Von dunklen Träumen blieb er verschont in dieser Nacht, im Gegensatz zu manch andrer Seele, denn das hätte mal wieder vorausgesetzt, dass er vernünftig Schlaf finden konnte.
Das arkane Licht des Blitzgeschosses erhellte die Düsternis, als die schwebende Pakt-Kanone abermals feuerte. Der Priester folgte der mächtigen Entladung mit dem Auge, bis sie in geschätzten dreihundert Metern Entfernung mit einer grellen Detonation einschlug, um den riesigen Mordrem-Troll in Fetzen zu reißen, welcher bis dahin noch das Lager angepeilt hatte. Der Wüstencanyon war regelrecht gepflastert mit den verstreuten Überresten diverser Pflanzenmonster, allesamt über die Tage hinweg niedergemäht von dem autonomen Geschütz, wann immer sie sich näherten.
Wenn man sich einmal an die schockartige Erschütterung gewöhnt hatte, die bei jedem Schuss von der magnetischen Schwebe-Verankerung ausging, und an das konstante Summen enormer Magitech-Aufladung, war dieses Felsplateau am nordwestlichen Tor der perfekte Ort zum Nachdenken.
Gewissermaßen wärmte es sein Herz, den Drachendienern dabei zuzusehen, wie ihr abscheulicher Meister sie in den gewaltsamen Tod dirigierte, wie sie in ihre Bestandteile zerlegt wurden und keine Chance hatten, je ihr Ziel zu erreichen, wenn sie nicht in Scharen kamen um sich zu opfern. Rechtschaffene Zerstörung, das Feuer in dem sie brannten, heiliges Werk. Und doch blieb er ernst, wie er immer ernst blieb, denn er wusste genau, warum er seinen Novizen dies Werk als Mahnung gezeigt hatte.
Kein einziger Soldat stand in diesem Canyon, Niemand der das Schwert hob und sich in die Schlacht warf, Niemand der etwas aufs Spiel setzte, um den Feind vernichten zu können. Ja, in der Ferne hörte man Schüsse knallen, hörte man Waffen krachen und Männer schreien. Diese Kanone jedoch war Sinnbild des Anfangs einer unheiligen Faulheit, eines feisten Schlemmens, in dem sich dereinst die Götterfelser Edlen und Reichen suhlen würden. Allein der Gedanke daran ließ ihn kochen, ein Brodeln, das nur durch die zerfetzten Mordrem-Leiber mit innerer Ruhe aufgewogen wurde.
Doch Kälte dominierte in dieser Finsternis, denn so durchdringend heiß die Sonne am Tage auf die Silberwüste schien, so erdrückend mussten die Soldaten des Nachts frieren. Es war als würde Grenth seine eisigen Finger ausstrecken, um die immerwährenden Gedanken an Balthasar zur Mäßigung zu zwingen. Dronons Antwort darauf war ein Zähneknirschen, oder die Andeutung dessen, welche die geschenkte Cabiko-Zigarre in seinem Mundwinkel leicht zerdrückte. Er rückte das mächtige Eisbärenfell zurecht, das er sich über die schwere Rüstung geworfen hatte, und fühlte sich kurz an Verjeni und die Zittergipfel erinnert.
Er konnte nur sein Möglichstes tun, um die Soldaten des Paktes und der lokalen Seraph-Wache für die Schlacht anzustacheln, der sie sich stellen mussten. Denn gegen den Drachen, ja, war dies angemessene Bewaffnung. Und doch kreisten seine Gedanken um die Zukunft Krytas und den Kurs der Menschheit. Er konnte sie schon vor sich sehen, die Anwesen der Nebelsteins, Iorgas, Saverios, Weißensteins und auch Wolseys, wie sie in Zukunft mit Selbstschussanlagen bestückt waren statt Wachmännern. Wie die Insassen sich an ihrer Unantastbarkeit fett fraßen. Es durfte nicht sein.
Er dürstete danach, die feisten Horden in Furcht zu sehen, wenn der Krieg an ihre Mauern klopfte, Furcht, die er als Hammer Balthasars zu Zorn und Kampfesmut schmieden würde. Um sie alle ins Feld zu treiben, dass sie ihr Blut lassen und in Läuterung brennen mochten für die Verteidigung ihrer Heimstätten. Bis sie selbst erkennen würden, dass der Pfad zur Expansion die neue, alte Zukunft sein musste. Manche von ihnen waren sich dessen bereits bewusst, doch es lag noch viel Arbeit vor ihm.
Mit einem Schnauben wischte der Priester Balthasars seine gedanklichen Ausschweifungen fort und entließ eine dichte Wolke aus Qualm durch die Nase. Noch war es eine Fantasie, das konnte er nicht leugnen, aber eine, die er längst nicht aufgegeben hatte. So wandte er sich ab, um den Blick über das gewaltige Feldlager der Standhaftigkeit gleiten zu lassen. Über die kleineren Trupps, die selbst zu dieser späten Stunde noch mancherorts durchmarschierten. Die vereinzelt angedockten Luftschiffe, in schwindelerregender Höhe zwischen den Felskämmen.
Das Hier und Jetzt zählte, auch wenn dies eine Front war, an der andere über den Sieg entscheiden mussten. Beschließend nahm er einen letzten, stillosen Lungenzug, eh er den Zigarrenstummel ausspie und ihn ebenso barbarisch unter dem Panzerstiefel zerrieb. Er würde so lange bleiben wie es erforderlich war, um das Vorankommen sicherzustellen.
Seine Planungen begannen dieser Tage, ihm über den Kopf zu wachsen, Kreise zu ziehen in die Fuß zu setzen er früher kaum in Erwägung gezogen hätte. Jetzt aber wusste er aus seinen einstigen Zweifeln nur Zeichen bereinigter Schwäche zu lesen. Es gab immer noch so viele kleine Krisenherde, aber er konnte nicht alle zugleich beachten. All die Macht, die er unter dem Banner Balthasars versammelt hatte, brauchte ein priorisiertes Ziel.
Fürs Erste – eines nach dem anderen.
"Ehre. Ehre dem Kriegsgott."