Eine Reise. Eine Reise auf die ich in dieser Form weder vorbereitet war, noch kann ich gänzlich begreifen, welchen Streich mir diese Reise schon im ersten Moment ihres Ersinnens und Planens wohl auflegte ohne auch nur einen Funken von Wissen hierzu zu besitzen.
Alles begann mit einer Nachricht, einem einfachen Schreiben meines Bruders über den Lauf der Dinge. Auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen in sehr jungen Jahren, wir reifen über jene und gehen unseren Weg, aber unser Reifen bedeutet auch, das Fortschreiten des Lebens für unsere Eltern und so ist es, dass wir irgendwann an den Punkt kommen, an dem wir eben jene zu Grabe tragen. Wenn das Leben ihnen nicht schmerzlich auferlegt uns selbst noch zuvor in die Erde zu übergeben. Kein Elternteil sollte sein Kind überlegen, ich weiß es, ich habe den Schmerz gefühlt und durchlebt. Aber im Umkehrschluss, wünscht kein Kind die Eltern zu Grabe zu tragen und mögen wir selbst schon Grau im Haar und faltig im Gesicht sein, so ist es doch eine tiefe Kerbe, wenn es geschieht. Mein Haar ist noch nicht Grau, mein Gesicht trägt kaum eine Falte, aber ich habe schon die Frau begraben, welche mir das Leben unter Schmerz und Tränen aufgab im Augenblick meiner Geburt und keinen Schmerz und keine Träne auch nur bereute, ich glaubte ihren Worten darum. Worte die ihr später kaum mehr im klaren Verstand gegönnt waren, denn die Verwirrtheit ergriff zu früh ihre Hand, ließ sie in Welten leben, die wir schon lange hinter uns ließen und sie starb in diesen eigenen Welten, während sie nach mir als Kind fragte, sich über meine Eier stehlenden Brüder beklagte und den Mann, der meine Hand eine ganze Weile hielt, mit einem Ochsen verwechselte, diesen bei seinem Namen rief.
Ein Schmunzeln überfliegt trotz des schwermütigen Gedankens um ihren Tod meine Lippen, erinnert mich aber auch an den eigentlichen Grund meiner Reise. Kaum ein Jahr nach ihrem Tod, ist mein stolzer Vater, ein gebrochener Mann. Obwohl seine Frau ihn schon Jahre ihres Lebens kaum mehr erkannte, manchmal vor ihm erschrak und schrie, dann wieder liebende Worte für ihn übrig hatte und letztlich durch ihn oftmals einfach hindurchsah, war sie doch seine Frau und ich glaube diesem kühlen, stolzen Mann jene Gefühle. Empfindungen die nur schwerlich nicht an uns Kinder weitergegeben worden sind, wäre meine Mutter nicht gewesen, wir wären wohl allesamt kühl, unnahbar und stolz, hätten den wärmenden Funken im Lächeln und Denken verloren. Aber es gibt diese Funken, auch wenn ich oftmals kühl und stolz wirken möchte, so lockt doch vieles auch mein Lächeln hervor. Auch manche Erinnerung gerade, doch im Grunde ist mir nicht zum Lächeln, denn ich hoffe die Zeit, die so oft benannte hier, erlaubt mir noch von eben genanntem Mann Abschied zu nehmen. Dann sind sie fort, die die mir das Leben schenkten, die mir meinen Weg bereiteten. Ich stritt mit ihnen, lachte mit und durch sie, weinte und schimpfte, aber vor allem liebte ich sie, liebte sie, nicht wie es die Gesellschaft aufgibt, sondern das Herz im Gedenken und Gedanken an sie, meine Eltern.
Am vergangenen Morgen bin ich nach Löwenstein gereist, wie praktikabel diese Portale doch zu Weilen sind, sie nehmen mir einen Stück des Weges ab, der sonst sicherlich mehrere Tagesreisen aufgebraucht hätte und in der Stadt, deren Leben wieder erweckt worden war, fühlte ich mich unvermittelt zu Hause. Es ist so lange her, dass ich hier meinen Gemahl kennenlernte, hier arbeitete und meinem Tagewerk nachging. Alles hat sich verändert, der eigene Charme der Stadt von zuvor ist gewandelt in einen neueren, anderen, aber dadurch nicht abstoßenderen. Für mich gar im Gegenteil, Löwenstein scheint wahrlich erblüht und dies nicht nur durch die vielen Gebäude und Ansichten, welche derartig aufgeben wollen. Nein, geweißelte Wände, die Bauten in Schiffsform und die vielen kleinen Gassen und Nischen, laden ein zu verweilen. Den Morgen nutzte ich selbst gleich für einen Gang durch eben jene, ich suchte die Plätze für Aushänge auf, gab Nachricht, dass ich in den kommenden Tagen Reisegeleit suchen würde und den Nachmittag verbrachte ich damit, mir Bewerber anzusehen und abzulehnen. Ich glaubte kaum, dass sich selbst ein einzelner Asura mir vorstellte und ja, ich gestehe das Schmunzeln weitete sich ein wenig mehr noch in Heiterkeit als dieser wieder das Weite sucht. Wie sollte mich ein Asura beschützen? Ich, die aufgewachsen ist mit gerüsteten Truppen um sich, konnte sich damit nicht anfreunden und tat vielleicht gar dem Mann aus diesem Volke Unrecht, doch das eigene Empfinden gab mir kein Sicherheitsgefühl beim Gedanken mit diesem zu reisen.
Als der Abend anbrach, war auch der Letzte angehört worden und ich musste mit Argwohn feststellen, dass mein gewünschter Reiseantritt am nächsten Morgen und im Grauen dessen unter schlechtem Stern stand. Aber ich hatte doch bereits das Fuhrwerk gemietet, ein Ärgernis, etwas was ich mit einem weiteren Spaziergang am Strand überdenken wollte und ja, ich wähnte gar ob ich nicht allein reisen sollte. Schlussendlich bin ich doch nicht wehrlos, aber eine Frau auf einem Karren, allein ohne Begleitung, Linus würde mir den Kopf gewaltig gerade rücken und ich wähne seinen Zorn beinahe aus den Nebeln, darüber überhaupt nur nachzudenken. Ich ahnte noch nicht, dass mit dem Verlassenen des Gästehauses alles anders werden würde und ich ahnte noch weniger, dass mir alsbald das Herz in die Knie zu sacken begann.
Aber alles zum Anfang, ich ging aus dem Haus, zog an meinen Handschuhen und das erste was mir gewahr wurde, ist das so einprägsame Geräusch von schwerem Rüstwerk unter Schritten und das nächste eine Stimme, die mir nicht inniger in Gedanken hätte bleiben können. Völlig verwundert hebe ich den Blick und sehe ihn, sehe den Mann, der mir wichtig und teuer vor Jahren war und den ich mit Schimpf und Schande verließ. Sehe ihn, den ich vor wenigen Jahren aus Götterfels vertrieb, weil ich mich auf eine törichte Tändelei einließ, bei der man doch nur ein Herz bemühte zu sammeln um es dann zu zertreten unter vermeintlich eigenen schmerzenden Tränen. Was bin ich doch, so erfahren ich mich wähnte, für ein dummes Kind gewesen und wie blind bei Florean, habe noch Freundschaftlich reagiert, aber es hat sich gerächt. Aber ich schweife ab, denn es zählt in dem Moment des Aufeinandertreffen nicht mehr, ist unwichtig und ich kann nicht sagen, bin ich glücklich oder erschrocken ihn zu sehen. Das Alter hat ihn verändert, zuletzt sah ich ihn ohne Haupthaar - glatt rasiert -, heute steht er mit leicht ergrautem Schnitt eines Soldaten vor mir und da ist dieses Lächeln, da ist mein gekürzter Name aus seinem Mund, schlagartig werde ich zur Vierzehnjährigen, die ihn anhimmelte und gleichwohl zur Mitzwanzigerin, die ihn davon jagte wegen seines Betruges, der sich letztlich als ungewollte Scharade einer Anderen herausstellte. Adrian Milo Thorn lebt, lebt noch immer und ich hoffte es wäre so, aber hätte niemals geglaubt ihm wieder zu begegnen nach allem.
Er hat einen meiner Aushänge gerollt bei sich, erkundigt sich ob er zu spät erschien und erhält die vorsichtige Antwort meiner, um fehlende gute Kandidaten und da ist es das Angebot seiner Reisebegleitung, unentgeltlich und nur weil er um meinen Schutz in dieser zerrütteten Welt besorgt wäre. Die Verwunderung steht mir für Herzschläge ins Gesicht geschrieben, ich deute ihn ein wenig fort von der Türe des Gästehauses, wir gehen hinab zum Kai, stehen vorm Wasser zu nächsten Worten. Ein ungeahntes Angebot, kein Zögern meiner, gern lasse ich mich von ihm schützen, weiß ich doch um die Wertigkeit meines Lebens in seinen Händen. Aber hat es denn noch diesen Wert, nach allem was vorgefallen ist? Er, der Mann, der mir den Leichnam meines Mannes überstellte mit seinen Mannen. Er, der den Namen Linus von Blestem in den Kampf trug auf seinem Schild als es um die Rückeroberung ging. Er, der immer verständige Vertraute, der um mich warb und dem ich das Herz abermals brach. Es ist Zeit vergangen, es hat sich so vieles verändert, ich lebte ein anderes Leben in Götterfels. Jetzt sollten wir miteinander reisen, auf einem Karren den weiten Weg ins Harathi-Hinterland und ich weiß nicht, bin ich freudig erregt und angespannt oder schockiert über die Leichtigkeit des Umganges miteinander dort in Löwenstein. Wir scherzte und neckten einander als wäre keine Zeit vergangen, das Existieren mit ihm an einem Ort ist so... leicht, unbeschwert und sollte es doch eigentlich nicht sein. Einige Worte noch, der Zeitpunkt der Abreise bestimmt gehen wir auseinander, ich halte den Atem als er um meine Hand bittet, diese zum Abschied zu küssen und ich lache auf, weil er mich mit dem Bitten um meine Finger hinters Licht führte. Warum hielt ich den Atem in Erwartung an? Ich kenne mich nicht.
Der Morgen graute, wir verließen Löwenstein, der Wagen rumpelt hier und da, wackelt und ich musste mich einhalten. Ich war noch verschlafen, obwohl ich den Zeitpunkt vorgab, bin wortkarg und in mich gekehrt. Er rieb sich nicht daran, kannte mich und neckte mich gar ein wenig. Wie ich ihn in diesem Moment verfluchte dafür, gleichwohl aber auch ungesagt – niemals käme es von meinen Lippen - schätzte. Wir kennen uns, wir müssen einander nicht neu kennen lernen, wir haben uns in Nuancen verändert und sind reifer geworden, aber doch in den Grundfesten, was die Eltern uns aufgaben zu sein. Wie wird mein Vater sich freuen über ihn, vielleicht mehr als über mich? Aber es störte mich nicht, es erfreute mich, denn ein Wunsch eines sterbenden Mannes ging in Erfüllung und dies ohne eine Suche nach dem Söldnerführer. Die Sechs mögen ihre Hand über uns gehabt haben, immer noch haben. Denn wie können zwei Leben sich immer wieder entfernen voneinander, Länder zwischen sich bringen und ungeahnt zusammen kommen. Als er meinen Mann in die Siedlung brachte, ahnte er nicht, wer seine Witwe sein mochte und als ich den Aushang schrieb nach Reisegeleit, ahnte ich nicht, er würde ihn lesen und folgen.
Die Reise ist nicht beschwerlich, Adrian und ich wandeln um Thematiken, die nicht in die Tiefe führen und doch, mir selbst kommen sie im Schweigen in den Sinn. Doch wo ansetzen, wo ihn fragen, wie miteinander umgehen, wenn erdachte Wahrheiten zu gesprochenen Worten werden würden. Er ist bei mir, als ich in der Siedlung Ascalon vor das Grab meines Mannes und Kindes trat, hielt mich im Arm als mir doch die Tränen ungewollt kamen und lenkte mich auf dem weiteren Weg mit eigenen Worten ab. Weiß wie er mich zu nehmen hat, weiß was ich sprechen möchte und wann schweigen. Schämen sollten wir uns, schämen sollte ich mich, so mit ihm umgehen und tue es nicht.
Dort saßen wir nun, auf dem Wagenbock und sprachen, ich erfuhr von seinem Leben und den Aufgaben nach unserem letzten Auseinander gehen. Erfuhr von Cassandra, die in Löwenstein lebt und arbeitet, die an seiner Seite für eine kleine Weile war und höre, dass er selbst dort ansässig geworden ist. Muss lachen über die Rettungsversuche einer Lilie in seiner Wohnung, die ihm wohl immer gerade so mit Ach und Krach gelang. Erzähle ihm von Robin, Robin dem Freund, dem vergangenen Liebhaber, dem Künstler mit welchem ich eine Zeit meines Lebens verbrachte und der mich in ganz eigene Welten eintauchen ließ und der letztlich doch als Künstler, nicht vollends in mein Leben passte und wie wir uns in Freundschaft trennten, noch immer Freunde sind. Spreche von guten Wünschen für ihn und vergangenen Gefühlen. Erzähle, wie andere - die mir übel mitspielten - auf die Nase fielen und sich zum Gespött machten und ja, ich erfreue mich daran, schäme mich nicht dafür. Er erfährt von meinem Schwager, den ich schmerzlich vermisse und der auf Reisen ging um seine Novizin zu unterrichten, ihr mehr von der Welt und den Stätten der Sechs näher bringen wollte und wie sehr ich seine Rückkehr herbeisehne. Er war nicht nur Familie, sondern auch vertrauensvoller Priester und Freund, zu ihm konnte ich gehen, wenn ich den Weg nicht mehr sah und er, er war da um mir diesen wieder zu weisen.
Die Nächte verbringen wir auf dem Wagen oder in kleinen Gästehäusern, bald schon sind wir im Hinterland und es ist nicht mehr weit. Ich spreche Adrian gegenüber die Sorge aus, zu spät zu kommen und der stattliche Söldner nimmt mir diese mit seiner Zuversicht. Er bringt mich zum lachen, wo mich der Schwermut erreichen will und zum fluchen, wenn sein Necken meine empfindlichen Ecken erwischt. Wir sind Vertraute und doch fern, wir sind uns nah und doch nicht diesen Hauch zu nah. Vielleicht wächst eine Freundschaft aus einer Liebe, die so oft nicht sein sollte und vielleicht... Nein, darüber denke ich nicht nach, will ich nicht nachdenken. Gestartet bin ich unter schmerzlichem Vorwand durch den Brief meines Bruders Casper auf diese Reise. Es ist eine Reise um Abschied zu nehmen, aber vielleicht ist es auch eine Reise zum Neubeginn. Die Sechs werden es wissen, wir werden es erfahren. Noch Tage verbringen wir zusammen und ich merke, wie es mich nicht drückt und schmerzt, sondern der Abschied mir graut so wir Löwenstein wieder erreichen werden. Dann gehe ich nach Götterfels, dort lebe ich, dort habe ich mir ein Standbein als Lektorin und Herausgeberin, ja Stütze von armen Schriftstellern aufgebaut und er, er wird in Löwenstein bleiben, seiner Berufung folgen und die Lilie am Leben halten.
Länder werden wieder zwischen uns liegen und doch... Löwenstein ist nur eine Portalreise fern, vielleicht...