"Du hättest mich sterben lassen können...warum hast du es nicht getan?"
Eine gute Frage die er stellte und ehrlich gesagt wusste ich es nicht. Ich zögerte die Antwort hinaus, während mein müder Blick die ausgefransten Gardinen abstrich. Verrauchtes Weiß mit Graustich, punktgenau gelöchert von einer viel zu begabten Häkelhand.
Ich hasste diese Gardinen.
"Warum sitzt du jetzt hier an meinem Bett und fragst mich das?"
"weiche meiner Frage nicht aus Leza!"
Ich schnaubte. Es war dieser typische Laut der mir mittlerweile viel zu häufig entfuhr, wann immer der kleine Frust oder Ärger nach mir griff. Nichts an ihm erinnerte an eine feine Dame die ich sein sollte, noch die Würde die ich zeigen sollte. Ich war nichts davon- keine Dame, keine Würdenträgerin. Zum Verdruss so einiger, vor allem meinem Orden. Ja, ich wich der Frage von Frederick aus und beruhigte mich mit der scheinheiligen Lüge, dass man es von mir erwartete. Wenn man meinen Namen aussprach, war da nur selten Freude im Klang, oder irgendwas liebliches. Die meiste Zeit schwang da Groll, Ärger oder Frustration mit und genau das wollte ich doch immer. Warum also störte es mich heute? Warum störte es mich, dass Frederick meinen Namen so frustriert aussprach? Noch ehe dieser kleine, untersetzte Mann mit seinem vorquillenden Bauchansatz der den Gürtel unter sich begrub neu ansetzen konnte, hörte ich mich auch schon selbst seufzen. Fahrig griff ich hoch hinauf in meine Haare, die widerlich lang geworden waren. Fast schon damenhaft, mit den feinen Locken darin, die neuerdings jeden Tag von Emma gebürstet wurden. Ein gutes Mädchen, nur leider fürchterlich dumm...einer der Gründe warum sie hier in der Anstalt fest saß. Eigentlich hätte ich sie Emma gerne schneiden lassen, aber die Wahrscheinlichkeit das sie vom Haar zum Hals wechselte, war leider viel zu hoch und ich mochte meinen Hals- eins der wenigen repräsentativen Dinge an mir, die ich gerne betonte. Vorzugsweise mit einem hohen Kragen. Wollte mein Orden nicht immer was 'adrettes'?
"Du nervst mich Frederick. Hast du nicht eine Hure zu besteigen, dich mit einem zweifelhaften Spieler anzulegen und dich von ihm über den Tisch ziehen zu lassen, damit ich es bereue dir geholfen zu haben, weil du nicht draus gelernt hast?" Die Worte saßen, aber wie! Ich konnte förmlich hören wie dieses kleine Konstrukt an Dankbarkeit unter meinen Worten wie unter einer Lawine zertrümmert und weg gefegt wurde. Nur einen ganz kleinen Augenblick lang erwischte ich mich dabei, wie es mir sogar fast leid tat. Eigentlich konnte er ja nicht mal was dafür, er war einfach zu gutgläubig. Ein kleines, beschissenes Wiesel, aber auch viel zu gutgläubig für die Arbeit. Eigentlich hätte ich nett sein sollen zu ihm, aber mir war nicht nach nett sein. Am liebsten hätte ich ihn hier und jetzt mit dieser verdammte Gardine erhängt und damit am Querbalken aufgehängt, dummerweise war ich einfach nicht kräftig genug dafür.
"was ist nur aus dir geworden Leza? Früher..." aprubt hob ich die Hand und es reichte ihm den ausgestreckten Zeigefinger in stummer Anklage vors Gesicht zu halten, damit er inne hielt. Doch das genügte mir nicht, jetzt wo diese kleine Lawine in mir los brach und heuchlerische Ruhe zermalmte. Sie tat es mit Genuss, dass spürte ich, weil ich mal wieder viel zu lange die Augen vor dem Schmerz verschlossen hatte. Vor der Wahrheit, mit der er mich gerade konfrontieren wollte. "Halt's Maul Frederick, in Ordnung? Heute ist nicht früher. Heute ist ein beschissener Tag. Heute ist ein Tag wie jeder andere auch. Heute ist irgendwo da draußen irgendein namenloser Trottel gestorben und du nicht, also kneif die Backen zusammen, freu dich nicht an seiner Stelle zu liegen und geh mir nicht auf den Senkel. Ich bin beschäftigt." Das war zuviel, dass wusste ich noch in dem Moment, wo die Worte aus mir heraus sprudelten und ihm seine Angriffsfläche boten.
Dieses mal schnaubte Fredi und ich wusste zu gut, dass dieser Laut bei ihm nur der Vorbote eines langen Monologs war. Ich hatte an seinem Stolz gekratzt, weil ich ihn unterbrochen hatte. Er hasste es damals schon, wie wahrscheinlich war es nun, dass diese Macke sich über die letzten Jahre verstärkt hatte? Er erhob sich von der Bettkante und richtete sich langsam zu seiner vollen Größe auf. Mit gerade mal einen Meter siebzig gehörte Frederik Lauental nicht gerade zu den imposantesten Männern und auch von der Statur her konnte er dem Auge nicht schmeicheln. Dennoch schaffte er schon mit den kleinsten Gesten das Gefühlsleben seines nahen Umfeldes zu beeinflussen und das war eine Gabe, um die er leider wusste. Genau das war es, was diesen kleinen, unscheinbaren Mann am Ende so gefährlich machte und unter anderem dazu führte, dass wir über Jahre hinweg diesen kleinen Krieg gefochten hatten. Er erhob sich einfach nur und weckte mit dieser kleinen Regung dieses widerliche Gefühl, neben ihm klein zu sein und völlig zu Recht im Bett zu liegen. Verletzt. Er schaffte es, dass man sich schuldig fühlte, obwohl er es nicht aussprach. Nur dieses kleine recken des mittlerweile angesetzten Doppelkinns, was früher mal so trotzig wirkte und jetzt mit der Erfahrung eines Mannes in den Vierzigern umgesetzt wurde."Früher..." setzte er dort an, wo ich ihn unterbrochen hatte und ich seufzte. Ich wollte es nicht hören, aber wie ein trotziges Kind die Hände auf die Ohren zu pressen und einen Kinderreim schief zu quietschen bis er die Augen verdrehte, war selbst unter meiner Würde. Ja tatsächlich, ich appellierte an ein bisschen Restwürde das ich besaß und ihm nun nicht in den Rachen werfen wollte, weil er damit gewonnen hätte und das wussten wir beide. Also stellte ich mich, straffte die schmalen Schultern und die kümmerlicher Haltung die mir die Verbände um den Oberkörper erlaubten, damit er weiter reden konnte.
"Früher warst du mal so Stolz. Auf alles. Und hübsch...du warst verdammt hübsch Leza. Ich war richtig neidisch auf Marius, weil er dich bekommen hat."
"Ihr habt ihn ins Kloster gesteckt." konterte ich, um seiner heuchlerischen Schleimerei etwas entgegen zu setzen, doch meine stimme versagte. Sie klang brüchig, weil er seinen Namen in den Mund genommen hatte.
Frederik hatte mich entwaffnet und er wusste es. Kleiner Bastard.
"du gibst dir Schuld, oder?" die bis eben noch so penetrant kratzige Stimme eines kleinen Mannes der stets großes angestrebt hatte und nie erreichte, gewann an seltsamer Wärme, Fürsorge...Mitleid. Er hatte Mitleid mit mir und das schnürte mir die Kehle zu. Das erste mal seid er ins Zimmer gekommen war, löste ich den Blick von der Gardine und sah ihn endlich an, wagte es sogar diesem verkniffenen Wieselblick zu begegnen, der meinem so erschreckend ähnlich war- wenn auch die müde Note darin fehlte. Der kleine Schmerz über einen großen Verlust, den sah ich darin, aber nicht meine Müdigkeit. Ich ließ zu das er in meinem Gesicht las und alles daraus saugte, was er für sein Urteil brauchte und Frederick ließ sich Zeit damit. Was auch immer in seinem Kopf vorging, er zeigte es nicht.
Nach einer gefühlten kleinen Ewigkeit sank er neben mir am Bett in die Hocke. Eine Haltung die ihm überhaupt nicht schmeichelte und seine Gelenke dankten es ihm ebenso wenig, so wie sie protestierend knackten und knirschten. Waren wir wirklich schon so alt geworden?
"du hättest alles für ihn getan was du konntest, nicht wahr?" der Knoten in meinem Hals verstärkte sich, denn die Richtung in die seine Worte deuteten gefiel mir überhaupt nicht. Ohne es zu merken verkrampften meine Fingern in der Decke, die bis eben noch regungslos auf dem Schoß geruht hatten. Ich spürte es nur dumpf dank der Medikamente die fast jegliches Gefühl aus dem Leib vertrieben hatten und selbst das war eine Lüge- ich erkannte es schlicht an der kleinen Regung der dünnen Decke die mit dem krallen mehr spannte und höher zum Bauch gezogen wurde.
Ich weiss nicht mal ob ich nickte auf seine Frage hin, denn ein Wort brachte ich nicht raus. Selbst wenn ich wollte- ich konnte es nicht. Es fühlte sich wie früher an, wo man so klein, jung und verletzlich war. Wo jemand älteres einen gerade belehrte für einen Fehler den man begann. Einen, von dem man wusste und wo jede Ausrede zu spät war. Hier und jetzt, fehlte mir die Raffinesse für eine kluge, nervige Erwiderung, die alles wieder zerstreute und die Lust an der Konversation mit mir nahm. Ich war verdammt gut darin, wirklich- doch es ging nicht. Der kleine Mann hatte mich in meiner eigenen Meisterdisziplin geschlagen und meine Achillesferseschamlos ausgenutzt. Ich konnte nicht weglaufen und lügen gerade sowieso nicht.
Ich hasste ihn!
"Es tut mir leid Leza...alles. Du hättest allen Grund gehabt mich heute liegen lassen zu können und stattdessen kassierst du noch meine Strafe...wie konnten wir so dumm sein." Ich hatte mich geirrt. Er war nicht gutgläubig, oder er hatte mittlerweile gelernt sich dahinter gut zu verstecken, damit niemand sah was für ein wacher Verstand dahinter saß. Sein Bild verschwamm langsam in meinem ohnehin schon verwaschenen Sichtfeld, weil mir die Tränen aufstiegen. Ich wollte nicht weinen, wollte nicht hören, was vor über zehn Jahren fällig gewesen wäre. Ich hasste es und dennoch verriet mein Körper mich aufs neue. Sicherlich bot ich ein fürcherlich jämmerliches Bild, aber das schreckte Frederick nicht ab. Nein, stattdessen mischte sich zu dem Mitleid in seinem Blick nun auch noch Reue, als er nach meinen Händen tastete und sie zwischen seinen Wurstfingern einfing. Passend zu seinem Blick, erwiesen sich auch seine Hände als ausgesprochen warm und schwitzten den Stress aus, den er ansonsten gut zu verbergen wusste. "hör auf..." es war meine Stimme die so erstickt und jämmerlich erklang und viel bittender als sie sollte. Bettelnd, obwohl ich ihn anschreien wollte. "hör auf Fred..." ich bettelte, blieb aber scheinbar ungehört, denn nun begann er mit den rauen Daumenkuppen sanft über meinen Handrücken zu streicheln. Er wollte mich besänftigen, beruhigen. Er wollte das alles gut wird in diesem Moment, aber es war nichts gut. Dennoch tat ich ihm den Gefallen und ließ mich auf die kleine Lüge ein, wie mein tiefer Atemzug verriet.
"Vergib uns Leza. Und wenn nicht uns, dann dir selbst. Marius würde nicht wollen das du dich so gehen lässt." Mistkerl! Ich hörte mich selbst leise schluchzen unter seinen Worten und konnte nichts dagegen tun. Sie trafen genau ins Schwarze und zogen den Vorhang von der bitteren Wahrheit, die mich wie ein lauernder Schatten verfolgt hatte. Oh ich war gut darin gewesen nicht über die Schulter zu ihr schauen, weil ich wusste was dann passiert wäre.
Das hier.
"ssh....shhh ist gut Leza." Er beugte sich mehr zu mir, schloss mich in seine schwachen Arme und hielt mich fest, weil er wusste das ich nun vollends einbrach und mich ergab. Sogar über das Haar streichelte er mir, als wäre ich das kleine Kind das gerade weinend aus dem Schlaf hoch geschreckt war und zu den Eltern ins Bett gekrochen, damit sie den bösen Alptraum unter dem Bett vertrieben.
Und das schlimmste- es tat gut.
"Werd wieder gesund Lezchen...schlaf ein bisschen, komm zur Ruhe und wenn du wieder aufstehen kannst, gehen wir zu seinem Grab und entschuldigen uns." Nur schwach nickte ich und es reichte gerade so dafür aus, dass meine Stirn fahrig etwas mehr an seine Schulter drückte, damit er wusste das ich ihm überhaupt noch zuhörte. "ich bin müde...." das war wieder meine Stimme, wie ich an der brüchigen und farblosen Note erkannte. Auch wenn ich das Lächeln nicht sah, ich hörte es doch in Fredericks penetranter Nervstimme, die noch immer diese besänftigende Note trug um mich nicht aufzuregen. "ich weiss Lezchen...schlaf ein bisschen. Morgen kommt dein Onkel, versprochen. Dann bringt er dir Birnenkuchen mit."
"ich hasse Birnenkuchen..."
"ich weiss."
"ich mag keine Birnen."
"Das weiss ich Lezchen. Du magst keine Birnen, weil Mutter sie mochte."
"ja genau." Während er das erste mal seit wir uns wieder sahen aufrichtig auflachte, begriff ich nicht mal den Hinweis seiner Worte, in denen er die Vergangenheitsform nutzte. Seine Mutter mag keine Birnen, sie mochte sie...sie war also tot. Später irgendwann, wenn ich geschlafen und mich ausgeruht hatte, würde es mir hoffentlich wieder einfallen und dann würde ich sicherlich bereuen, mich bei diesem verhassten Drachen der einen geliebten Sohn verlor, niemals aufrichtig entschuldigt zu haben, doch dieser Tag war nicht mehr heute.
Heute war ich nur noch müde und Frederick hatte gesagt was er sagen wollte, denn endlich ließ er mich in Ruhe und verließ mich nach einem kleinen Schwall weiterer, leerer Worte die nur einen Zweck erfüllen sollten: mich zu beruhigen.
Die Tür war noch nicht ganz hinter ihm ins Schloss gefallen, da hatte ich mich schon auf der Seite eingerollt und die Augen geschlossen.
Der Schlaf kam schnell, wie so oft, doch dieses mal ohne die beängstigende Note eines Alptraums den ich fürchtete. Nein, diese Nacht verlief ruhig und ereignislos.
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