„Ich möchte aber nicht!“
Kheas Stimme klang gereizt, während sie die Finger tiefer in den Stoff des Kleides grub, welches ihre Mutter sie zu tragen zwang. Es war weiß und aus schlichtem Leinen, gereichte ihr bis zu den Knien und fiel weit und bauchig zu einer hübschen, schlenkernden Glocke. Überall waren blassgelbe Blüten dekorativ über die Säume und Nähte gestickt worden. Für jedes Mädchen war dies der Traum einer Prinzessin. Hübscher als Jennah sei sie darin, sagte ihre Mutter stets, wenn sie die Kleine nach stundenlanger Verfolgungsjagd und gutem Zureden in diesen Alptraum gezwungen hatte.
„Aber es steht dir doch so gut, kleine Wüstenblume.“
„Ich kann damit nicht klettern. Unter den Achseln reißt es wenn ich das Holzschwert schwinge. Wenn ich Akiim verprügele klebt Blut und Schlamm dran und dann schimpfst du wieder. Warum soll ich es dann anziehen?“
„Weil du all dies heute NICHT tun wirst, Khea Asiim!“
Die Stimme der Mutter klang strikt, ein bisschen kühl und resolut. Sie war immer aufrecht, immer gut gekleidet, immer sauber und ordentlich. Selten sah man sie lächeln. Selten sah man sie aus der Haut fahren. Sie war eine ruhige Madonna des Anstands. Und Khea hasste sie dafür. Schmollend schloss sie daher die kleinen Arme vor der Brust, die noch flach war. Gerade einmal Sieben, konnte man das wohl auch noch nicht erwarten. Ein bisschen babyspeckig geartet das Mädchen. Jedoch schon um einiges größer als ihre Brüder und auch schon viel erwachsener wie sie befand. Lang ergossen sich die satten, weichen Lockenkaskaden ihrer Mähne über die schlanken Schulterchen. Füße strampelten auf und ab und trommelten auf die Decke, die über das Bett gebreitet lag. Ihre kleinen Raubvogelaugen taxierten die Mutter als hätte sie willfähige Beute in ihren Fokus gespannt. Gleich würde sie sich auf sie stürzen und fressen! Oder? Letztlich kassierte die Frau nur eine unreife Schnute und ein blähen der dunklen Wangen.
„Akiim wartet aber.“, folgte dann nur als sei dies die Lösung aller Probleme. Und tatsächlich hielt ihre Mutter einen Moment inne und sah ihre Tochter grübelnd an. „Du hast ihn sehr gerne oder?“
„Akiim?“ Khea zuckte neuerlich mit den Schulterchen. „Er's mein allerbester Freund. Auch wenn er ein Waschlappen ist und eine Heulsuse. Ich muss immer die Vogeleier aus dem Nest holen weil er immer herunter fällt.“, plapperte das kindliche Organ in erklärender Manier, begleitet von wilden Gesten und viel Geseufze und Gestöhne. So voller Unverständnis für den untalentierten Freund.
„Er wird älter werden. Und dann wird er dir ein Haus bauen und dich versorgen.“, folgte darauf nur die mehr als leidliche Information der Frau, die sich eine wirre, schwarze Locke hinter das Ohr strich und nach Nadel und Faden suchte. „Halt still Khea... dieser Saum löst sich schon wieder. Ach Kind, ich habe dir doch schon oft gesagt du sollst nicht so toben.“
„Ich mag Akiim aber nicht zum Mann. Der könnte höchstens meine Frau sein.“, folgte es brummig von den Mädchenlippen und in vollkommener Ignoranz der mütterlichen Sorge, kräuselte sie die kakaofarbene Stirn und wollte vom Bett hüpfen, sich den betüdelnden Fingern der Glucke entziehen. Doch bestimmende Klauen ergriffen ihren schlanken, etwas speckigen Arm und brachten sie auf das Bett zurück. „Ich bin noch nicht fertig Khea!“, warnte die kühle Stimmnuance der Mutter nochmals und sie stichelte am Rocksaum herum als gäbe es nichts schöneres auf der Welt zu tun. Khea strampelte wieder mit den Beinen, dass sie die Mutter dabei leicht traf, schien ihr egal. Auch dass sie ihr auf diese Weise die Stiche verleidete. Bis die Nadel ihr kleines Knie traf und das in voller Absicht!
„Aua...“
„Das kommt davon wenn du so zappelst. Halte still.“ Wieder schlossen sich die Ärmchen um die Brust und Khea ertrug diesen Alptraum nun mit schweigsamen Gestarre.
„So... fertig. Schau dir an, ob es dir gefällt!“
Khea hüpfte mit kummervoller Schnute vom Bett und wandte sich dem kleinen Halbspiegel zu, den Vater ihrer Mutter letztes Jahr zum Wintertag geschenkt hatte. Sie sah sich an und verzog das Gesicht. Die Finger wanderten in die Mundwinkel und zogen daran. „Ich seh' aus wie Tante Zhahira!“, grollte das kleine Löwenjunge.
„Oh gar nicht!“ Nun klang die mütterliche Stimme doch etwas pikiert und Khea genoss den vorübergehenden Triumph mit stolzer Wonne. Sie reckte sogar das Kinn eine Spur. „Deine Tante ist uralt und wiegt das Dreifache von mir und ihre Kleider sind noch aus der Zeit als sie einer Gerte glich! Altbacken und peinlich! Khea rede nicht so einen Unsinn. Dreh dich und zeig mir wie schön der Rock schwingt!“
Khea tat es, wenn auch widerwillig. Ihre Mutter klatschte nur begeistert in die dunklen Hände. Das aus Lehm gebaute Bauernhaus bot ihnen nicht viel mehr als zwei Schlafkammern und einen Wohnraum. Und doch sah die kleine Löwin wie eine Prinzessin in diesem Alptraum aus. Oder wie ein Kuchen. Ein besonders fetter Kuchen. Mit viel weißem Zuckerguss.
„Ich seh aus wie ein Törtchen...“
„Ja, siehst du! Ist das nicht wundervoll... komm und zeig es Akiim. Aber nicht tollen!“ Womit sie das Mädchen gen Tür losten wollte. Fest trümmerte sie die Hände gegen die fragilen Schulterblätter des Töchterchens und schob sie voran und schubste sie förmlich durch den offenen Hauseingang, so dass Khea mitsamt weißem Kleid erst einmal ein paar pickende Hühner aufschreckte. Wild flatternd stoben sie davon und verloren dabei unzählige Federn, die tanzend um den kleinen Kinderkörper aufbauschten.
Akiim war derweil dabei eines der fetten Mastschweinferkel über den Hof zu jagen,. Wild fluchend rannte er mit ausgestreckten Armen dem quiekenden Tier nach, welches seine illustre Freude daran zu haben schien den Nachbarsjungen zu piesacken. In überraschend wendigen Bahnen, schlug das Tierchen hastige Haken und entschlüpfte immer wieder seinen findigen, dunklen Fingern. Erst als er das Haus der Asiims passierte stutzte er. Khea stand dort auf der obersten Stufe, eingehüllt in weiß, umgeben von den flatternden Federn, mit diesen herrlich goldblonden Locken, die ihr in weichen Wellen über die kleinen Schultern flossen. Und diese hübschen hellen Augen! Dies war der Moment als der kleine, sieben Jahre alte Akiim sein Herz an seine junge Freundin verlor. Der Moment in dem er sich in das Spiegelbild Kheas verliebte, welches so gar nicht sie selbst repräsentierte. Ein Häufchen Dung wurde dem abgelenkten Jungen derweil zum Verhängnis. Das Schwein schlug neuerlich einen scharfen Haken und brach seitlich aus, versetzte dem Knaben somit einen Tritt und er stolperte. Mit den Armen rudernd schaffte er ganze drei Ausfallschritte, um dann mit der Eleganz eines sterbenden Schwans, mit dem Gesicht voran im Schlamm und Dung zu landen, der den Hof teilweise täfelte. Mit weit ausgestreckten Armen, gleich einem stilisierten Schneeengel blieb Akiim, gedemütigt und von Scham beseelt erst einmal regungslos liegen. Während er vermutlich jetzt schon stank wie eine Jauchegrube, wartete er auf das Gelächter seiner Kindheitsfreundin. Doch dieses blieb aus, so dass er sich langsam, gleich einem verschreckten Tier wieder aufrichtete und schüchtern zu dem Mädchen spähte. Khea stand regungslos am Fuße der Treppe. Dunkle Flecken zogen sich über das weiße Kleidchen. Schlamm und Dung wurden allzu willig in das fein gewebte Leinen gesogen. „Du...“ Kheas Raubvogelaugen blitzten. Er fragte sich in diesem Moment nur stumpf wie sie so rasch zum Treppenfuß gelangt war.
„Ich werde dich sowas von Verprügeln du Dummkopf!“
„Whaaa Khea das war doch keine Absicht!“
So schnell war er noch nie auf den Beinen gewesen und blitzschnell wetzte er schlitternd vor dem wutschnaubenden Mädchen davon, welches ihm nun ebenfalls über den Hof nachjagte. Nun war er das Ferkel und sie der Jäger! Es gab kein Halten mehr, da halfen auch nicht die Schreie ihrer Mutter. Khea, die kleine Löwin sah rot und sie verfolgte ihre Beute quer durch die matschbesudelte Hofanlage.
„Gnadeeeee!“
„Niemals die hast du nicht verdient!“
Akiim war bereits wieder am Heulen, während er spürte, dass ihm langsam die Luft ausging. Auch in Sachen Kondition war ihm Khea stets überlegen gewesen. Pff, so ein Weichei! Mit einem wilden Schrei warf sie sich auf den Rücken des Freundes und dränge ihn zu Boden. „Hör auf zu Heulen und nimms wie ein Mann!“, schrie sie ihn an, als er sich unter ihr drehte und sie auf seinem Bauch zum sitzen kam. Er schrie noch lange Zeit weiter und das Weinen gab er so rasch auch nicht auf, bis Khea glaubte ihn genug bestraft zu haben.
„Der arme Akiim, hast du ihn so schlimm verprügeln müssen?“
Kheas Füßchen schlenkerten nackt durch das Wasser und sie zuckte knapp mit den Schultern. Dass sie ihrem Vater damit alle Fische vertrieb schien ihr egal zu sein. Und ihm auch. Sie saß am Rande des Stegs, er auf einem umgestülpten Eimer. Selbst im Sommer wurde die helle Haut ihres Vaters niemals braun. Und sein blonder Bart von Kupfersträhnen gesprenkelt zuckte amüsiert, während er am Mundstück der Pfeife herum kaute und einen kleinen Rauchring für sie blies. Khea folgte diesem mit den Augen und wie stets lockte der Anblick ein kleines Lächeln auf dem Kindermund hervor.
Das Kleid war in großen Teilen zerrissen und mit Blut und Schlamm verkrustet. Dass sie ihren kleinen Freund geschont hat, konnte man nicht gerade behaupten. Doch ihr Vater tadelte sie nicht. Akiim stand es stets frei sich gegen sie zu wehren. Er wusste, sie gab ihm genug Chancen, dass er es nicht einmal versuchte, schickte den Jungen bereits jetzt als Heiratskandidaten ins Aus. Khea würde ihn nie wollen. Dem Vater war dies klar. Die Mutter hing den losen Enden der eigenen Träume nach. Träume, die sie in einem Adelshaus verloren hatte und die sie nun auf ihre Tochter projizierte, die aber niemals Wahrheit werden könnten. Sie würden Khea vielmehr einsperren. Oder sie fort treiben.
Bitterkeit schlug knapp über die Züge des bärtigen Hünen, der mit einem sanften Ruck das Mädchen auf seinen Schoß nahm. SEIN Mädchen. Ganz gleich was das Blut sagte.
„Mutter wird schimpfen...“, fisperte Khea da selten ängstlich und erlaubte sich Schwäche im Beisein ihres großen Helden. Er drückte ihr nur schweigend die Lippen auf den schlammigen Goldschopf.
„Wird sie, aber das geht vorbei, das weißt du. Morgen hat sie dir vergeben.“
„Ich wollte das Kleid nicht anziehen.“
„Ich weiß.“ Mit beiläufiger Geste richtete er die Angel die eher nur zur Zierde ins Wasser reichte.
„Ich mag Akiim nicht heiraten. Außer ers das Mädchen.“
Ihr Vater lachte. Ein dunkler, warmer, einnehmender Ton, der Khea stets mit tiefer Liebe erfüllte. Ebenso lachend, angesteckt durch ihn, bettete sie den Schopf an seine breite, geliebte Schulter, während ihre Brüder von drinnen im Chor nach den beiden zu krakeelen begannen. Weit schallten die Kinderstimmen und drangen bis zu diesem Punkt vor, so dass Khea leise seufzte. „Auf in die Höhle des Löwen...“, murmelte sie und wieder lachte ihr Pa.
„Aye. Nur Mut. Kopf hoch... Schultern zurück.“
Und er stand auf und trug sie den weiten Weg vom See gen Bauerngehöft, während die untergehende Sonne seinen Rücken beschien und kleine Wasserperlchen von Kheas dunklen Zehen tropften. Nach Hause.
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