigen einnehmen. Möge sie den Trauernden Kraft spenden und Tränen trocken. So möge sie heilend ihre Hände über die blutenden Herzen jener betten, welche zurück gelassen wurden. Eines Tages werden wir euch wieder sehen. Wartet auf uns in Grenth Reich.


Dwayna, große Mutter. Schwer sind die Tage und schwarz die Nächte. Weise uns den Weg. Deine Tugenden sollen uns Leuchtfeuer in der Finsternis sein. Vergib uns, dass wir nicht jeden Schmerz, nicht jeden Hass nicht jeden sinnlosen Tod abwenden können. Leite uns auch in Zukunft. Verzage nicht, so dass wir auch nicht verzagen mögen.“


Cathlyn Sherbrook harrte vor jenem Flammenmeer, bis die letzte Glut erloschen war. Wind kam auf und verwandelte die Asche in Schnee. In fallende, wirbelnde Tränen einer Gottheit, die schwieg. Was nicht bedeutete, dass sie nicht sah. Und dass sie nicht fühlte.
Wie fiel Pein konnte ein einziger Mensch ertragen? Cathlyn schloss die Augen und schluckte schwer, ehe sie sich abwandte und dann gen Feuer trat, sich zu den Männern setzte.
„Ist da noch Platz für mich? Oh, das sieht köstlich aus. Lilietta hast du dies gekocht? Wirklich grandios. Hei da, schau nicht so grimmig.“ Man klopfte einem der Soldaten lachend auf den Schenkel. „Habt ihr den schon gehört...“
Die Stimme ging in einem Windflüstern und lautem Männergelächter unter. Lily huschte scheu und ängstlich durch die Reihen, hielt sich nahe der Priesterin die lachte, scherzte, kokettierte und breitbeinig auf einem Holzstumpf anzügliche Witze riss.
Was blieb ihnen auch sonst übrig in dunkelster Stunde?
Nur die Hoffnung.



"Wer die Klinge beim Griff ins Dunkel nicht erwartet, den schneidet sie umso tiefer!"


"If you think that this has a happy ending, you haven't been paying attention"

Kommentare 1

  • Gut geschrieben, bewegend und angenehm zu lesen. Gibt einem einen tieferen Einblick in den Charakter, warum sie ist, wie sie ist.