Spoiler - Detaillierte Gewaltdarstellung
Leise hallten die zarten Töne der Musik durch das leblose Anwesen.
Schon vor Stunden hatte die Nacht ihren Schleier aus Dunkelheit über das Land gebreitet und ihn auch in die Zimmer vordringen lassen die nun still und unbewohnt dalagen, fein drapiert und zurechtgemacht für Gäste die niemals kommen, Hausherren die niemals wiederkehren würden.
Das Lied welches durch die dunklen Gänge hallte, die bar jedweden Teppiches, jedweder Bilder und anderem unnützen Dekor waren, verhallte auch nicht an den Fenster, welche immerhin dunkle Vorhänge aus schwarzem Brokat trugen, um bei Bedarf neugierigen Augen den Einblick zu verwehren. Farblich passten sie zum dunklen Graugrün welches die Wände schmückte, zum braunschwarzen Holzdekor an Decken, Wänden und Boden, und zu den gusseisernen Lampen und Kerzenhaltern welche ebenfalls bei Bedarf spärliches Licht spendeten.
Gerade brannte bloß in einem Zimmer Licht. Ein Fünfarmiger Kerzenleuchter aus Silber, der schlichte, weiße Kerzen trug, und jedweden Pomp missen ließ der über schlichte, minimierte Eleganz hinausging spendete mit steter Flamme Licht – Kein Windzug ließ die Schatten flackern.
Das gesamte Haus war in diesem minimalistischen Stil gehalten – die Rawsons waren reich, manch einer würde steinreich oder stinkreich sagen. Doch sie trugen es nicht zur Schau. Niemals, zu keiner Zeit. So wirkte das Haus, das in dunklen Farben gehalten und mit scharfen Ecken und Kanten versehen war, abweisend und schroff, und fügte sich gut in das leicht hügelige Vorland des nahen Gebirges im Osten ein, das sich Nördlich von Löwenstein, am östlichsten Ende der Gendarran-Felder befand.
Elizabeths Finger schwebten behände über die kunstvollen Tasten des Orchesterflügels, während die in weiße Seidenschühchen gehüllten Füße mit eleganter Bewegung die Lyra bedienten. Das weiße Kleid, welches sie trug, war kunstvoll gefertigt, und verlieh ihrer Figur schöne Kurven. Sie sah nicht dick aus darin, sondern schön. Wirklich schön. Sie mochte wie der Stoff sich um ihre Hüfte schmiegte, und die Taille betonte – ja, sie fand sich schön.
Die Melodie die sie spielte, war eine wechselhafte. Es war ein Lied über den Wechsel der Jahreszeiten, und wo sie am Anfang noch zarte, flatterhafte Töne gespielt hatte, waren nun satte, warme Töne zu hören, die den Frühling abgelöst, und den Sommer eingeläutet hatten. Die Blondine hielt die Augen derweil geschlossen, verlor sich in der Musik. Mal wandte sie das Gesicht leicht zur Seite, mal ruckten ihre Augenbrauen eng zusammen. Sie liebte die Musik, und ließ sich zur Gänze davon tragen.
Neben dem Flügel, auf der langen Tafel aus massivem Holz, standen ein leergegessener Teller am Kopfende, sowie zwei eingedeckte Plätze die nicht benutzt worden waren rechts und links davon. Das Weinglas stand nur mehr halbvoll auf dem Flügel, und zeigte bei jedem Tastenschlag leicht konische Ringe die sich durch die Flüssigkeit fortbewegten.
In ihrem Kopf, hörte sie ihn schreien. Immer noch.
Die Männer hatten hervorragende Arbeit geleistet. Hinweis um Hinweis hatten sie besorgt, hatten ihr die Puzzelteile zurechtgelegt – und sie hatte das Bild zusammengesetzt. Lange hatte ihr ein essentielles Teil gefehlt, störte das Gesamtbild, ließ sie schlecht schlafen und sorgte dafür, dass sie ihre wohlkontrollierten Emotionen nicht im Zaum halten konnte.
Doch jetzt würde alles besser werden.
Nackt und schmutzig, schwitzend und zunächst noch trotzig hatte er auf seinem Holzstuhl gesessen. Festgebunden. Sie hatte ihn mit den Männern gemeinsam hergeschafft, sie ihn für sie zurechtgemacht und ihn betäubt. Sie war derweil bei ihrem Arzt gewesen, denn der Kerl hatte sich gewehrt, hatte ihr eine Kugel in die Schulter gejagt.
Sie hatte gleich anfangen, und ihn wecken können. Sie erinnerte sich mit Wohlgefallen daran, wie er schreiend erwacht war, als sie ihm die glühenden Nadeln unter die Fingernägel geschoben hatte. Langsam, und mit Genuss, um jede winzig kleine Emotion auszukosten.
Sie hatte ihm Zeit gelassen. Hatte sich sein schnaufen, sein Fluchen angehört. Er musste sich erholen, sollte den Schmerz verarbeiten. Sie wollte ihn nicht zu früh verlieren. Wollte hören, was er ihr zu sagen hatte.
Am Anfang bekam sie zu hören, sie sei ein Miststück, sie solle ihn gehenlassen, er wisse gar nicht was das ganze sollte.
Nachdem sie ihm mit einer Pinzette einige Hornissen aus einem sorgsam geschüttelten Glasbehälter auf die Brust gesetzt, und sie hatte zustechen lassen, schrie er sie an, sie sei eine Schlampe, eine die er offenbar nicht gut genug gefickt hätte.
Als sie ihm die Gesichter seiner Freunde vorsetzte, eines nach dem anderen einer großen Kokosnuss übergestülpt, erbrach er sich, und jammerte darüber, sie sei wahnsinnig, und möge ihn doch bitte gehen lassen.
Als sie ihm mit der Spritze ihres alten Leibarztes große Blasen von Säure unter die Haut spritzte, gestand er. Seine Schreie waren schrill, sie waren laut und durchdrangen den Körper bis ins Mark. Im Haus konnte ihn niemand hören – der Keller war gut isoliert was Schall anging, das wusste sie. Ihr selbst drangen diese Laute tief, und stellten die feinen blonden Härchen ihrer Arme in zufriedener Erregung auf.
Als er nach vier Tagen ohne Schlaf in eine Ohnmacht fiel, wusste sie nicht, ob es durch Schmerz, Erschöpfung, durch aspiriertes Erbrochenes oder doch schlicht durch die Säure in seinem Körper geschah, die die Haut und das Fleisch aufgelöst, und sich durch seinen Körper gefressen hatte. Eine letzte Befriedigung, empfand sie darin, den Stuhl in Brand zu stecken. Ein letztes Mal erwachte er, und schrie. Oh, wie er schrie, als sie ihn dem Tod zuführte, den er so vielen ihrer Angestellten gebracht hatte. Den er, wie sie früher dachte, ihren Eltern hatte angedeihen lassen.
Der Geruch von verbranntem Fleisch war längst verzogen, die Schreie waren verstummt.
Sie hatte sich durch einen Stürmischen, tobenden Herbst gespielt, und nun zog ein rauschender, ein wilder Winter auf. Sie schwitzte, denn die aggressiven Tonfolgen verlangten ihr sämtliches Können ab. Das zusammengesteckte Haar fiel in Löckchen auseinander, klebte auf der geröteten Haut, verdeckte ihre Sommersprossen. Mit einem tosenden Crescendo brach die Musik dann ab, und sie erhob sich derart ruckartig, dass das Höckerchen umstürze, und rücklings zu Boden fiel.
Kräftig, zielorientiert waren die Schritte, die sie nun hinauftrugen, Stufe um Stufe in den ersten Stock. Vor der Flügeltüre hielt sie kurz inne, nur eine Sekunde, ehe sie die Hände an das Holz legte, und mit einer energischen Bewegung die Pforte bewegte. Während die beiden Türen rechts und links geräuschvoll gegen die Wand stießen, stand das Mädchen im weißen Prinzessinnenkleid im Rahmen, und hatte, schwer atmend, den Blick auf den Mann gelegt, der auf dem Stuhl mitten im Zimmer saß.
„Bist du endlich zur Vernunft gekommen? Schneid’ mich los.“ Hörte sie die kühle Stimme, die ihr voller Abneigung entgegenschlug.
Sie antwortete ihm nicht.
Sie wandte den Blick ab, fasste ein neues Ziel ins Auge. Die Schritte die sie nun setzte, waren bemessen, kraftvoll, aber wohlüberlegt. Ihre Absätze durchschritten die klebrige Blutlache die den Saum ihres Kleides rot benetzte, ehe sie über den leblosen Körper der verdreht auf dem Boden lag hinfortstieg.
Weiter, zum Schreibtisch, in den Rücken des sitzenden.
„Ich habe dich nicht so erzogen.“ Erläuterte der nun ruhig. „Du bringst Schande über unsere Familie. Über mich.“
Sie schloss kurz die Augen, legte die rechte hinter den Rücken und kam wieder vor. Stellte sich vor den Mann. Mit von der Musik zerstörter Frisur, mit rosigen Wangen und einem lodernden Feuer im Blick, sah sie dem Mann ins Gesicht der ihr Vater war.
„Du hast Recht.“ Sprach sie dann, nach einer Weile. „Es tut mir Leid. Es ist Zeit.“
Sie wusste, dass ihr Vater Entschuldigungen hasste, und doch mischte sich Zorn nun mit Skepsis. Das las sie in seinem Blick, während sie sich vorneigte, um die Lippen nahe an sein Ohr zu bringen. Sie spürte die Kühle, wusste, dass sie Hitze ausstrahlte.
„Zeit, dich zu beerben.“
Noch bevor der Mann realisieren konnte was genau seine Tochter soeben gesagt hatte, zog sie die rechte hinter dem Rücken hervor, und stieß ihrem Vater den eigenen, giftbenetzten Dolch zwischen die Rippen, und trieb die Klinge bis hinauf ins Herz.
Sie hörte das erstickte Schnaufen, ein leises Gurgeln – die Lunge war verletzt. Das war ihr Recht. Lachend stieß sie sich von ihm ab, trat einen Schritt zurück und riß ihm schmatzend das Messer aus der Brust.
Das Blut, das ihr entgegenspritzte, besprenkelte das reinweiße Kleid. Verzierte es mit einem Blutroten Muster, so einzigartig, wie es sonst kein Zweites gab.
„Weißt du“ sprach sie, während ihr Vater röchelnd um sein Leben rang. „Du und Mom, ihr habt euch verpisst, Daddy. Ihr habt mich alleingelassen, weil ihr Angst hattet. Habt mich zurückgelassen. Das ungeliebte Mädchen, das Kanonenfutter.“ Sie lachte heiter, streckte die Arme von sich und drehte sich im Kreis, das Blut von der Messerspitze tröpfelnd verteilend während ihr Rock sich bauschte.
„Sieh mich an! Ich bin Ratsherrin und reicher als du es jemals warst. Du tauchst nicht einfach auf und nimmst mir weg, was rechtmäßig mir gehört. Niemand tut das.“ Sie hielt inne. Kicherte.
Dann trat sie näher, beugte sich vor, und schürzte spöttelnd die Lippen.
„Was? Du hast dazu garnichts zu sagen? Sonst hast du doch immer so viel zu sagen gehabt, mh? Elizabeth tu dies nicht, Elizabeth lass das, du nichtsnutziges Kind – aber heute bist du so still? SO STILL?!“ Sie zimmerte ihm in einem spontanen Anflug von gleißendem Zorn den Messerknauf mitten ins Gesicht. Ein Knochen knirschte.
„Und jetzt verreckst du hier.“ Sie lächelte.
Ihr Vater hob die kalten, grauen Augen aus denen der Lebensfunke zu weichen begann, und blickte sie an. Blut quoll aus seinem Mund, bildete Bläschen als er keuchte: „Du bist Nichts ohne mich.“
„Ich bin alles ohne Dich.“
Es dauerte nicht lange, bis sie hörte wie seine Atemzüge flacher, seine Regungen weniger wurden. Schließlich hing der Mann der ihre Vergangenheit symbolisierte leblos im Stuhl, während Blut weiter sickerte, und sich auf den polierten Dielen mit dem Blut ihrer Mutter vermischte, die schon seit Stunden tot war. Sie hatte sie hier liegen lassen – doch es war dumm gewesen zu glauben sie hätte ihrem Vater damit zusetzen können.
Die Leiche, die an der Türe lag hatte ihrem Vater zugesetzt. Das Flittchen von Dienstmädchen, das sie mitgenommen hatten. Ihre Leiche lehnte zerstört, zerschnitten und zerstückelt neben der Türe – das alleine war nötig gewesen, um den alten in Rage zu versetzen.
Sie hatte ein Blutbad angerichtet.
Sie hatte aufgeräumt.
Nun schritt sie in dem unschuldsweißen Kleid, auf welchem Blutflecken wie sattrote Röschen prangten, um den Schreibtisch herum, ließ die Fingerspitzen am Holz entlanggleiten. Einen ehrfürchtigen Moment lang, stand sie neben dem Stuhl ehe sie den Schritt wagte, und sich davorstellte.
Die Hände auf die mit kunstvollen Schnitzereien verzierten Lehnen legend, nahm sie dann Platz im Stuhl des Rawson Patriarchen.
Sie war alles ohne ihren Vater.
Und das erste Mal, seit die Blutlinie der Rawsons bestand, würde die Familie eine Frau an der Spitze haben.
Denn sie war alles ohne ihn.
Sie war Matriarchin.
Als sie die Augen aufschlug, und ihre Finger auf den Flügeltasten wiederfand, empfand sie die Stille um sich herum als drückend.
Das Kleid reinweiß, war sie nur Elizabeth.
Elizabeth die Freundin.
Elizabeth die Ratsherrin.
Und solange ihr Vater nicht zurückkam, war sie Matriarchin.
Und sie würde dafür Sorge tragen, dass es so blieb.
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