Der Iorga hatte seine Frage gestellt und sah die beiden Söldner durchdringend an. Er gehörte zu den Blondschöpfen, die sich zumindest ein wenig Respekt bei der Löwin verdient haben, weil seine Zunge geschmeidig, sein Verstand listig, aber sein Gemüt nicht so wankend erschien wie bei dem Rest der Goldköpfchen, die sie bisher traf. Nein, Khea achtete von ihnen allen einzig Leon und seinen scharfen Verstand. Seine Frage war simpel gestellt - vermutlich damit auch die zwei Dummköpfe der Kupferklinge sie verstanden. Wie weit würden sie und Drair gehen in ihrem heimlichen Bündnis? Wo lagen ihre Grenzen? Und die Antwort schien von höchster Wichtigkeit. Nur kurz spähte sie zum Partner an ihrer Seite. Einzig um einmal Luft zu holen und sich zu erinnern...
Die große Pranke des Löwen öffnete die Pforte und drückte den schlanken, damals noch drahtigen Körper Kheas in den Innenraum des Hauses. Sie war kaum älter als Fünfzehn. Noch war ihr Haar lang und fiel in weichen Wellen bis zum Steiß, selbst wenn sie es hochband. An ihrer Hüfte ruhte noch ein kleines Übungsschwert und ihr schlanker Körper, noch nicht ganz zur Frau erwacht, zeigte die harten, sehnigen Muskeln, die der Mann ihr seit Monaten antrainierte.
Dem Mädchen und dem Löwen folgten drei weitere Männer. Mietklingen, die nur für diesen Auftrag in ein zwanghaftes Bündnis gefügt wurden. Ein Rudel welches sich nach dieser Nacht wieder aufsplittern würde. Wie ein zerborstenes Glas würden sie sich teilen und in alle Himmelsrichtungen verstreuen und einander nie wieder finden. Lautlos schoben sich die Stiefel der Herren über die knarzenden Dielen des Innenhauses. Ein einziger Diener wartete am Fuße der Treppe, doch dieser konnte nicht einmal mehr Luft holen, da brach einer der stinkenden Teufel ihm das Genick. Kheas Blick weilte währenddessen nur auf ihrem Löwen und nur auf diesem. Seine Gestik, Mimik, seine Hände und sein ganzer Körper sprachen zu ihr. Sie wusste ohne einen artikulierten Laut wo sie hin musste. Wo sie stehen sollte. Was sie tun sollte und was nicht. Dieses Haus war ihr fremd, so war der Mann ihre Augen und ihr Verstand. Dieser bewegte sich mit der gewohnten Geschmeidigkeit eines alten Raubtiers gen Durchgang zum Salon. Dort wartete die feine Gesellschaft. Seine Kumpane zückten derweil die Waffen. Schrot. Klingen. Pistolen. Die ungewaschenen Leiber hatten den Eingangsbereich längst mit ihrem durchdringenden Mief erfüllt. Gepaart mit dem herben Duft von Tabak, der von dem Löwen aufstieg und Khea in der Nase kitzelte. Seine schwieligen Kuppen legten sich an das fein geschnitzte Türblatt. „Khea. Geh hinauf und sieh zu, dass niemand dort ist. Zeugen werden beseitigt.“, erklärte er dumpf und mit einem Schubs flog die Salontür auf und der erste Dreckskerl stürmte hinein um die Insassen des kleinen Zimmers mit einer ersten Salve an Schrot in die Polster zu befördern. Schreie wurden laut, als sich das Mädchen abwandte und wie befohlen hinauf glitt. Innerlich wusste sie, dass ihr Löwe sie damit schützen wollte. Seine Informationen waren hieb und stichfest. Alle Anwohner des Hauses sollten sich an diesem Tag im Salon eingefunden haben. Es war der fünfzigste Geburtstags des alleinstehenden Hausherren. Er und seine Freunde hatten sich wohl bei den falschen Leuten Feinde gemacht und mussten nun dafür büßen. Keine Überlebenden. So erklärte man es der kleinen Löwin, die nun eilig die Stufen hinauf hastete- polternd bei jedem Schritt um die Schüsse und Schreie zu übertönen. Sie spielte sogar dieses Spiel, bei dem man nur auf einem Bein hüpfte und zählte. Und sang. Ja, Khea sang ein bisschen dazu, während sich unter das Gurgeln und Betteln der Männer auch die losen Schreie einer Frau mischten. „Warte lass die Hure noch heil... die gefällt mir...“- „Sind noch mehr Diener in der Küche? Geh nachsehen Löwe.“ Und während sie ihn über die Dielen wandern hörte, riskierte sie einen Blick von oben über das Geländer hinab und sah in einem der Schatten, wie man der Dienstmagd das Kleid zerriss und ihre Schreie zu einem Wimmern verklungen und dann einem gebrochenen Schluchzen. Und es den Höhepunkt in einem Schuss fand.
Vielleicht verstand Khea was dort unten geschah. Vielleicht war es nicht das erste Mal. Doch solange der Löwe diese Grausamkeiten vor ihrem Angesicht verschloss, konnte sie ihn weiterhin lieben, ohne eine Frage zu stellen, oder ihn anzuklagen. Sie wusste er war keiner der Männer, die sich am Leid ihrer Opfer ergötzten. Er zerriss keine Unterröcke und vergewaltigte Frauen. Er folgte blind seinem Auftrag. Was die anderen taten, war ihm aber ebenso gänzlich egal. Und sie? Sie folgte ihm.
Nach einigen Momenten der blinden Wüterei wurde der Lärm unten stiller. Khea wandte sich ab. Sie wusste, dass sie nun sauber machten. Jedes bisschen Leben dort wie Kerzenflammen zum erlöschen brachten. Sie selbst sah sich um. So war ihre Anweisung. Doch wie der Löwe schon vermutet hatte, war es totenstill im obersten Stockwerk. Keine Menschenseele. Khea konnte durchatmen.
„Wer bist du?“
Zart das Stimmchen, welches aus dem kleinen Kämmerchen zu ihr durchdrang. Wohl ein Gästezimmer, denn es befand sich im gehobenen Trakt des Hauses, lag aber weit genug vom Schlafzimmer des Hausbesitzers entfernt. Der Hausherr hatte sich Gäste und Geschäftspartner ins Haus geholt. Darunter waren keine Frauen, so der Löwe. Niemand mag daran gedacht haben, dass einer der Väter seine Tochter mitgenommen hatte - nun da seine Frau tot war und das Mädchen allein so schlecht schlafen konnte.
Sie war süß. Etwas pummelig. Milchweiß und trug weich gesponnene, braune Locken zur Schau, die stellenweise ins Kastanienbraun reichten. Ihre Augen lagen grün und hell wie zwei glatte, glänzende Trauben in dem Puppengesichtchen. Ihre Lippen waren jetzt schon rot. In zehn Jahren spätestens wäre aus diesem formbaren Lehm eine Schönheit gereift, die mit Blicken und einem Lächeln die Männerwelt bezaubern könnte. Wäre sie. Wenn Khea nicht ihren Auftrag hätte.
Bitterkeit schlug sich auf dem Antlitz der Löwin nieder, als sie mit einem resignierten, ängstlichen Seufzen auf die Kleine zuging und sie sanft in ihr Zimmer zurück stieß und die Tür hinter sich schloss. Noch ahnte das Vögelchen nichts. „Bist du eine der Bedienerinnen? Papa sagt, ich darf niemand fremdes in das Zimmer la-...“ Schmatzend drang das Metall in den kleinen Körper ein. Um Jahre jünger als sie, fand die scharfe Übungsklinge kaum Widerstand. So zart wie ein junges Reh. Khea wusste wie man mit einem Stich tötete. So oft hat der Löwe es ihr bei der Strohpuppe gezeigt. Es geduldig immer wieder erklärt. Gnade beim Tod zu schenken war wichtig. Töten war nichts schönes, nichts ruhmreiches. Aber es war ihr Lebensunterhalt und das sollte Khea begreifen. Spaß beim Kampf zu empfinden, wenn sich ebenbürtige Gegner gegenüberstanden war das eine - jemanden kaltblütig zu richten, das andere. Und so wollte sie die Sache mit dem Mädchen rasch hinter sich bringen. Jetzt schon zitterte die Junglöwin wie Espenlaub. Doch das Kind starb nicht. Sie musste etwas falsch gemacht haben.
Denn nun spritzte Blut über die Dielen und in das Entsetzen der beiden Kinder mischte sich der Schrei des Püppchens. Hell, blechern und voller Panik. Sie schob sich selbst aus der Klinge, die Khea noch immer in Händen hielt und kroch in panischer Angst vor ihrer Angreiferin davon. Tränen rannen ihr dabei über die Wangen. „Papa! Hilfe! Papa!“ Schreie. Und Schreie. Und Schreie. Sie wollte einfach nicht aufhören! „Sei still!“, brüllte die Blonde das Kindchen an und griff sich in wilder Panik ein Kissen vom Bett. „Sei still!“
Und als sie sich auf das Mädchen warf, zu einem blutenden Knäuel am Boden wurde, brüllte das Mädchen mit hochrotem Gesicht aus Leibeskräften wie ein eben aus dem Schoß der Mutter gequollener Fötus. Khea drückte zu. Mit dem Kissen auf dem zarten Antlitz, drückte sie und drückte sie. So dass das Schreien leiser wurde. Sie hielt den kleinen kämpfenden Körper, während sie selbst hilflos durch den Raum spähte und schluchzte. Tränen rannen ihr über die dunkle Haut. Die Lippen zu einer Fratze verzogen trug sie Kratzer davon und bäumte sich immer wieder gegen die Wut des strampelnden Körpers. Bis sie aufhörte zu schreien. Doch tot war sie deswegen noch lange nicht. Das Kissen fiel zu Boden, das brünette Engelchen hing blutverschmiert und lose in ihren Armen, während es Atemzug um Atemzug röchelnd um Leben kämpfte, während dieses in gleichen Teilen aus ihrem Torso quoll. Khea weinte. Das Mädchen hatte keine Kraft mehr dazu. Blicklos starrte sie in das dunkle Zimmer und schien nach dem 'warum' zu suchen. „Es tut weh...“, flüsterte es da noch. „Ja...“, war die simple Antwort der Blonden und strich ihr eine schwitzige Strähne aus den Augen. „Gleich nicht mehr... gleich...“ Zumindest ihr würde es nicht mehr weh tun.
Eine halbe Stunde später fand sie der Löwe. Einen Fluch auf den Lippen, riss er die Leiche des kleinen Mädchens aus Kheas Armen und warf sich seine Schülerin über die Schulter. Leblos blieb sie dort hängen. Wehrlos und entwaffnet. Schluchzend. Blicklos. Sich eines schwörend...
„Ich mache nichts, wo Kinder und Tiere bei zu Schaden kommen.“, lautete die strickte Antwort der Löwin und breit grinste sie Leon in das hellhäutige Gesicht. Grübchen untermalten das Sinnbild an Oberflächlichkeit. Sie konnte förmlich sehen wie alle Umstehenden Khea in eine Schublade steckten und sie dort für immer einschlossen und das zufriedene Schmunzeln verbreiterte sich. Gut so. Wer die Klinge beim Griff ins Dunkel nicht erwartet. Den schneidet sie umso tiefer.
Kommentare 3
Hannah
uh... richtig beklemmend.
Motte
Ein Tabu für mich, wie du weißt. Ich habe es trotzdem gelesen und finde es ebenfalls sehr ergreifend geschrieben. Es verleiht Khea Zwiebelschichten.
Yero
Tolle Geschichte. Sehr ergreifend und lebendig formuliert.