Träumerei

Dumpf drang das leise tröpfeln an ihr Ohr, ohne das sie danach ausschau hielt. Es war leise, so unscheinbar, doch sie hatte genug Zeit in der Höhle verbacht, um genau zu wissen woher es stammte. Sie spürte es im Gestein, spürte, wie die feinen Salze und Mineralien dieses kleinen Tropfens ihre Spuren am Fels hinterließen. Es war nichts für das bloße Auge. Nichts, was man mit einem einfachen Blick hätte greifen können. Sie selbst wusste auch nur darum, weil sie schon seit zwei Tagen an den Fels gekettet war und sich die Zeit damit vertrieb, die Höhle mit anderen Sinnen zu ertasten. Trotz der geschlossenen Augen, von Erschöpfung und Müdigkeit in die Knie gezwungen, sah sie das unsichtbare Leben in diesem kargen Gefängnis. Das kleine Getier in den natürlichen Teichen und Pfützen der Höhle. Seltener eine Ratte oder Assel, die sich hier her verirrte und ihre Wärterin wieder zur Wachsamkeit gemahnte, wann immer das fiepen oder schaben zu nahe kam.
Vera selbst wurde als ungefährlich eingestuft. Das dumme Blondchen, dass so naiv war, sich in die Höhle des Löwen zu wagen. Ja, es war naiv gewesen, aber ebenso genial, wo es doch genau so lief wie erwartet. Eine weitestgehend waffenlose Geiselnahme, abgesehen von ihrer Leibwache, die am Ende sogar den unnützen Freitod wählte. Nur einen Moment, einen ganz kleinen, fühlte sie Schuld unter der Erschöpfung...doch dann war sie auch wieder fort, begraben unter dem Gefühl steifer Glieder und Müdigkeit.


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Es tröpfelte immer noch. Leise, konstant und unaufhaltsam. Ihre Wächterin nahm es immernoch nicht wahr, doch das war nicht ihre Schuld. Sie achtete auf weltlichere Dinge und konnte nicht ahnen, dass sie hier drin sterben könnte, würde es nur in den Plan passen. "Wie lange noch?" Hörte Vera sich selbst sagen und war sich doch nicht sicher, ob sie sich die Frage nicht nur im Geiste stellte. Doch Elena regte sich, blickte zu ihr und musterte die mittlerweile jämmerlich anmutende Gestalt der Künstlerin, die tatsächlich einen Funken Mitleid in der Norn geweckt hatte. Sie wusste es, weil sie sich darüber unterhalten hatten bei der letzten Mahlzeit. Es war nicht viel was man ihr gewährte, doch die gute Führung und fehlende Wehr, hatten ihr einen Luxus in der Gefangenschaft zugestanden, von der andere nur träumten. Das, gepaart mit der Lüge der Notwendigkeit, brachte ihre Wärter sogar regelmäßig dazu, ihr das Eisenkraut aufzukochen. Weil es ihr an Eisen mangelte, so sagte sie. Sie brauche es, ihre Cousine verschreibe es ihr regelmäßig. Sie glaubten es und waren darum bemüht, der armen Seele die einfach nur zur falschen Zeit, am falschen Orte war, wenigstens das bisschen zu gewähren. Von dem bisschen Geld das sie aus ihrer Tasche entwendet hatten, brachte Lex morgens sogar Obst mit. Selbst Decke und Kissen hatte sie in ihrer misslichen Lage. All das nur, weil sie sich an ihren Plan hielt und ihre Statisten taten, was ihrer Rolle zugedacht war. "Bis die Übergabe stattfindet. Tut mir leid...gings nach mir, würdest nicht hier sitzen." Es tat der Norn leid und Vera rang sich ein erschöpftes Lächeln ab. "Ich weiss doch, ich weiss..."


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Es war schwer die Zeit im Auge zu behalten, wenn einem die Sonne zum messen fehlte. Wie lange saß sie nun schon hier? Drei Tage? War es schon der Vierte? Ihre Glieder schmerzten und das klammern an die Genialität ihres Plans, wich der Sorge und dem Kummer. Es war dumn gewesen sich unter den Scheffel zu stellen, nur um diese Bauernhorde vom Spielfeld gegen ihre Familie weg zu fegen. Noch dümmer war der Hochmut und die Ignoranz dahinter, trug sie doch wachsendes Leben in sich, dass sie mit aufs Spiel setzte. Es war so fürchterlich dumm, doch auch zu spät zur Rückkehr. Schritte hallten durch die Höhle, schwer und unbeugsam. Zwei Personen waren es, doch nur eine davon brannte sich sofort in ihr Gedächtnis und jagte ihr einen unwohlen Schauer über den Leib. Er war der erste dieser Truppe, der derlei in ihr geregt hatte. Der erste bei dem sie wahrlich um ihre Gesundheit bangte und all das mit einem einzigen Blick. Es brauchte kein Wort von seinen schmalen Lippen, um zu wissen was er täte, wären nicht soviele Zeugen da. Dieses boshafte Grinsen, die Mahnung geschmälerte Wolfsaugen, die eine Frau nur auf nacktes Fleisch reduzierten....
Sie fürchtete die Dinge die er tun konnte und verabscheute ihn.


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Die Horde war zerschlagen, der feige Kopf untergetaucht. Es war tatsächlich alles so gelaufen wie geplant, was wahrscheinlich mehr Glück als Verstand war. Sie hatte daraus gelernt und obwohl sie manches mal noch das schlechte Gewissen verspürte, die Schuld eines weg geworfenen Lebens, war sie nicht minder Stolz über den Verlauf der Dinge. Der Rufmord hatte der Garde das Genick gebrochen, konnten sie doch nirgends mehr Fuß fassen. Letztendlich war es leicht gewesen, aber diesen Weg würde sie nie wieder gehen in dieser Form, das hatte Veruca nicht nur sich selbst geschworen, sondern auch dem Kind im Bauche. Jetzt stand sie vor der Tür zur Kammer, wo 'er' drin saß. Verletzt und gefesselt, nachdem er ihrer Familie auf dem Fest in die Arme gelaufen war. Freudige Erregung trug Hitze in den Leib, bedachte sie nur den Rollentausch. Heute war er der Gefangene und sie der Hochmut. "Tu nichts dummes Vera..." hallte Koljas Mahnung, wie auch bitte durch ihren Geist. Sie hatte versprochen nichts dummes zu tun und es war ihr Ernst. Sie wollte einfach das Ungetüm noch einmal sehen, dass soviele schlaflose Nächte brachte. Leise öffnete sie die Tür und trat hinein, nur um das Holz langsam zurück in den Rahmen zu schieben. Er saß auf dem kargen Bett, gefesselt und geknebelt. Sein Hals war notdürftig verbunden, nachdem das Holz der erwählten Waffe Helenas, ihn so spielend leicht durchbohrt hatte. Nur langsam öffnete er wieder seine Augen und lenkte den erschöpften Blick auf ihre Gestalt, bevor er erschrak. Er hatte mit Spott seiner Fänger gerechnet, mit einem Sadisten der ihm Informationen entlocken wollte, die er gar nicht besitzen konnte. Aber das nun das einstige Opfer vor ihm stand, dass war etwas womit er nicht rechnete. Ihr erscheinen jedoch, lichtete endlich den Schleier und er verstand, warum er nun hier saß, während in seinem Blick die Rastlosigkeit eines wilden Tieres in Gefangenschaft einzug fand und ihr Mitgefühl weckte.
Er gehörte nicht hier her. Nicht in diese Ketten...aber sie hatte es versprochen.


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Kühl wehte die kleine Briese vom See, während sie seine Gestalt betrachtete und die Regungen seiner Mimik, beim bergen seines Kleinods. Wie vor wenigen Nächten versprochen, hatte sie darauf Acht gegeben und die Sorgsamkeit mit der sie tat, brachte Verwunderung in seinen Blick. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie seine Bitte so ernst nahm, umso mehr Dankbarkeit und Anerkennung schlich sich in das Bernstein seiner Augen. In diesem Moment, wo das kleine Schmuckschwert von ihrer Haut noch warm, seinen Platz in seiner Pranke fand, hatte sie seine Achtung gewonnen. Er sprach es nicht aus, doch zeigte es mit einem einzigen Blick.
und sie verspürte seit langer Zeit wieder Stolz und Zufriedenheit.


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"Du musst mehr lächeln kleine Lady. Diese Trübsalsmiene steht dir nicht." Tief war die Stimme aus seiner Kehle, unterschwellig von Sorge befangen, die er zu verstecken wusste mit seiner Mimik. Er stand dicht vor ihr, bot Schutz vor flüchtigen Blicken auf den Kindsbauch, der sich nicht mehr verstecken ließ. Sie seufzte schwer, rang sich für ihn aber ein Lächeln ab. Der Gram über die Falschheit ihrer Regung, fraß sich wie ein Parasit in seine gebräunten Züge und währte dennoch nicht lange, um es ihr nachtragen zu können. Stattdessen war es seine Pranke die er hob und beschützend auf das kleine Rund ihres Bauches legte. Zuerst versteifte sie sich, dann spürte sie die Freudentränen in der Kehle brennen, ein so lang vermisstes Hochgefühl, dass schon viel früher hätte da sein sollen. Er tat so Instinktiv und natürlich, mit dem einfachen Recht, dass ihm die Zeit eingeräumt hatte. "Ich pass auf euch auf Lady. Beide."
Und ihr Herz schmerzte, weil sie mehr empfand als sie durfte.


Mit einem schweren Atemzug hob sie die Lider, geweckt vom ersten Gequengel ihres Sohnes und einer Pranke an der Wange, die sie allzu zärtlich aus dem Schlaf und den Träumen lockte. "Du bist dran..." Grollte die schläfrige Stimme ihr entgegen, während seine schmalen Lippen zuckten. Er hob die Augenlider gerade weit genug, damit sie das Bernstein unter den Wimpern hervor blitzen sah, erfüllt von müder Heiterkeit und Zuneigung, die auch aus seinen Gesten sprach. Nur flüchtig strich die rauhe Daumenkuppe ihre Lippen entlang, zeichnete ihre Konturen nach und sensibilisierte sie für den kleinen Kuss der folgte, bevor er sich wieder zurück lehnte und auf dem Bett lang machte. Er hatte seine Pflicht erfüllt, dass verkündete seine Haltung und obwohl er in spielerischer Gleichgültigkeit versank, die das Produkt der Müdigkeit war, wusste sie um seinen wachsamen Blick der ihr zur Kinderwiege folgte. Ein Werk ihres Onkels, der zahlreiche Stunden in das kleine Stück investiert hatte, damit ihr Kind einen angemessen Schlafplatz hatte. Vorsichtig entnahm sie ihr eigen Fleisch und Blut dem Bettchen, wog ihn auf dem Arm und legte ihn an die Brust, ehe sie sich wieder zur eigenen Schlafstätte umdrehte. Während das Gequengel einem kindlichen Seufzen wich, traf ihr blauer Blick aufs Bernstein des Söldners. Es brauchte keine Worte um zu wissen was darin ruhte und in ihrem Blick Erwiderung fand. Es war die Zufriedenheit nach einem langen Kampf, die Ruhe eines Heimes und die Liebe, die ihre Wurzeln stetig tiefer grub.
und sie war Dankbar für jeden einzelnen dieser Blicke.

Kommentare 3

  • Ein toller Werdegang. Es ist schön, zu sehen, wie sich die Dinge entwickeln können im Rollenspiel, sehr rührend.


    Vorhin, als Drair im Anwesen stand, dachte ich mir schon: Und wenn sie heiraten kann Helena immerhin eine schöne Rede darüber halten, wie sie und Veras Mann sich kennen gelernt haben.


    Aggro-Amor-Style. Der Pfeil ging direkt in den Hals. Es war diese Unmittelbarkeit, die alle Widrigkeiten überwinden konnte.


    <3

  • Schön :) brannte auch lange genug unter den Fingernägeln. Müssen nur noch die Tippfehler korrigiert werden hehe.
    meine Ehrung und Widmung an Mr. Drair ♥

  • Ich liebe die Geschichte. <3 Ich liebe sie einfach. Gänsehaut!