Es ist niemals gänzlich still.
Sogar mitten in der Nacht, wenn der Mond hoch am Himmel steht, kein Wölkchen die Sterne verdeckt und kein Lüftchen geht, ist es in der Stadt nicht still.
Auf dem Land, auf den Feldern und in den Wäldern sind es Zikaden, Eulen, nächtliche Jäger und Gejagte die einen Geräuschhintergrund schaffen.
In der Stadt ist es gar nicht so viel anders – nur, dass die Jäger betrunken oder goldgierig sind, und die Gejagten unvorsichtige Mädchen, Geldbeutel oder schlecht gesicherte Türen oder Fenster. Feuerprasseln, Schritte, Gesänge. Der Bäcker der aufsteht und die Backstube anfeuert, während die letzten Tavernengeister auf dem schwankenden Heimweg sind.
Es war ihr schwer gefallen sich an die Stille zu gewöhnen. Ein halbes Jahr lang hatte sie in einem Bienenstock gewohnt, hatte es Summen gehört und wimmeln gesehen. War Teil von beidem gewesen. Nun war der Jäger fort, die Beute wieder sicher, und es gab keinen Grund mehr sich im Bienenstock aufzuhalten.
Ihrer Meinung nach gab es den sehr wohl.
Sie hatte seit Tagen nicht geschlafen.
Die Stille erdrückte sie, und doch ertrug sie niemanden in ihrer Nähe. Albert hatte sie fortgeschickt, der arme Mann wohnte seit Tagen im Haus nebenan und kam nur zur Erledigung seiner Arbeit – und nur dann, wenn sie nicht daheim war. Fünf Stockwerke – und sie ertrug es nicht einmal wenn drei davon sie trennten.
Die erste Nacht war sie rastlos gewesen. War durch die Küche gelaufen, hatte mit den Fingerspitzen in der Dunkelheit den Tisch, den Steinofen, die Schränke befühlt. Hatte die Finger dicht über die glühenden Kohlen gehalten um herauszufinden ob sie wirklich da war. Es war so unheimlich still gewesen, dass sie ihr eigenes Blut in ihren Ohren hatte rauschen hören, das eigene Herz gegen die Rippen hatte schlagen hören.
Jede Nacht stand sie nun in einem anderen Zimmer – erst im Keller bei den Truhen, dann im Kaminzimmer, im Schlafzimmer, in den Gästezimmern. Die vertraute Umgebung wirkte beruhigend auf sie – und wühlte sie gleichwohl auf. Die klaren, schnörkellosen Formen die sie für ihre Einrichtung gewählt hatte, die nüchternen, freudlosen Farben lenkten ihre Gedanken in gerade Bahnen und halfen ihr sich zu konzentrieren.
Heute stand sie im obersten Stockwerk, auf dem winzigen Balkon an ihrem Fenster. Er war so klein, dass sie noch halb im Zimmer stand – kaum mehr als ein Geländer auf der Außenseite ihres Fensters. Sie trug nur ein schwarzes Leibchen an dem ein lauer Abendwind zog, es im Mondlicht flattern ließ. Das Haar, das so lang gewachsen war seit sie in die Stadt gekommen war, trug sie offen, sodass der Wind auch mit den langen ungleichmäßigen Wellen spielen konnte.
Im ganzen Haus brannte kein einziges Licht – einzig der volle Mond ließ einige wenige silbrige Lichtstreifen in die Räume dringen und erleuchtete das sündhaft teure Kleidungsstück aus feinster elonischer Seide, welches auf ihrem Bett ausgebreitet lag.
Ein scharfer Windzug sog ihr Kleid nach hinten, in den Raum. Sie hob den Kopf, nur ein wenig, um die schöne Kinnlinie ein wenig anzuheben.
„Ich habe mich gefragt, wann du kommst.“ Sprach sie leise, als er sich von hinten an ihren Leib schmiegte und den ihr vertrauten Stahl zärtlich über ihre Kehle gleiten ließ.
Es war ein Spiel. Die Bauern waren schon vor langer Zeit gesetzt worden.
Nun wurde es Zeit, die wichtigen Züge vorzubereiten.
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