Tränen einer Mutter - Kapitel II

(II)
Nicht für die Ewigkeit


Sekunden vergehen wie Minuten, Minuten wie Stunden. Leise wimmernd kniet das junge Mädchen mit den roten wuscheligen Haaren vor dem Stuhl, in dem ihr Vater leblos liegt. Der Wurfdolch der Attentäterin drang tief in seinen Körper, präzise und mit einer enormen Wucht. Im unteren Stockwerk des Hauses beginnt es wild zu poltern. Das Klirren eines Fensters durchdringt das Treppenhaus bis hin in das kleine Zimmer, in dem sich das Familiendrama abspielt. Schwere Schritte nähern sich eilig der offenen Zimmertüre, verklingen als sich eine bullige Gestalt hinter dem kleinen Mädchen abzeichnet. "Verdammt, sie waren schneller!", flucht die kratzige tiefe Stimme, als er die Situation erfasst. "Aber wen haben wir denn hier? Wenn das nicht die kleine Fendorn ist. Hat Papi ins Gras gebissen? Wie schade." Der Monolog wird durch ein dreckiges Lachen unterbrochen. "Wenn wir dich haben, bekommen wir sie auch noch. Herrli-" Die Spitze einer dünnen Klinge funkelt matt unter dem Blut ihres Opfers als sie sachte aus dem Hals des Mannes hinaustritt und somit die Freudesrede abrupt unterbricht. Der Mann klappt ohne ein weiteres Wort zusammen und gibt den Blick auf die Klingenschwingerin frei. Die roten kurzen Haare der Frau wehen sachte im Wind, der vom klappernden Fenster herzieht. Ihre grünen Augen funkeln im sachten Kerzenlicht. Sie trägt ein feines weißes Kleid, was einzig durch die Blutspritzer seine Makellosigkeit verloren hat. Ihr bösartiger Blick weicht einem mütterlichen Lächeln als sie das Mädchen erblickt. Sie beugt sich langsam zu dem fallengelassenen Teddy und bewegt sich über den leblosen Körper des Grobians auf das Mädchen zu. "Hey, Süße. Du solltest doch auf Fen aufpassen", spricht sie in einer sanften Stimme, während sie dem Mädchen den Teddy in die Hand drückt und kurz durch ihre Haare wuschelt. Der Blick der Frau fällt auf die Pistole des Vaters, dann auf ihn selbst. Sie schließt einen Moment die Augen und atmet tief durch, lächelt darauf wieder zu dem Kind, das sie gebannt mit den verheulten Augen anstarrt. "Wir müssen gehen, Engelchen." Sie greift nach der Pistole, entspannt den Schlaghammer vorsichtig und befestigt sie an einem Halter unter ihrem Kleid. "A-Aber Papa", wimmert das Mädchen. "Er ist tot, wir ... können ihm nicht mehr helfen", entgegnet die Rothaarige, während sie sich langsam aufrichtet, wohlwissend, dass das Mädchen es nicht verstehen würde. In der Tür erscheinen erneut zwei weitere Gestalten. Die in schwarz gekleideten Männer starren hinein, brauchen wohl einen Moment bis sie realisieren, was vor sich geht. Für den ersten kommt die Erkenntnis erst gar nicht, als er mit einem Messer im Kopf zusammensackt. "Renn zu deinem Boss und sag ihm, dass er sie niemals kriegen wird. Jedem einzelnen, den er schickt, wird es so wie deinen beiden Freunden hier ergehen. Hast du das kapiert?" Etwas unschlüssig macht der zweite einen Schritt zurück als sein Kumpel neben ihm zusammenklappt und die Worte der Frau in seinem Kopf widerhallen. Er nickt sachte und verschwindet so schnell wie er gekommen war. "Los jetzt!", spricht die Frau zu dem Mädchen mit bestimmendem Tonfall und eilt gen Türe, um einen Blick in den Flur zu werfen. Der Blick des Kindes gleitet über die leblosen Körper und das ganze Blut. Feste umklammert sie ihren Teddy und folgt mit tippelnden Schritten der rothaarigen Mutter. "Mama, was ist los?", entfährt es dem Kind während sich die beiden einen Weg durch das verwüstete Treppenhaus des einstmals ansehnlichen Anwesens bahnen. Die Mutter schweigt, achtet penibelst auf jedes Geräusch und jeden Schatten. Ihre Hände umgreifen Dolch und Wurfmesser gleichermaßen fest, bereit für mehr Ärger. Ein weiteres Fenster klirrt als eine Fackel hineingeworfen wird. Die teuren Teppiche fangen sofort Feuer und erhellen das gesamte Untergeschoss. Mit einer hastigen Bewegung verstaut die Mutter ihre Dolche am Gürtel und packt sich das Mädchen, eilt mit ihr zur Kellertüre und verschwindet die Treppe hinab in die Dunkelheit.


Ein leises Knirschen kündigt das Öffnen einer selten benutzten Falltüre an. Mutter und Tochter steigen langsam hinauf in den leergefegten Raum. Die Inneneinrichtung beschränkt sich auf einen Tisch und einen Stuhl, die beide mit einer dicken Staubschicht überzogen sind. "Setz dich da hin, Shi", spricht die Mutter in einem ruhigen Befehlston, während sie die Falltüre hinter sich wieder schließt. Sie eilt zum Fenster und schaut hinaus. Ein gutes Stück entfernt erhellt ein brennendes Haus das hochgelegene Adelsviertel - ihr Haus. Mit einem Zähneknirschen betrachtet sie die Flammen in der Ferne noch eine Weile. Sie wischt sich eine kleine Träne aus den Augen, bevor sie sich wieder zu ihrer Tochter wendet. "Wir müssen weiter. Ich erkläre es dir später."