Ein entspanntes Seufzen hallte halblaut durch das Badezimmer, und verlor sich zwischen den Kosmetik- und Badartikeln einer großen Familie voller anspruchsvoller Menschen. Es beeindruckte sie sehr, wie geborgen sie sich hier fühlte, bei diesen Menschen die ihr in all ihren Eigenarten nach so kurzer Zeit bereits ans Herz gewachsen waren, und es beunruhigte sie, mit was für einer Selbstverständlichkeit man sich ihrer angenommen hatte. Nicht, weil sie misstraute – sondern weil sie sich wie ein Nutznießer fühlte, wie ein Parasit der sich am Glück der anderen labte, ohne selbst das parasitäre zu einer funktionierenden Symbiose umzuwandeln.
Ein erneutes Seufzen folgte, als sie ihre Position in der Wanne veränderte, die genau groß genug war als dass sie überaus bequem und bis zu den Schlüsselbeinen im heißen Wasser liegen konnte – welches mittlerweile eigentlich nur mehr lauwarm war. Auch der wohlduftende Schaum den die Seife produziert hatte, die sie bei der reizenden Arielle Fedger vor langer Zeit gekauft hatte, war mittlerweile zur Gänze verschwunden, doch sie weigerte sich den entspannten Moment schon jetzt enden zu lassen.
Es war schon dunkel – wie jedes Mal, wartete sie doch bis die Geschäftigkeiten im Haus gen Nacht langsam einschliefen, bevor sie sich ein Bad einließ. Sie hatte schon in den wenigen ersten Tagen gelernt, was es hieß mit derart vielen Menschen unter demselben Dach zu wohnen. In einer der ersten Nächte hatte Olaf sie in der Küche am Honigtopf erwischt, und erst vor wenigen Tagen wäre ihr fast Adrian, und ein paar Tage später Vito fast hereingeplatzt, als sie in der Wanne lag.
Generell war es schwer einen Moment im Bad für sich alleine zu haben – einmal hatte sie ein dringliches Klopfen mit der gequälten Nachricht „Mach hin, ich kanns nicht mehr halten!“ vom Topf geholt.
Bei dem Gedanken musste sie schmunzeln – diese raue Herzlichkeit hatte etwas ganz Eigenes.
Als der Kerzenstumpen schließlich zu flackern begann und kurz darauf erlosch, blieb sie noch einen Moment in der Dunkelheit im Wasser liegen, ehe sie die Hände auf dem Wannenrand stützte, und sich erhob. Barfuß durch die Dunkelheit führte ihr Weg dann, bis sie das zurechtgelegte Leintuch gefunden und um die Brust herum festgesteckt hatte. Dank eines silbrigen Mondlichtstreifens, der durch das Fenster hereinfiel, gelang es ihr im Dunkel ihre Salbendose zu finden und die duftende Pflegecreme auf ihrer Haut zu verteilen. Sie mochte es gern, wenn die Haut sich durch die Creme noch weicher anfühlte, und sah es gern wenn sie, leicht ölig, im Licht ein wenig schimmerte. Es erweckte für sie auf ihrer gebräunten Haut den Eindruck von Gesundheit und Wohlstand. Warum sie das empfand, wusste sie selbst nicht so genau, hinterfragte es allerdings auch nicht tiefer.
Der Blick in den Spiegel offenbarte ihr dann vom Mondlicht scharf gezeichnete Gesichtszüge. Sie mochte ihr Gesicht. Eigentlich mochte sie alles an sich. Vermutlich war genau das der Grund, weshalb es sie nicht traf wenn sie wegen ihres Gewichtes oder der Körperform gehänselt und belästert wurde. Sie fand sich schön so wie sie war, mochte ihre Rundungen und die Pausbäckchen. Letztere besonders wenn sie lächelte. Sie legte einen winzigen Hauch von Puder im Gesicht auf – eines, das die Haut klären, und einer fettigen Nase und fettigen, pickeligen Stirn- und Wangenpartien vorbeugen sollte. Ein wenig eitel war sie eben doch. Aber nur ein wenig. Ein wenig ganz viel vielleicht.
Sie löste die Haarnadeln aus der Frisur, und ließ das lange Haar in offenen Wellen über die Schultern fallen. Ihr goldenes Braunblond wirkte im Mondlicht gräulich, und ließ sie älter aussehen als sie war. Die Bürste fand sodann den Weg in ihre Hand, und sie begann damit das Haar zu bürsten. Fünfzig Striche auf jeder Seite. Die lockeren Wellen sollten glänzen, gesund und kräftig aussehen.
Als sie fetig war, trat sie zurück, das Leintuch um ihre füllige Kontur glattstreichend. Bevor sie das Bad verließ, trug sie noch winzige Tupfer ihres Lieblingsparfums auf. Des einzigen das sie besaß – denn eigentlich trug sie ja nie welches. Je ein Tupfer hinter die Ohren, an den Hals knapp über den Schlüsselbeinen. Und nach einem kurzen Zögern, auch einen Tupfer an den Saum des Handtuches – in den Ansatz des Tales das sich zwischen den Brüsten bildet.
Ein Schmunzeln lag auf ihren Lippen, als sie das Bad verließ und einen aufregend-verbotenen Moment genoss, in dem sie spärlich bekleidet durch den Flur ihrer Gastgeber, und die Treppe hinauf zu ihrem Zimmer huschte. Zumindest bildete sie sich ein, es sei aufregend und verboten. Etwa 90 Prozent der Bewohner des Hauses hätten das vermutlich anders gesehen.
Als sie vor der Türe zum Zimmer ankam, atmete sie noch einmal tief durch. Sie hatte sich Mühe gegeben, hatte dafür gesorgt dass das Bett frisch bezogen war, dass einige Blumensträuße dekorativ herumstanden und einen angenehmen Frühlingsduft verbreiteten. Dass eine Wasserkaraffe bereitstand und Kerzenlicht das Zimmer erfüllte.
Entsprechend freudig-erregt war sie nun, als sie die Türe aufschob, und durch den Spalt in das Zimmer schlüpfte. Die Tür schloss sie rasch hinter sich.
Immerhin wurde sie erwartet.
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