Alles auf Anfang
(heute)
Alex schnalzte mit der Zunge und Loken setzte sich gemeinsam mit ihr, wie immer an ihrer Seite, in Bewegung. Der Rucksack den sie heute geschultert hatte war schwerer als sonst und als sie einen kurzen Blick über die Schulter zurück zu dem Haus warf, musste sie an die leere Truhe in der kleinen Kammer denken, in der sie doch eine ganze Weile gelebt hatte. Sie hätte nicht gedacht, dass ihr der Abschied irgendwie schwer fallen würde, aber dennoch wusste sie, dass es die richtige Entscheidung gewesen war. Dazu war die Erleichterung, die Aufregung die sie von früher her kannte, wenn sie wieder ins Unbekannte aufgebrochen war, zu deutlich und zu groß gewesen. "Komm Süßer, wir müssen die anderen noch abholen hm?" Alex beugte sich zur Seite und fuhr dem Wolf kurz durch das dichte Nackenfell. Das hinter ihr war einfach nicht ihre Welt gewesen. Von Anfang an nicht. Sie hatte gute Gründe gehabt, sich auf dieses Experiment einzulassen aber im Nachhinein bereute sie es, diesen Schritt, den sie jetzt tat, nicht schon früher getan zu haben. Auf der anderen Seite hatte sie aber auch einiges gelernt und mitgenommen, dass ihr sicher hilfreich und nützlich sein könnte. Vor allem Kontakte, man wusste ja schließlich nie, ob man sie nicht doch noch einmal brauchen würde...
Ihre Schritte führten sie ins Salma Viertel, zu dem Haus, in dem sie den anderen Teil ihrer Zeit verbracht hatte. Kaum hatte sie die Türe aufgeschlossen stürmten ihr zwei weitere Fellbündel entgegen, dass eine klein, weiß und wuschelig und das andere fast so groß wie der Wolf an ihrer Seite. Alex Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen als sie ihre Gefährten begrüßte und das weiße Bündel auf ihre Arme hob "Wir holen noch ein paar Kleinigkeiten und dann brechen wir endlich wieder auf..." meinte sie und steuerte zielstrebig das erste Stockwerk an. Das Chaos, in dem sie die letzten Wochen und Monate gelebt hatte, hatte sie schon gestern beseitigt, es befand sich nun sorgfältig verstaut in einem zweiten Rucksack. Diesen wuchtete Alex sich nun zusätzlich über die Schulter, nachdem sie das weiße Fellknäuel abgesetzt hatte, und ächzte kurz auf. "Ich bin zu einer Schnepfe verkommen...viel zu viele Klamotten..." murmelte sie und verzog das Gesicht. Aber man wusste ja schließlich nie, wozu man das alles vielleicht einmal brauchen würde...
Mit einem letzten Blick durch den Raum wandte sie sich wieder nach unten. Ohne noch einmal zurück zu blicken schnalzte sie erneut mit der Zunge und verließ dann mit einem kleinen Rattenschwanz das Haus. Vince hatte sie eine Nachricht hinterlassen, sollte er je wieder hier her kommen...Leicht gebeugt unter der Last, die sie schleppte, wandte sie sich gen Portal nach Löwenstein. Dort würde ihr Neuanfang beginnen! Alex zog die Luft ein und sah sich noch einmal in den Straßen von Götterfels um - und plötzlich merkte sie, dass sie es gar nicht erwarten konnte, von hier wegzukommen. Viel zu eng, zu viele Steine aufeinander gestapelt, zu viele....Götterfels hätte eigentlich nur eine kurze Station sein sollen, hatte sie aber länger aufgehalten als gedacht. Aber nun, mit einem wieder gefüllten Beutel und ein paar Erfahrungen reicher, konnte sie sich auf zum nächsten Ziel machen. Die kribbelnde Aufregung von früher machte sich in ihrem Magen breit und ohne es länger abwarten zu können schritt sie weiter aus.
Die Haut retten
Scheiße, scheiße und nochmals Scheiße. Dolyakmist und Skrittgedärm. Bei Grenths toten Eiern - das konnte doch wohl alles nicht wahr sein! Alex zog sich ihr Halstuch vor den Mund, kniff die Augen zusammen und unterdrückte ein Husten. Wann war dieses gottverdammte, hurendreckskack Chaos nur ausgebrochen? Und warum? Loken an ihrer Seite legte die Ohren an und knurrte aus tiefer Kehle während Freja leise winselte und sich an ihren felligen Partner drückte. Bis vor wenigen Minuten war die Welt noch in Ordnung gewesen und nun versank dieser Pfuhl von Piratenstadt im Erdoben. Jedenfalls schien es so. Blinzelnd linste Alex um die Ecke und zog gleich darauf den Kopf wieder zurück. Dreckskacke! Eben hatte sie noch gemütlich auf ihrem Lager gelegen und nun rannte sie um ihr Leben während Löwenstein um sie herum in Schutt und Asche gelegt wurde. Die einfache Hütte, die sie bisher beherbegt hatte, war mittlerweile in Flammen aufgegangen - sie konnte den Schatten davon noch eing utes Stück hinter sich sehen - und hatte einen Großteil ihrer Habseligkeiten vernichtet. Und das, wo sie doch gerade geglaubt hatte, die Dinge hätten angefangen, langsam mal wieder gut zu laufen. Kopfschüttelnd duckte sie sich, schnalzte mit der Zunge und huschte eine Ecke weiter. Sie hatte keine Ahnung was überhaupt los war, aber es ging ihr auch am Arsch vorbei. Wessen Kampf es auch war, der ihr gerade mal wieder die Lebensgrundlage unter dem Hintern weggezogen hatte, interessierte sie nicht die Bohne. Sie hatte diese ätzende Diebesbande überlebt, war aus der Starfallhölle entkommen und würde sich jetzt nicht von ein paar Giftspuckenden Irren ins Jenseits befördern lassen. Da hatten die sich mit der Falschen angelegt! Wichtig war nur, dass sie so schnell wie möglich hier verschwand, bevor sie nachher doch noch von einer dieser komischen Wolken erwischt wurde. Das würde dann nach ihren großspurigen Flüchen und Versprechungen ziemlich lächerlich aussehen.
Geduckt und im Laufschritt rannte Alex Hakenschlakend durch das, was einmal ein Teil von Löwenstein gewesen war. Um sie herum loderte Feuer, dass die Gebäude verschlang und zusammen brechen ließ. Schreie und Kampfeslärm bestimmten die Geräuschkulisse doch Alex ignorierte sowohl das eine als auch das andere. Ihr Ziel vor Augen - lebend aus dieser Hölle zu entkommen - rannte sie und rannte, rannte, rannte. Die wenigen Sachen, die sie in ihren Rucksack hatte stopfen können an sich gedrückt, Bogen und Köcher über den Rücken geworfen hoffte sie einfach, wenigstens einmal im Leben Glück zu haben. Loken und Freja liefen je rechts und links von ihr und wichen keinen Millimeter von ihrer Seite. Und mal wieder fragte sie sich, warum sie das verdient hatte...
Gestern noch hatte sie am Strand gelegen und das Meer, den Sand und die warme Sonne genossen und nun musste sie sich anstrengen, nicht verkohlt oder von einem Trümmerteil erschlagen zu werden. Möglich wäre auch ein Tod durch dieses seltsame Gift oder vielleicht traf sie auch ein verirrter Pfeil? Auf all das hatte sie nicht die geringste Lust. Sie hatte zwar keine Ahnung, wohin es gehen sollte, wenn ihre halsbrecherische Flucht gelangt, aber das hatte sie ja eigentlich nie. Sie wusste nur, dass sie sich nie, nie, nie wieder auf so dämliche Sachen wie in Götterfels einlassen würde. Niemals! Sie konnte bis heute nicht begreifen, was sie dazu gebracht hatte, dem ganzen Wahnsinn zuzustimmen. Vermutlich hatte sie einfach keine Wahl gehabt. Jedenfalls war sie froh, den ganze Mist hinter sich gelassen zu haben - die heiß geliebte Freiheit (die ihr gerade um die Ohren flog) vor Augen. Musste wahrscheinlich doch an ihr liegen, alles zu verderben was sie anpackte...
Alex machte einen Satz über einen Balken, der quer in ihrem Weg lag und Loken und Freja taten es ihr gleich. Ein gutes Stück vor ihr stieg der Pfad leicht an und führte um eine Biegung hinter der hoffentlich die ersehnte Freiheit wartete. Alles um sie herum war mit sich selbst beschäftigt, so dass sie bisher noch keiner beachtet hatte, ihre Chancen standen also ausnahmsweise mal ganz gut. Erst einmal raus hier und dann weiter sehen - sie hatte zwar keine Ahnung, wo sie hin sollte, wenn ihr geliebtes Löwenstein nicht mehr sein sollte, a- ha! doch! Da fiel ihr jemand ein! Ihre Tante kam nicht in Frage, in diese Gefilde wollte sie sich nie mehr begeben aber eine Person kam ihr in den Sinn, die ihr vieleicht helfen konnte. Sie zwar zwar immer stolz darauf gewesen, alleine zurecht zu kommen und unabhängig zu sein, aber arm, verkohlt und völlig ko konnte es ja nicht schaden, ein ganz klein wenig Hilfe zu haben...
Mit einem letzten, großen Satz hechtete Alex um die Ecke und ließ Löwenstein Löwenstein sein und brennen. Sollten doch alle zum Teufel gehen, sie hatte ihre Haut gerettet und das war es, was im Augenblick zählte!