Sie hob das Gesicht zur Abendsonne hin, als könne sie so noch aufholen, was sie bei dem Tag voller Aktenarbeit verpasst hatte und jetzt im Sommer reichten die Strahlen auch zu dieser Stunde noch aus, ein wenig Wärme auf ihre kalten Wangen zu bringen. Alice mochte die Wärme und das Licht. Nichts davon gab es in ihrem Büro.
Über die eigenen Gedanken lachend schüttelte sie den Kopf und tat die ersten Schritte fort von der Halle und hin zum Maidenwispern, das ihren ohnehin arbeitsreichen Tag noch um einige Stunden ausdehnen würde. „Edles Fräulein, ist es mir erlaubt, Euch Geleit anzutragen?“ Sie erstarrte. Die Stimme erkannte sie, brachte sie nur nicht mit dem, was sie sah, in Einklang. Dort stand ein Mann in seinem besten Anzug. Ihrem kundigen Auge entging nicht, dass es sich um eine Maßanfertigung handeln musste. Dunkle Farben dominierten, wie es sich für die Abendgarderobe gehörte. Selbst das Krawattentuch war dunkel gehalten, aber ihr entging nicht dessen eigentliche Farbe. Rot. Die blonden, etwas längeren Haare trug er zurück gekämmt, aber ein paar einzelne Strähnen fielen doch ganz so wie sie selbst es wollten und verliehen ihm zusammen mit seinem hinreißenden Lächeln genau das richtige Maß an Verwegenheit, um bei der Damenwelt für rote Wangen zu sorgen. Eine jede sollte sich geschmeichelt fühlen, wenn er ihr, so wie Alice gerade, den Arm anbot, doch sie verstand, was es wirklich war. Ein Befehl, dem sie Folge leisten sollte, wollte sie nichts riskieren. Ihre Augen huschten hinüber zum Maidenwispern und der Sicherheit, die es geboten hätte. Es war ungewöhnlich von ihm, sich derart offen zu zeigen, es hatte eine Bedeutung. Während sie im Kopf ihre Möglichkeiten abwog, wartete er geduldig ab, als wisse er bereits, wie ihre Entscheidung ausfallen würde und er sollte recht behalten. Die manikürten Finger der Frau schoben sich über seinen Arm und ihr Weg begann.
„Magnus.“ Ihrer Stimme war die Anspannung kaum anzuhören, aber dieses 'kaum' genügte. „Es wundert mich, dass du hier her gefunden hast. Was gibt es denn?“, erkundigte sie sich, während er sich zielgerichtet mit ihr vom Gasthaus fortbewegte und auch die besseren Gassen des Rurikviertels hinter sich zu lassen gedachte. „Und wenn die Sehnsucht mich hertreiben würde, Rosenrot?“ Sie lachte humorlos auf. „Nun mach dich nicht lächerlich.“, sagte sie und Magnus widersprach nicht. Sie zogen am Kormirschrein vorbei, doch der Weg führte sie nicht, wie Alice zuerst befürchtete, in die dunklen Gassen des Marktviertels hinein, sondern den Weg zur Hochstraße hinauf und schweigend weiter in die Gärten, ganz so, als sei dies hier wirklich der Ausflug eines Galans mit seiner Angebeteten. Doch Alice wusste es besser. Ihr Körper erstarrte nicht, blieb geschmeidig, aber alle ihre Sinne standen auf Hab-acht. Sie nahm die Gegend wahr, rief sich alle Wege ins Gedächtnis, die sie hier kannte. Alle Möglichkeiten zu einer potenziellen Flucht. Er, der Fuchs, hatte es ihr so beigebracht und daran gedachte sie sich zu halten. Rechne immer mit allem, das hatte er gesagt.
„Du bist so still, Rosenrot.“, sagte Magnus im Schatten einer der Säulen, in den er sie zog. Vom Galan war nicht mehr viel übrig, doch er lehnte sie nicht gar so grob gegen den kühlen Stein in ihrem Rücken, wie er es gekonnt hätte. eingesperrt zwischen seinen sich dagegen drückenden Händen. Diese Haltung nahm er nur ein, weil sie ihr in der Vergangenheit Angst eingejagt hatte. Und Angst war es, die Magnus sehen wollte. Den Gefallen tat sie ihm nicht. Stirnrunzelnd löste er die Rechte, um sie durch ihre rotbraunen Locken gleiten zu lassen. „Du hast dich verändert.“
„Sollte ich das nicht?“, fragte Alice nun ohne ein Zittern in der Stimme, selbst wenn sie sich alles andere als sicher fühlte. Unter Kontrolle hatte sie sich nun, als Magnus antwortete. „Ich kann nicht sagen, dass es mir gefällt. Aber das ist nicht wichtig. Nolan schickt mich. Er lässt dich grüßen.“ Schnaubend stieß Alice die Luft durch die Nase aus. „Magnus, bitte. Es wird albern.“ Den Schlag, der nun ihre Wange traf und den Kopf herum riss, hatte sie erwartet. Deswegen brannte er allerdings nicht weniger. Während sie ihm die Augen erneut zuwandte, zog sie den Atem ganz bewusst und tief in ihre Lungen und stieß ihn ebenso achtsam wieder aus, bevor ihr Dunkel sich in seinem Blau versenkte. „Was. Willst. Du?“
„Dich an deine Loyalität erinnern. Daran, wem sie zuerst gegolten hat, Rosenrot, und wem sie immer gelten sollte. Du wirst uns Informationen beschaffen. Du wirst mir sagen, was er plant und wann er es plant und du wi-hnnrngh...“ Als Magnus vor ihr zusammen sank, blickten ihm mitleidlose Augen nach. Alice bückte sich, löste die Plättchen ihrer Waffe an den getroffenen Stellen und setzte dann, diese wieder am Oberschenkel verstauend, einen großen Schritt über den zuckenden Körper hinweg. Ohne noch einmal zurück zu sehen, ging sie auf dem schnellsten Wege zurück in die Sicherheit des Gasthauses, das neben Wänden auch noch Menschen vorzuweisen hatte, an denen ihr lag. Geistesabwesend strich sie dabei über Ioans letztes Geschenk an sie und hörte in der Ferne noch Magnus Lachen.
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