Der Raum war Rund. Streng genommen war er achteckig, aber die pechschwarze, matte Farbe ließ die Steine aus denen der Raum gemauert war als eine einzelne schwarze Fläche mit schwammigen Konturen zerfließen, die ungesehen in Boden und Decke überging, die ebenso mit Farbe überzogen worden waren. Am Anfang, als der Raum noch leer war, konnte man sich darin verlieren. Wenn man nichts weiter als eine Laterne bei sich trug, überkam einen ein Gefühl der beklemmenden Enge, während das Auge trügerisch verführt eine unendliche Weite ohne Dimension an das Hirn meldete.
Die Form schluckte Geräusche. Es gab keinen Hall, gesprochene Worte, Schritte – nichts davon war zu hören. Selbst die eigene Stimme klang seltsam fremd ob dieser akustischen Besonderheit.
Am Anfang hatte sie den Raum zum Horten benutzt. Hier hatte sie ihre Truhen aufbewahrt die nach und nach mit Gold nur so überquollen.
Mittlerweile war der Raum so viel mehr als ein sicherer Lagerort. Er war ihre Zuflucht geworden. Ein Ort der Ruhe.
Auch jetzt standen ihre Truhen noch hier, am Rand, säumten die Wände und verliehen dem Raum endlich eine Form, eine Dimension.
Die Wände selbst waren von weißen Vierecken gesäumt, akkurat abgemessen und exakt zueinander ausgerichtet. Alle abstände waren gleich – an jeder Wand des Achtecks enthielt drei horizontale Reihen mit jeweils vier Vierecken.
Angefangen zu sammeln hatte sie schon lange bevor sie in die Stadt gekommen war. Sie war immer fasziniert gewesen von der Charade des Lebens, dem Spiel das sie alle jeden Tag miteinander spielten. Mittlerweile war fast ein Drittel der weißlackierten Holztafeln besetzt. Lackierter Ton, Holz, Porzellan. Geziert mit samt und goldener Bordüre, mit silbernen Stickereien, Mustern, Stoffen. Mit ausladenden Federn, Haltestäben oder Spangen für das Haar.
Nur eines hatten sie alle gemein: Die leeren Augen die in die Raumesmitte starrten.
Dorthin, wo sie stand. Und er, denn alleine war sie nicht.
So, wie der Raum ihr Zuflucht war, wie sie ihn liebte, ihn brauchte um zu Ruhe und Plan zu finden, so hasste und verabscheute sie ihn gleichwohl, denn er bedeutete auch stets nichts Gutes.
Das einstmals reinweiße, feine Kleid aus dünnem, zeigte Leinen war mittlerweile ein Muster winziger roter Sprenkel entlang des Rückens, der Arme, Brust und Schulter, sowie der Oberschenkel.
Sie zog leise zischend Luft zwischen den Zähnen hindurch, als das Werkzeug sie ein weiteres Mal traf, dutzende scharfer Enden peitschend auf den Stoff niedergingen, und winzige nadelartige Klingen kleine Schnitte in die Haut führten. Die Wunden waren klein und willkürlich verteilt. Sie würden gut verheilen und zwischen dem Sommersprossenmuster nicht auffallen. Das waren sie nie.
Sie hielt die Arme zu beiden Seiten ausgestreckt, das Kinn hoch erhoben. Auf ihren Gesichtszügen saß eine Runde Maske aus makellosem, weißen Porzellan. Ohne jede Verzierung, ohne Schnörkel, ohne Tand. Augen von dunklem Türkisblau blickten durch die Löcher hindurch, den dutzenden leblosen schwarzen entgegen. Und ihm, wann immer er sie umrundete und vor ihr stehenblieb um zu sprechen. Worte, die scharf wie gebrochenes Kristallglas durch den bedrückenden Nebel ihrer Gedanken schnitten.
„Du weißt, dass es keine Strafe ist.“
Seine Stimme klang ruhig. Jemand, der ihn nicht kannte, hätte sie für neutral gehalten. Vielleicht tadelnd. Doch sie erkannte den feinen Unterton, die triefende Abscheu die ihr mit jedem seiner Worte entgegenquoll.
„Es ist eine Lektion. Der Preis den du zu zahlen hast. Weißt du wofür?“
Sie schwieg. Ihre Muskeln brannten – sie wusste nicht, wie lange sie die Arme schon oben hielt, doch sie fühlten sich taub und steif an.
„Der Preis deiner Niederlage.“
Wieder fuhr das Werkzeug auf sie nieder, verletzte ihre Haut ohne ihr wirklich Leiden zuzufügen. Es war das feine, miese Brennen der Papierschnittartigen Wunden, welches sie leise Stöhnen ließ.
„Geschäfte und Wettbewerb führt man nur auf Spielfeldern auf denen man sich auskennt. Kennt man sich nicht aus, macht man sich schlau bevor man das Spielfeld betritt. So schwer ist das nicht. Und doch zu hoch für deinen hohlen Schädel.“
Sie schwieg weiterhin; Sie wusste, dass man von ihr keine Antwort erwartete, ja, sie überhaupt erst gar nicht dulden würde. Es war eine Lektion, ein Preis den sie zahlen musste weil sie dumm gewesen war. Weit entfernt von einem Gespräch auf Augenhöhe.
Den Kopf hielt sie stolz erhoben, die Maske nichtssagend, das Gesicht darunter verborgen. Emotion, Ausdruck – ausgelöscht. So schien es. Vielleicht war es auch so. Vielleicht gor unter der malträtierten Oberfläche auch brodelnd der Hass, im Zaum behalten von einer eisernen Hülle die mit jedem Hieb der auf sie niederging nur dicker und undurchdringlicher wurde.
„Der Preis für deine Niederlage.“
Grob griffen Fingerspitzen in das Fleisch, glitten voll gierigem Nachdruck darüber, glitten über schweißglänzende, ölige Haut und verloren sich an Kurven und Nischen. Das abendliche Zimmer war erfüllt von stickiger, warmer Luft, dem Geruch nach Mensch, nach Anstrengung, nach Schweiß.
Die Balkontüren standen offen, die leichten Vorhänge wiegend im Wind der zwischen den Stoffbahnen hindurch ins Zimmer wehte, um kühlend über die nackte Haut zweier Leiber zu ziehen.
„Und? Wie war ich?“ sprach tiefer elonischer Bass voll neckender Zuneigung, während große, dunkle Hände ein letztes Mal über den von Rosenöl bedeckten Rücken glitten, die frisch entspannten, auseinandergekneteten Muskeln beruhigend streichelnd. Ihm waren die kleinen Wunden aufgefallen. Dünne Krusten und Male die sich über dem ihm zugewandten Rücken, die Schultern und Arme zogen. Er mochte wetten, dass sie unter dem Laken, welches ihren Leib von der Kehrseite an abwärts bedeckten, in ebensolchem Muster weiterführend waren. Doch er hatte nicht das Verlangen sich davon zu überzeugen. Ihm verlangte häufig nach ihr, auf diese und jene Weise, doch niemals berührte er sie auf eine Art die sie ihm nicht gestatte. Ihre Treffen waren erfüllt von vertrauter Nähe, einer gewissen Zuneigung die doch, und das wussten sie beide, fruchtlos bleiben würde. Das Machtgefälle welches gleich in zwei Richtungen vorhanden war, stand dabei immer zwischen ihnen, und half dabei von Fall zu Fall die notwendige Distanz aufzubringen.
„Großartig.“ Brummte sie entspannt in ihr Kissen, und schob die sommersprossigen Unterarme unter den Wangenknochen, um ihn mit zur Seite geneigtem Kopf anzublicken. Ihr war der Anblick welchen sie darbot durchaus bewusst – wenngleich ihre Substanz bei weitem noch nicht in voller Gänze zurückgekehrt war, so konnte sie nicht leugnen dass sie es genoss mit den Instinkten des Mannes zu spielen. Das Tuch auf Hüfthöhe, der Gedanke an die entblößte Brust auf welcher sie lag, das zerzauste Haar das ihren Kopf und die Schultern umspielte. Ja, sie hatte mehr als einmal beobachtet dass sie durchaus in der Lage war gewisse… Reaktionen… auszulösen.
Er hob die Hand, und strich ihr mit dem Zeigefinger eine lose Haarsträhne hinter das Ohr. Die Schokoladenfarbenen Augen voller Wärme blickte er zu ihr hinunter, während er selbst in seiner Leinenhose neben ihr lag, und ließ die Fingerspitzen über das Schulterblatt zu ihrer Taille gleiten, ehe er sich von ihr löste und aufstand.
Während sie nun den Blick zur Balkontüre wandte, zog er sein Hemd über den Kopf.
„Es ist alles vorbereitet. In den nächsten Tagen legen wir los.“
„Mhm.“ Stimmte sie zu, zog das Laken bis zur Brust hinauf und rollte sich halb auf die Seite. Die Laken klebten kühl am Rosenöl in ihrem Rücken. „Gib Acht dass nichts schiefgeht. Keine Spuren. Besonders keine die zu mir führen. Der Wahlkampf beginnt bald, wir dürfen uns keine Fehler erlauben.“
„Oh Schönheit, du weißt doch dass du nicht nur den schönsten und fingergewandtesten, sondern auch den schlausten und verschlagensten aller Männer bezahlst.“
„Sorge einfach dafür dass alles gut geht.“
Er hob seine Stiefel, den Waffengurt und seine Lederweste auf. Im Halbdunkel konnte sie die strahlend weißen Zähne im Gesicht des Eloniers zu einem Grinsen aufleuchten sehen, als er auch schon die Tür öffnete und auf die Treppe trat.
„Gleich, nachdem ich bei Albert zu Abend gegessen habe.“
Noch während die Türe sich schloss, hatte sie unter das Kissen gegriffen und das dort verborgene Kleinod hervorgeholt.
Ihre Fingerkuppen befühlten das geprägte Relief, fuhren die Kontur der Zahl auf der einen, und die der Sonne auf der anderen Seite nach. Während sie glaubte sogar die Patina fühlen zu können die die alt wirkende Münze überzog, hatte sich auch auf ihren Zügen ein Lächeln eingefunden.
Ja. Es würde alles nach Plan verlaufen.
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