Nachtmusik

Es war eigenartig.
Nie, noch nie in ihrem ganzen Leben war sie sich einer Entscheidung unsicher gewesen – wirklich unsicher. Sie hatte oft die Ahnungslose, die Unentschlossene gemimt, um ihre Meinung, ihre wahren Gedanken unter Verschluss zu halten.
„Sei schlau, stell dich dumm.“ Hatte ihr Vater immer gesagt. Und oh, wie Recht er gehabt hatte.

Es war ihr niemals schwergefallen die Fakten die ihr vorlagen zu bewerten und einen Schluss daraus zu ziehen. Kamen neue Fakten dazu, war sie auch durchaus in der Lage ihr Urteil zu revidieren und sich ein neues zu machen, die neuen Tatsachen dabei berücksichtigend. Wichtig war bloß, dass niemand ihren Irrtum bemerkte. Sich zu irren wirkte schwach, und Schwäche war verachtenswert.

Mit einem tiefen Atemzug hob sie das Kinn an und äugte im Halbdunkel der Nacht hinüber, dort, wo ihr Ziel saß. Nur eine einsame Laterne erhellte den Ort, dort, wo sie das Ziel erspähen konnte, während sie selbst mit ihrem dunklen Mantel perfekt mit der Nacht verschmolz.

Ihr Kopf war voller Gedanken. Nie hatte sie ihr Urteil so häufig revidieren müssen wie in dieser Stadt. Es war, als brächte sie das schlechteste in den Menschen an die Oberfläche, und kratzte man daran nur ein klein wenig brach es hervor. Und überraschte einen, im schlechtesten Fall.
Langsam wurde sie sich der Tatsache bewusst, dass jeder in dieser Stadt Geheimnisse hatte. Es war anders als Zuhause, wo die Leute einfältig und leicht zu durchschauen waren. Sie hatte sich in die Arena begeben – und lernen müssen, dass sie nicht der einzige Löwe war, der den armen Kämpfern zusetzen wollte.

Mit einem tiefen Einatmen hob sie den Arm an, und spähte durch das Visier des Revolvers. Sie hatte ihr Ziel genau im Blick. Ahnungslos saß sie dort, hatte nicht die leiseste Idee, dass ein Lauf auf sie gerichtet war. Wieder ein Einatmen. Ein Daumen der den Hahn spannte.
Herzschlag.
Einatmen. Ganz ruhig.

Bambam.

Wie Peitschenknall zuckten die Geräusche durch ihr Bewusstsein. Glasklar, schneidend und unfassbar laut in der Nacht. Sie hatte getroffen – natürlich hatte sie das. Ein zufriedener Schauer brandete durch ihren Leib, und sogleich hatte sie das Gefühl ein wenig klarer denken zu können. Sie hatte mit voller Absicht auf den Gehörschutz verzichtet, und das leise Klingeln in ihren Ohren war ihr willkommene Ablenkung. Sie liebte das Geräusch beim Abschuss. Liebte das Geräusch wenn sie traf, und es feuchtschmatzend auseinanderplatzte.

Feurigen Geruch in der Nase, trat sie dann hinüber, in das Licht der alten Laterne. Mit dem Fuß stupste sie eines der abgeplatzten Stücke an, welches nun in einer roten, feuchten Pfütze lag. Sie war unzufrieden, denn es war nicht vollkommen zerplatzt. Ein Stückchen der Melone hing noch am langen Nagel der, in den abgesägten Baumstumpf getrieben, ihre Ziele für sie an Ort und Stelle hielt.

Sie würde nicht zulassen, dass man ihr in die Quere kam. Würde der Versuch dennoch unternommen, war es an der Zeit jemandem zu zeigen wo sein Platz war. Und mit einem Blick auf den Obstsalat aus zerplatzten Melonen, Orangen und kleinen Walnüssen zu ihren Füßen wurde ihr klar, dass sie hoffte dass es dazu kommen würde.