Familie

Langsam aber sicher kehrte das Gefühl in ihren
Körper zurück. Mit einer schildkrötenartig-langsamen
Bewegung wischte sie sich das Blut von ihrer linken
Wange. Sie verzog das Gesicht minimal. Eine Verletzung
vom eigenen Dolch zugefügt. Was für eine Schmach.
In gleich-gebliebener Geschwindigkeit rappelt sie sich
wieder auf. Noch etwas unsicher taumelt sie auf der Stelle
und hält sich den Kopf. Geschwächt fällt sie auf ihre Knie
und drückt sich die Hand auf den Magen. Anscheinend ist
ihr wohl schlecht. Aber nicht von dem Anblick des Leichnams,
der vor ihr liegt sondern von der Fähigkeit, die sie benutzt hat.
Sie schluckt einmal und atmet tief durch.
''Einatmen ... ausatmen'', murmelt sie leise, während sie
versucht sich wieder zu fassen. Sie schließt die Augen und
entspannt sich. Die Übelkeit ist wieder so schnell weg wie sie
gekommen ist. Sie öffnet wieder ihre Augen, diese fokussieren
Lethos Köcher und Bogen. Zufrieden erheben sich ihre
Mundwinkel und die Hände greifen nach der Ausrüstung des
Toten.
''Das ist das Mindeste'', zischt sie leise und blickt wieder
gleichgültig drein. Vorsichtig steht sie wieder auf und beim
2. Mal klappt es auch endlich. Sicher steht sie auf ihren Beinen.
Die Erschöpfung ist der blauhaarigen Frau deutlich anzusehen.
Gemächlich läuft sie am Platz des Geschehens herum und
sammelt ihre Wurfmesser und den Dolch ein.
In der Entfernung ist ein lautes Donnern zu hören. Allem
Anschein nach wird es wohl bald zu Stürmen anfangen.
''Letho ist hier in den Wald gegangen um Holz zu hacken!''
Hört Dakouter eine Frauenstimme aus unbestimmter Nähe.
Sie kneift die Augen zusammen und läuft so gut es geht
in Richtung dichtes Gebüsch. Müde lässt sie sich in eine
Hecke fallen. Misstrauisch schaut sie zum toten Körper.
Wer könnte das sein?
Fußstapfen. Mehrere Personen, wahrscheinlich
Drei Männer,
eine Frau ... und ein Kind? Argwöhnisch hebt sie die Braue
und wartet geduldig ab. Die Schritte der Frau werden immer
schneller, sie rennt.
''LETHO!'', schreit sie laut auf und kniet sich vor den Kopf.
Eine braunhaarige Frau mittleren Alters, circa so alt wie der
Tote.
Mehrmals brüllt sie verzweifelt seinen Namen und stubst den
leblosen Körper. Die restlichen Personen nähern sich dem
Leichnam. Ein kleines Mädchen tritt an die Frau heran.
Mutter, Tochter und Vater beisammen.
Die Brünette fängt das Weinen an und nimmt das Töchterchen
in den Arm. Das Kleinkind versteht wohl noch nicht so genau
was gerade passiert und was es bedeutet. Aber die blauhaarige
Frau, die den Mann umgebracht hat, weiß es ganz genau ...




Der Revolver liegt auf dem Tisch vor ihr. Die weißen Lilien gleich
daneben.
''Familie'', murmelt sie leise. Ihr Blick haftet stur auf der Pistole.
Sie schluckt.
Wie kann ich mir eine Familie wünschen, wenn
ich selbst diese
anderen geraubt habe? Ich habe Kinder, Geschwister, Väter und
Mütter umgebracht. Da hab ich doch nicht das Recht, mir so etwas
zu wünschen? Oder?
Sie greift sich die Waffe und hält den Lauf
in die Richtung ihres
Gesichtes. Der Finger rutscht langsam in Richtung Abzug.
''Einmal kurz mit dem Finger drücken und schon ist es vorbei ...''
Flüstert sie vor sich hin. Ihre Hand zittert und eine Träne kullert
die linke Wange runter.
Traurig schnieft sie und lässt das Schießeisen wieder fallen.
Ich bin nich besser als Letho oder Rinnek...