Sie schaffte es gerade eben bis zur Türe.
Es kostete sie all die Überwindung die sie aufbringen konnte, all ihre Willenskraft, um den Schlüssel aus dem Rock zu fischen. Sie brauchte vier Versuche, bis er im Schloss steckte und sie ihn drehen, die Türe aufsperren konnte.
Kaum hatte sie die Schwelle übertreten, stürzte sie rückwärts gegen die Tür. Geräuschvoll knallte die Türe ins Schloss, während sie mit dem Rücken gegen das Holz prallte und daran hinabrutschte, noch während das erste Schluchzen aus ihrer Brust hervorbrach.
Als sie sitzend auf dem Boden ankam, Taft und Federn ihres Kleides polsternd unter dem Hintern, rannen bereits heiße Tränen ihre Wangen hinab.
Seit Stunden hatte sie den Damm gekittet, seit Stunden hatte sie das Wasser zurückgehalten. Sie war zuletzt mehr als nah an einem Deichbruch gewesen, doch sie hatte ihn abgewendet – dafür brandete die Sturmflut nun umso heftiger über sie hinfort.
Sie barg das Gesicht in Händen und schaffte es nicht im Ansatz an sich zu halten. Ihre Wehklage hallte durch das Haus, in dem sich zu ihrem Glück niemand außer ihr aufhielt, sodass ihr Schluchzen und Weinen schlussendlich von der Einrichtung geschluckt, und bald dem Vergessen überantwortet wurde.
Er hatte Recht. Sie war dumm. So unendlich dumm.
Wie hatte sie glauben, wie hatte sie denken können.
Wie hatte sie naiv genug sein können einer Traumvorstellung zu erliegen.
Während sie aus zusammengekniffenen, verheulten Augen in das Dunkel ihrer Küche starrte, brachte ein ersticktes Schluchzen ihr heftigen Halsschmerz, ließ sie würgen.
Sie klang jämmerlich, suhlte sich im selbstgeschaffenen Elend wie ein Schwein im Schlamm. Plötzlich fiel ihr das Kleid wieder ein.
‘Du hast das schönste Kleid von allen. ‘
Mit einem Schrei voll Verzweiflung, voll ungezügelter Wut sprang sie auf die Füße – und riß sich den teuren Brokat, den Taft und die Federn in zornigen Fetzen vom Leib, bis sie alleine mit ihren Schuhen bekleidet in der Küche stand, in einem Meer aus schwarzen und blassblauen Stoffstücken.
Mit einer Fratze wie ein Nachtmahr, mit gefletschten Zähnen, verquollenen Augen und verkrampftem Hals stand sie nackt in ihrer Küche, und gab einen gutturalen, urtümlichen Schrei von sich, der all das beinhaltete was sie nicht in Worte zu fassen in der Lage war.
Raufend vergrub sie die Finger im Haar.
Dummes Kind. Dummes, dummes Kind.
Plötzlich wurde ihr bewusst, dass er sie beobachtete. Er sah zu, wie sie sich wand wie ein Wurm im Scheißhaufen, nackt und fett in ihrer Küche, verquollen und hässlich.
Sie konnte die Abscheu beinahe in der Luft schmecken.
Er hatte sie gewarnt. Vor ihm und seinesgleichen.
Sie hatte seine Warnungen ausgeschlagen, hatte zugelassen in eine Traumwelt abzudriften und nicht gemerkt, wie sie den Boden unter den Füßen verloren hatte. Wie sie entschwebt war.
Der Aufprall, als sie nun aus den Wolken stürzte, war dafür umso heftiger.
Ihre Brust brannte, heißt und prickelnd, und sie stellte sich vor, wie ihr Herz, als es am Esstisch geplatzt war, von innen wie Millionen spitzer Glasnadeln in ihrem Fleisch steckte.
Sie würde es kitten. Es würde seine Zeit dauern, doch der Kitt würde aushärten. Steinern werden.
Und bis es soweit war, war ein eiserner Schutzvorhang, eine hervorragende erste Maßnahme.
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