Neue Feinde

Ein argloses Lachen drang durch den Raum. Adrian, der in seinem hohen Lehnstuhl zurückgelehnt saß, lässig und selbstbewusst, wie ein Kaufmannsbursche, der sich einfach auf dem Thron eines Königs niedergelassen hatte, hob abwehrend eine Hand.
„Nein“, sagte er freundlich. „Kommt nicht in Frage.“
Helena, die unweit auf der Couch Platz genommen hatte, einen Kranz aus Lilien knüpfte und schweigend dem Gespräch folgte, blickte seitlich auf. Sie sah zwei bullige Hinterköpfe, einer blond, einer braun, beide sauber in der Mitte gescheitelt. Sie sahen aus wie ihrer Sache entwachsene Chorknaben, und einer, fiel ihr auf, trug eine Hose, die zu kurz war, so dass ein weißer Streifen Bein zwischen der Frackhose und dem gewichsten Lackschuh hervorleuchtete. Von keinem sah sie das Gesicht, denn sie saßen vor Adrians massivem Schreibtisch, von dem aus er über seine Dokumentenstapel und feinen Schreibutensilien hinweg den Männern entgegen blickte, mit einer Ruhe, wie sie nur ein Mann empfinden konnte, der sich seiner Eloquenz im ausgeschöpftesten Maße bewusst war, doch Helena wusste, dass einer der Männer einen goldenen Backenbart trug, der andere einen bräunlich grauen Schnauzer und nahezu schwarze Favoris. Beide waren angesehene Herren, obwohl sie nur den einen kannte, den Dunkelhaarigen, den sie schon als junges Mädchen einmal auf einer Familienfeier in der Siedlung Ascalon anlässlich Onkel Nicolaes Geburtstag gesehen hatte. Er hieß Rumin Schwerer; Helena wusste noch, dass sie diesen Namen damals als außerordentlich komisch empfunden hatte, und als Adrian ein appellierendes „Schwerer“ in bestimmter, sich beherrschender Weise sprach, fiel es ihr erneut auf. Der andere Mann, den Adrian danach auf gleiche Art ansprach, hieß Bernau, Ludwig Bernau, und er war ein geschätzter Kunde des Meridians und, wie sich nun herausgestellt hatte, ebenso ein geschätzter Kunde Nicolaes, Adrians Vaters. „Ihr beide wollt mir doch gerade nicht erzählen, dass ihr den Rilot gekauft habt, ohne ihn euch vorher genau anzusehen.“
„Wir hatten die Versicherung Nicolaes, dass -
„Nicolae ist ein Lügner!“ Der Ärger und die Freude gleichermaßen zeichneten Adrians Stimme, als er sich in seinem Stuhl auf- und wieder zurücklehnte, und mit seinem klaren Lachen brachte er auch einiges an Unglauben zum Ausdruck. „Ihr kennt den Mann! Wie konntet Ihr ihm so blindlings glauben?“
Jetzt stob ein fein erspürbarer Eindruck von Zorn durch die beiden Männer. Die Wahrnehmung dessen ließ Helena abermals von ihrem Kränzchen aufsehen. Sie erkannte an Bernaus Hals und den kleinen Zuckern, die dieser machte, dass er den Kiefer bewegen musste. Adrian überging derartige Winzigkeiten oder erkannte sie nicht.
„Wir hielten deinen Vater für einen ehrbaren Mann“, sprach nun Rumin Schwerer in seinem stoischen Bass.
„Das ist Eurer Fehler, Rumin. Was erwartet Ihr nun, das ich dagegen tu? Du wirst doch kaum glauben, ich würde die Sache für dich regeln. Und Bernau, Ihr könnt das doch ebenso wenig denken? Denn ist es so, Freunde, dann seid Ihr tatsächlich naiv. Ich hab keine Zeit für solchen Unfug.“
Ludwig Bernau, dem es an der Gelassenheit seines Komplizen fehlte, bewegte sich heftig in seinem Stuhl.
„Iorga“, zischte er. Helena sah wieder auf, starrte den blonden Hinterkopf an und kam nicht umhin, sich die Vorderseite wie eine verzerrte, gerötete Schlangenfratze auszumalen. „Es ist dein Blut, das uns in diese Lage brachte, so wirst du es sein, der uns wieder herausholt.“
„Es ist Eure Dummheit, die Euch in diese Lage brachte“, lachte Adrian. „Einem Kunstfälscher ein Gemälde abzukaufen und sich dann zu wundern, wenn es eine Fälschung ist!“
„Manche seiner Gemälde sind echt“, scharrte Schwerers ruhige Stimme unter Bernaus ungemäßigtem Zischen hindurch.
„Und manche sind es nicht. So wie das Eure. Ich habe nichts damit zu tun. Wenn das alles war, bitte ich die Herren, mich nun zu entschuldigen. Ich habe zu tun.“
Diese gesetzte Art, mit der Adrian die Männer aus seinem Büro wies, setzte dem aufbrausenden Gemüt Bernaus so zu, dass er sich stuhlknarrend aufhob und mit der Faust mehrfach auf den Diplomatentisch donnerte, brachiale Schläge, die das gedrungene Holz dennoch nur schwach erschütterten.
„Du wirst Sorge dafür tragen, dass diese Sache geregelt wird“, schrie er.

„Ich werde gar nichts tun. Die Sache ist geregelt. Wenn du nicht zufrieden bist, kümmere dich selbst darum.“
Nicht nur Adrian, der sich seine einträchtige Bodenständigkeit von dem tobenden Mann nicht nehmen ließ, auch Bernaus eigener Kollege schien abfällig über dessen zügellose Art und seinen schlechten Stil, diese zu äußern, zu denken. Rumin Schwerer schwieg allerdings und bewegte nur die dicht wachsenden Brauen, die ihm aus dem Gesicht standen, als sein Komplize in seinem Stuhl wackelte. Helena erhob sich, drehte den Lilienkranz, den sie inzwischen geflochten hatte, und setzte ihn auf ihr Haupt. Sie löste sich eine Anstecknadel von ihrem Kleid aus hellblauem Atlas, die sie oberhalb des Schlüsselbeines durch den Stoff gespießt hatte.
„Ich kümmere mich um dich! Ah ja! Um dich werd ich mich kümmern.“ Da fiel polternd, während Bernaus Hals noch anschwoll, derweil er brüllte, der Stuhl hinter ihm um und er wollte an seine Waffe greifen. Auch Adrian fuhr zurück, eine Hand blitzschnell unter dem Tisch und hielt dann inne, als es auch der andere tat, und als Helena ihm die Anstecknadel von hinten her gegen den Hals drückte. Nur Adrians Blick, den sie mit ihrem eigenen groß und schuldlos schauend suchte wie die Aufforderung darin, trennten sie davon, die Nadel durch die Haut hindurch in Bernaus Fleisch zu treiben.
„Stich nicht zu, Helena“, sprach er allerdings und bewies an Ton und Aussprache seine gute Schule, seine Bildung, sein überblickendes Naturell. Der markante Duktus seiner Mimik erlaubte ihm keine Ausschreitungen, er schmunzelte geradlinig, als er sich dem erstarrten Mann in gastfreundlicher Manier wieder zuwandte.
„Ich halte große Stücke auf Hospitalität“, erklärte er. „Jemanden im eigenen Haus niederzustrecken nimmt sich in diesem Kontext schlecht aus. Allerdings halte ich auch wenig von Geschrei. Damit schlage ich vor, Bernau, du gehst. Belästige mich nicht mit deinem Kokolores. Das nächste Mal, wenn du dich über den Schelmenstreich eines anderen ausheulen willst, geh zu ihm.“
Helena erkannte die feine Nuance im Ausdruck Adrians, die ihr sagte, dass sie die Nadelspitze von der pochenden Halsseite des Mannes senken sollte. Sie nahm wahr, dass er unterhalb des Schreibtisches seine Pistole in einem sicheren Griff haben musste und sah, dass Bernau selbst davon abgelassen hatte, die seine ziehen zu wollen. Sie trat zurück, als zuerst Schwerer sich langsam erhob, damit er Bernau als gutes Beispiel vorangehen konnte. Ein Beispiel, dem er sogar folgte, doch wie er sich den Frack in der Mitte zugeknöpft und sich den Kläppchenkragen gerichtet hatte, wie er fast schon bei der Tür war, da bellte er noch, ehe er hinaushetzte: „Ihr habt euch mit dem falschen Mann angelegt, Iorgas! Grenth persönlich wird kommen und euch holen, dafür trage ich Sorge!“
Rumin Schwerers fast schwarze Augen sandten einen entschuldigenden Blick zu Adrians Posten zurück, doch dieser stieß nur ein unversöhnliches Lächeln kalten Spotts aus und hieß die Männer, die Tür hinter sich zu schließen.
Sie hörten sie gehen.
Helenas Blick schwirrte an der Decke umher, als sie horchte, wie die untere Tür zuschlug.
„Es hätte ihn gar nicht niedergestreckt“, sagte sie ins Schweigen. „Ich habe nicht mit solchem Theater gerechnet. Es ist nicht einmal Gift daran.“
„Das muss der Idiot aber nicht wissen.“
Adrians Schmunzeln war einnehmend und sie ließ sich davon anstecken wie vom Trost eines vertrauenserweckenden Bruders, obschon mehr Fremde und Distanz zwischen ihnen herrschte und immer geherrscht hatte, als es bei Geschwistern glaubhaft gewesen wäre.
„Und was machen wir nun mit dem Idioten? Und was mit Schwerer. Er ist ein Freund der Familie.“
„Deshalb wird er, da bin ich mir fast sicher, keine Probleme machen. Schwerer hat verstanden, welche Konsequenzen dieser Auftritt heute hat und er hat seine Seite gewählt. Es war nicht die, auf der er saß.“
„Woher weißt du das so genau?“ Adrian konnte Argwohn und eine gewisse Spitze aus der hellen Mädchenstimme heraushören, doch anstelle sich davon verunsichern zu lassen, war er noch entschlossener.
„Ich kenne den Mann.“
Er sagte noch mehr, doch nicht mit Worten, sondern auf diese unterschwellige auratische Weise, auf die er gleichzeitig anspielen musste.
„Dann besuche ich Bernau bald in seinem Haus? Oder soll ich Victor oder Kolja Bescheid sagen?“
„Nein.“ Adrian hob die Hand. „Veruca wird sich darum kümmern.“

Kommentare 5

  • Und: Da hat Llarrian Recht. Gerade von euch beiden ist das Lob umso güldener. Ohne Schleimi =)

  • Wow. WOW. <3_<3
    Ich danke euch!

  • Du musst dich aber - gerade nach der letzten Story - auch nicht verstecken, mein Lieber. Nicht hinschmeißen, mehr machen.

  • Und ich hab' das Bedürfnis, das Schreiben hinzuschmeißen. X( Dein Stil ist hands down einer der besten auf dem Server. Schöne Geschichte.

  • Wenn ich deine Texte lese, habe ich ganz oft das Gefühl, gerade Mann oder Hesse oder einen anderen der großen Alten aufgeschlagen zu haben.