"Scheiße!" Er zischte es ihr inbrünstig entgegen und setzte nicht weniger leidenschaftlich ein "Miststück" hinterher, als er das selige Lächeln sah, mit dem Lynn das alkoholgetränkte Tuch auf die offene Wunde drückte. Stechender Schmerz schoss seinen Arm hinauf bis in die Schulter und zwang ihn, die Hand zur Faust zu ballen, jeden Muskel anzuspannen, um das verräterische Zucken zu unterbinden und still zu halten. "Stell dich nicht so an." Das Mädchen milderte die schroffen Worte allein durch einen liebevolleren Tonfall, doch Fengys argwöhnte einen Moment, ob nicht doch eine Note Spott in ihrer weichen Stimme lag. Seine Augen tasteten über das junge Gesicht, auf der Suche nach eben jener Herabwürdigung, aber der aufkommende, rote Schleier, der den Rand seines Blickfeldes schon einnehmen wollte, geriet in Vergessenheit, als er sich einen kurzen Moment in der Betrachtung der dunklen Wimpern verlor.
In dem hübschen hellblauen Zweiteiler war sie ein vollkommen unpassender Farbklecks in seiner Werkstatt. Zwischen schmutzigen Öltüchern, allerlei Werkzeugen, Staub und Schmutz kniete sie hier in diesem edlen Zwirn vor ihm auf dem Boden, hielt seinen Arm mit der Linken unnachgiebig gestreckt und kümmerte sich um die, wie sie es nannte, bitter nötige Verarztung. Nur für sie hatte er seine Linse und sein aufgesetztes Gebaren abgelegt, ein Zugeständnis, von dem sie wie üblich vorgab, es nicht zu bemerken und er entspannte sich langsam, als der scharfe Kartoffelbrand seine Nerven allmählich so überreizt hatte, dass sich eine gewisse Betäubung einstellte. "Das ist keine Verbrennung", hörte er sie sagen, als sie die nunmehr gesäuberte Wunde betrachtete. "Die Wundränder sind zu ausgefranst. Was hast du angestellt?"
"Chemikalien", antwortete er unbestimmt und war es selbst, in dem Unzufriedenheit aufkeimte, als sie nicht weniger unbestimmt nur ein "Hmhm" zur Antwort gab. "Ich mag es nicht, wenn du das sagt." Und er mochte den Mann nicht, von dem sie es sich abgeschaut hatte. Es kam ihm nicht in den Sinn, sich zu fragen ob es ihm zustand, sie zurechtzuweisen, aber seine Unzufriedenheit wuchs, als das Rabenhaar vor ihm seinen Einwand mit einem weiteren "Hmhm" in den Wind schoss und es dabei derart beiläufig klingen ließ, dass er glauben musste, sie hätte ihm gar nicht so genau zugehört. "Ich war in Stein", wechselte sie stattdessen das Thema und schob auf der Suche nach einem ihrer Messer den Rock bis zum Oberschenkel hoch, wo es sicher verwahrt in einem Gurt ruhte. "Kaydis ist wieder da." Das Metall blitzte einen kurzen Moment im Kerzenlicht, doch fing sich seine Aufmerksamkeit viel eher an dem nackten Bein, über das die blaue Seide entschieden zu langsam wieder nach unten glitt. "In einem Stück?", hörte er sich fragen und interessierte sich für ihre Antwort schon gar nicht mehr.
Am Rande seines Bewusstseins nahm er wahr, wie Lynn gewissenhaft im Sterben befindliche Hautreste aus den Wunden schnitt. Er nahm auch wahr, dass sie ihm von ihrem Abend erzählte und von Sheila, der Neuen aus dem Laden. Aber in Gedanken war er nicht bei ihr. Nicht bei dem, was an Worten über ihre Lippen kam. Mit dem Daumen der freien Hand strich er sich andächtig über das schlecht rasierte Kinn und zog unweigerlich Vergleiche zwischen der kühlen Seide und ihrer glatten Haut, die sich darunter verbarg. Es war gut, befand er geistesgegenwärtig und doch ohne jeden klar verständlichen Zusammenhang, dass die Säure auf seinen Arm gelaufen war und nicht über sie, obwohl sie sich zu jenem Zeitpunkt nicht einmal in der Nähe seiner Werkstatt aufgehalten hatte. Allein bei der Vorstellung, auf ihrem Leib derart grausame Narben zu hinterlassen, schnürte sich ihm die Brust zusammen. Und wenn doch? Die Bilder in seinem Kopf fesselten ihn längst so sehr, dass seine Augen ihren Fokus auf ihr verloren hatten, während er darüber nachsann. Vielleicht, wenn man aus der Haut einer Anderen ersetzen konnte, was er an Schaden doch gar nicht angerichtet hatte... Ob Lynn so ein Geschenk zu schätzen wüsste? Im Geiste malte er sich aus, wie vollkommen jenes Mädchen sein müsste, dessen Haut es wert wäre, von ihr getragen zu werden. Malte sich aus, wie er schneiden und vernähen würde und registrierte zu seinem Bedauern schon währenddessen, dass es so ein Mädchen doch gar nicht geben konnte...
"Hörst du mir zu? Fengys? He!" Ein lascher Schlag mit dem Handrücken gegen sein Knie zwang ihn dazu, den Blick zu heben, von den Bildern zu lassen, die ihn gerade soviel mehr zu beschäftigen wussten und ihr wieder in die Augen zu sehen. Er schluckte angestrengt und die offene Sorge, mit der sie zu ihm aufsah, ließ ihm flau im Magen werden. "Klapp mir jetzt nicht zusammen. Wir sind schon fertig." Irritiert zog die Krähe die Brauen zusammen, als sie seinen konzentrierten Gesichtsausdruck dermaßen fehlinterpretierte. Unfähig, dem Kontext zu folgen, starrte er auf sie hinab. Selbst nachdem er träge die Augen auf den Verband an seinem Arm gerichtet hatte, dauerte es noch Sekunden, bis er aus dem Schatten seiner eigenen Abgründe wieder aufgetaucht wahr. "Es ist wichtig...", wiederholte sie für ihn, "...dass du die Salbe nicht direkt auf die Wunden aufträgst. Reib sie in die Mulltücher, die du auf sie drauf legst, bevor du den Verband drum wickelst. Das Fett verklebt dir sonst die Wunde."
War ihm egal. Er zog scharf die Luft ein und hoffte, dass seine Stimme in ihren Ohren nicht so krächzend klang wie in seinen. "Du solltest da nicht so sitzen", zwang er sich zu sagen. "Komm zu mir. Hier her." Und er klopfte neben sich auf die Polsterung. Ein Teil von ihm wünschte sich schmerzlich, sie würde sich nicht regen und er selbst stand auf um sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen, als sie es doch tat. Galant reichte er ihr die Hand, die gesunde, um ihr auf die Beine zu helfen und überließ es ihr, sich einen Platz auf dem Zweisitzer zu suchen, als seine Schritte ihn nun zu einem Tisch in der Nähe führten. Mit besonderer Sorgfalt achtete er darauf, dass sie vom Sofa aus nicht sehen konnte, was er tat, als er auf der Suche nach zwei sauberen Gläsern Gerätschaften hin und her räumte. Und er achtete darauf, dass es beiläufig genug wirkte, um ihr Misstrauen nicht zu wecken, während er nach einer kleinen Phiole mit einer Pipette griff. "Klingt, als hättest du einen langen Tag gehabt", sprach er über die Schulter und füllte beide Gläser mit dem kräftig goldenen Whiskey, von dem er wusste, dass sie ihn ohnehin bevorzugen würde. Nur in eines davon gab er zwei Tropfen aus der Pipette. "Schläfst du heute hier?" Er riskierte einen Blick über die Schulter, als er hörte, wie sie, statt ihn zu beobachten, eine Spieluhr aufzog, die er gerade erst repariert hatte. "Nein." Sie stellte die Spieluhr ab und schaute zu, wie die Ballerina darauf sich von Pirouette zu Pirouette drehte. Ein dritter Tropfen fiel in ihr Glas, während sie weiter sprach. "Ich muss nach Hause. Sonst macht er sich Sorgen."
Wieder spannten sich seine Kiefer einen Moment. Er. Es gab immer einen Er, auch, wenn sie in regelmäßigen und für seinen Geschmack viel zu langen Abständen wechselten. Der Aktuelle hatte wenigstens den Anstand, sie nicht mit seinem Schmuck zu behängen und widerwillig musste Fengys ihm zugute halten, dass sie immerhin frisch und gesund aussah, etwas, worin der Letzte sehr zum Ärger der Krähe vollkommen versagt hatte.
Fengys setzte ein lockeres Lächeln auf, als er die Gläser zum Sofa rüber trug und ihr eines davon anbot. "Er scheint ein verlässlicher Kerl zu sein. Ist es was Ernstes?" Er stellte die Frage gewissenhaft und doch nur, um die Scharade aufrecht zu erhalten, die sie spielten. Glas klirrte leise aneinander und zufrieden sah er zu, wie sie trank. "Ich weiß nicht", antwortete sie leise, aber er wusste es besser. Es mochte vielleicht nicht einmal ihr klar sein, aber alle diese Er's, die gekommen und wieder gegangen waren, hatten sie sich bestenfalls ausgeliehen. Jetzt saß Fengys bei ihr auf dem Sofa und machte sich nicht die Mühe, den nachdenklichen Schatten auf ihren jungen Zügen zu ergründen. Vorsorglich und vermeintlich brüderlich legte er einen Arm um ihre Schultern und spürte nicht ohne Genuss wie das Gewicht, mit dem sie an ihm lehnte, von Sekunde zu Sekunde zunahm, während das Mittelchen seine Wirkung tat. Er störte sich nicht an dem dumpfen Poltern, mit dem ihr das Glas schließlich aus den Fingern glitt und er sorgte dafür, dass das Letzte, was sie spürte, ein liebevoller Kuss auf ihren Schopf war. Heute Nacht würde sein Mädchen zu niemandem mehr gehen.
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