Die Kraft des Glaubens

"Wir verhandeln nicht mit Terroristen!"


Dronons schwer gepanzerte Faust donnerte auf den Schreibtisch herab, genauso lautstark und dröhnend wie er sprach. Kaum dass es dem hochgewachsenen Muskelberg wieder möglich war, stapfte er schon wieder in schwerster Plattenrüstung umher.


Sein rothaariger Ordensbruder auf dem Stuhl war pragmatischer gesonnen – in seiner Funktion als Schreinarchivar gönnte er sich die Wohltat, das Balthasar-priesterliche Rüstwerk im Schrank zu lassen, eingetauscht gegen edlen, rot bestickten Brokat, der nur zu deutlich machte, dass er aus besten Verhältnissen stammte. Ruhig sah er seinen Büchern beim Hüpfen zu, ausgelöst durch die brachiale Wucht des anderen Priesters. "Und wie könnt ausgerechnet Ihr es Euch herausnehmen, sie als Terroristen zu verurteilen?", gab er zurück. "Als Separatisten – nur dafür, dass sie an den Kampf ihrer Vorfahren glauben und ihn fortsetzen wollen?"


Augustin Grigolev von Sarzaleths innere Fassung war zu stark, um sich durch das verbissene Temperament seines standeslos krytanisch geborenen Gegenübers aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen. Er erhob sich, schob den Sessel zurück und trat um den Tisch herum, um die alten Wälzer zu sortieren, mit denen er sich gerade beschäftigt hatte. Auch wenn Sentenzar Dronon ihn wie fast jeden sowohl in Sachen Größe als auch Breite im Vergleich förmlich schrumpfen ließ, war Sarzaleth von stattlichem Bau und in den besten Jahren.


Der bullige Riese derweil hatte in diesem Moment Nichts von der stoisch ernsten Art, die er im Alltag aufsetzte. Der Anlass seiner Wut wurzelte heute weit tiefer als nur in der aktuellen Meinungsverschiedenheit. Brüsk schnaubte der Halbelonier nach vorn, dass Sarzaleths langes Haar sich gegenüber dezent im Luftwirbel mitbewegte. "Es gibt im Moment genügend andere schweißtreibende Kämpfe, die sie austragen könnten, um Ascalon wieder in eine starke Position zu bringen. Stattdessen dezimieren sie ihr eigenes Volk dafür!" Der plattierte rechte Zeigefinger sprang regelrecht voran, so vernichtend schwenkte er die Hand umher.


"Und wie genau antwortet ~Ihr~ noch gleich darauf, Bruder Dronon?" Der Rothaarige begegnete dem Ganzen mit gewölbten Brauen und Balthasar-untypischer Kühle, den Blick flüchtig hebend und die Stimme mit einem kalkulierten Zynismus bestückt. Die flüchtige Musterung Sarzaleths eisblauer Augen galt eindeutig dem beidhändigen Streithammer, auf den Dronon sich, Stiel abwärts, breitbeinigen Standes stemmte wie auf einen Gehstock.


Der lebendige Wandschrank schien daraufhin keine schlagfertige Antwort parat zu haben, zumindest gemessen an seiner knallroten Visage und dem mahlenden Kiefer. "Es ist der Kurs der Königin, dass wir die Waffen gemeinsam mit den Charr erheben, statt gegen sie.", wetterte er, ohne dass es wirklich hingebungsvoll wirkte. Er ballte den linken Panzerhandschuh knarrend fester um den Kopf seines Hammers. "Wir haben kein Recht, Bruder, uns gegen das Gebot der von den Göttern gewollten Herrscherin zu stellen."


"Dieselbe – wohlgemerkt krytanische – Herrscherin, die unseren Kampfplatz zugunsten ihrer edlen Terrasse abgeschafft hat. Und darf ich Euch daran erinnern, welcher Priester im Balthasar-Konvent darüber am lautesten gewettert hat? ~Ihr~ von allen hasst diese Königin am Meisten für ihre Friedfertigkeit, leugnet es nicht an dieser Stelle." Gleichmut sprach Sarzaleth aus dem Antlitz, wenn auch eine dezente Anspannung davon kündete, dass wenig Sympathie zwischen den zwei Männern vorherrschte, die doch demselben Gott geweiht waren. "Wie könnt Ihr den Ascalonischen Widerstand abwerten, Dronon, Ihr der Ihr immerzu den Krieg predigt? Immerzu den Sieg der Menschheit unter Waffen?"


Der Kriegshetzer tobte förmlich, und die wiederkehrenden Spitzen seines Ordensbruders ließen es nicht besser werden. "Bei Balthasars Klinge, Sarzaleth, wagt es nicht meine eigenen Werte gegen mich zu wenden. Ihr wisst genau.."


Sarzaleth fiel ihm ins Wort, ohne mit der Wimper zu zucken. Vielleicht, weil er genau wusste, dass solche Missachtung einen Nerv traf.


"..dass es Euer stures Beharren auf einer längst verdorbenen Weltordnung ist, das Euch angreifbar und rückständig werden lässt. Richtig. Das Euch ständig in Rage versetzt und Euch so anfällig macht für.. Stümperei." Die Nasenflügel zuckten, ließen eine innere Arroganz durchblicken, deren klerikale Unwürdigkeit sich nur hier unter vier Augen auf gleichem Rang zu offenbaren traute.


Diese Worte jedoch waren zu viel des Guten, hatten die Grenze merklich überschritten und erzielten doch ein vorhersehbares Resultat. Dronons Gesicht verzerrte sich zu einer cholerisch krampfenden Fratze, Muskelstränge und Adern hervortreten lassend während er einem Bluthund gleich die Zähne fletschte. "WRAAAH!" Auf diese Nähe war das Dröhnen dieses Stimmorgans von unerträglicher Lautstärke, und es kam zusammen mit einem Ausbruch abrupter Gewalttätigkeit. Die rechte Hand des gepanzerten Bullen packte Sarzaleths Hals und fegte den Mann mit grobschlächtiger Stärke rücklings auf den Schreibtisch herunter, dass es krachte und Bücher zu den Seiten fort purzelten.


Die langen, roten Haare quer im Gesicht hängend, ächzte und röchelte der körperlich unterlegene von beiden Balthasarpriestern vor sich her, dessen Mimik nun genauso verbissen wurde wie es die des anderen die ganze Zeit über gewesen war. Grigolev war weder klein noch schwach oder untrainiert, aber dies war nicht seine Art von Kampf.



"Bezeugt.. die überlegene Kraft.. meines Glaubens.", brachte der Ascalonier um Atem ringend hervor. Statt sich an die Kehle zu greifen und die Hand des Aggressoren wegzudrücken zu versuchen, hob er die eigene Rechte, die zeitgleich mit seinen Augen in weißblauem Licht zu erstrahlen begann. Geisterhafte, durchscheinende Ketten zurrten sich stahlhart um die massige Pranke des ihn niederhaltenden Kriegerpriesters. Binnen Sekunden wurde der Arm durch die materialisierte Willenskraft des Wächters fortgebogen und ob des körperlichen Widerstandes bebend in der Luft fixiert.


"Ihr WAGT es, Euren Glaubenseifer über den meinen zu stellen?" Dronon sprach mit dem Tonfall eines tyrannischen Fanatikers, dem sein Wille verweigert wurde, und die Lider weiteten sich in manischem Furor. Erfolglos ruckte er an seinen magischen Fesseln herum.


"Nein.", gab Sarzaleth zurück, indem er sich aufrichtete, die teure Kleidung abklopfte und sie durchatmend wieder zurecht rückte. Ihrer beider Blicke trafen sich verheerend. "Ich vermerke lediglich, wer von uns beiden adäquateren Gebrauch davon macht."


Mit einem wüsten Schnauben konnte Dronon sich schließlich losreißen, als der Zauber verblasste. "Glaube ist kein bloßes Werkzeug, das man sich zunutze macht.", blaffte er energisch, während er ein grimmiges Gesicht zog und sich an die Rückenplatte fasste. Wohl schmerzte es ihn darunter, wo die lange Klaue des Teragreifen sein Fleisch durchbohrt hatte. "Er ist unser stärkender Antrieb, das innere Feuer. Er versetzt Berge und gewinnt Schlachten."


"Oh, aber ich stimme Euch doch zu, werter Bruder." Sarzaleth schmunzelte. "Er ist eine Urgewalt. Ganz im Sinne Balthasars."


"Bah. Möge er Euch Eure gespaltene Zunge versengen. Mein Glaube beinhaltet Prinzipien. Sie nicht perfekt durchsetzen zu können stellt ihre Rechtschaffenheit nicht in den Schatten. Es ist ein fortwährendes Ringen. Ein ewiger Krieg."


"Ein ewiger Krieg – Habt Ihr wirklich geglaubt, Ihr würdet Ascalon einen Gefallen tun, indem Ihr eine Eurer Hetzjagden anzettelt? Selbst wenn wir rein hypothetisch davon ausgehen, dass Ihr fündig würdet und obendrein fähig wärt ~sie~ im Duell zu besiegen – wieviele Soldaten, die vor einem halben Jahrzehnt noch für dieselbe Sache kämpften, würde der mächtige Sentenzar Dronon abschlachten, um einen einzigen Ordensbruder zu bewahren?" Wieder mischte sich dieser sehr gezielt platzierte Zynismus in die Worte des edelblütigen ascalonischen Priesters.


Sein muskelstarrender Kollege schnaubte, die Haltung wieder korrigierend, und starrte lediglich drein. Die Erwiderung kam fest, und ohne sich nochmals auf die Wortfalle des anderen einzulassen. "Ihr nennt mich stur und rückständig. Und gleichzeitig seid doch Ihr es, der mit offenen Armen ausgerechnet zu den Separatisten geht, Bruder Sarzaleth."



Nun war es der Rotschopf, der die Lider engte und sich ein Schnauben genehmigte, als sich diese Lücke in seinem Argumentationsgang auftat. "Um Bruder Taras zu retten und das Wort des Glaubens zu bringen. Wir können diese Debatte noch eine Weile fortsetzen, Ihr starrsinniger Hornochse. Irgendwann aber schwindet meine Geduld genauso furios wie die Eure. Es verwundert mich, dass gerade Ihr den Wert nicht seht, den diese Widerstandskämpfer für unsere Sache haben könnten. Und wollt Ihr nun, dass ich Euer kleines Problemkind mit mir dorthin nehme oder nicht?"


Mit harsch angespannter Kiefermuskulatur brütete Dronon sichtlich einen Moment, auch wenn es merklich nicht der abschließenden Frage galt. "Oh, und wie ich das will.", beantwortete er sie schließlich ohne jeden Zweifel in der Stimme, das klobige Kinn um ein Minimum hebend. "Er soll seine Lektion lernen. Aber wenn Ihr zulasst, dass er dort unten weiter abdriftet.."


"..was dann? Muss ich Euren Zorn fürchten? Ich trage keine Mitschuld an dieser Bredouille, also maßt Euch nicht an, meine Kompetenz in Frage zu stellen, ~Bruder~."


Ein tiefes Grollen war die Antwort, zwei Sekunden verzögert. "Auge um Auge, Zahn um Zahn."


"Euer Sinn für finstere Theatralik nimmt kein Ende.", seufzte Sarzaleth, gewissenermaßen ergeben, ohne sich lange damit aufhalten zu wollen. "Nun gut. Sind wir fertig?"



Kurzes Schweigen machte sich breit, während dem Dronons kantige Brauenwülste sich strikt zusammen zogen.


"Wir sind niemals fertig, Sarzaleth. Die Pflicht ruft. Stärke und Unbeugsamkeit. Ehre sei Balthasar."


"Ihm zur Ehr und Ascalon zur Wehr."


Die beiden tauschten den Salut, einseitig mit stählernem Krachen verbunden, und dann folgte der Ascalonier dem abdampfenden Schlachtschiff mit dem Blick. Die hammer-krückenden, ungleichmäßigen Stampfer verklangen stählern wummernd auf dem Gang, nachdem die Tür zugefallen war.


Grigolev strich sich die langen Strähnen wieder ordentlich zurecht und sammelte eines nach dem anderen seine Bücher über die höheren Ebenen der Wächtermagie auf. Sein eigener Zorn war größer, als man hätte ahnen sollen.


"Wer weder zögert noch zurückweicht, wird belohnt werden."


[color=#000000]- Schriften des Balthasar, 48 V.E.

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