Nataleigh Ainsworth war eine hübsche Frau, gemessen an den Umständen ihrer Berufung. Der Inquisitor kam nicht umhin zu schmunzeln, als er sich erhob, um sie zu empfangen. Hinter ihr drückte ein Bandit, welcher sie zur Hütte geführt hatte, die Tür zurück ins Schloss. Sie waren also alleine miteinander. Godfrey hatte den Henker geheißen, während des Treffens den Eingang zu bewachen. "Ehre den Ungesehenen.", war das Erste, was sein Gast sprach. Sie schien sich garnicht richtig umzusehen. Das war vermutlich auch zum Besten, denn Godfrey hatte zu heute Nichts hergerichtet. Nach wie vor war die kleine, jagdliche Blockhütte, die er als vorübergehende Residenz erkoren hatte, ernüchternd rustikal und vollgestellt mit Kisten. Das Gemälde, welches d'Antonio gefertigt hatte, stand zugedeckt dazwischen.
"Ah, meine werte Nataleigh!", grüßte Godfrey die Ritterin überschwänglich, auch wenn er genau wusste, dass sie darauf nicht anspringen würde. Seine Hand vollführte einen einladenden Schwenk zu den Gästestühlen auf der anderen Seite des fürstlichen ebenhölzernen Schreibtisches. "Den Unsichtbaren zum Ruhme. Bitte, nimm Platz, bitte."
"Mh.", machte die blonde Kriegerin nur und hob eine Augenbraue, bevor sie sich wieder in Bewegung setzte. Sie trug das lange Haar heute offen, anders als bei ihrer letzten Begegnung, war dafür jedoch wieder in die strahlend weiße Plattenrüstung einer Ritterin des Weißen Mantels gehüllt. Ein Wagnis, selbst auf Schmugglerpfaden, in der Ordenstracht unterwegs zu sein, doch Godfrey bevorzugte es selbst so. Allerdings, gestand er insgeheim, hielt er sich auch für wesentlich intelligenter als Nataleigh. Nicht dass sie das unter anderen Menschen negativ hervorgehoben hätte. Die Ritterin blieb hinter den hölzernen Stühlen stehen und blickte skeptisch darauf herab. "Halten die?"
"Ja, doch, ich denke schon.", sagte Godfrey und richtete sich beiläufig sein Monokel. Während Nataleigh mit auf Holz knarrendem Rüststahl einen der Stühle nahm, ließ Godfrey sich gemächlich in seinen luxuriösen Polstersessel zurück sinken. "Ich würde ja gern mehr anbieten, aber hier draußen ist alles etwas rar. Dieses Maß an zivilisierter Einrichtung zu erlangen, war bereits umständlich. Wein?" Er brachte sich dazu, im Platznehmen zu verharren. Doch sie winkte lediglich ab und schüttelte den Kopf, also setzte er sich endgültig.
"Schon gut.", sagte die Ritterin, nachdem sie ihr Zweihandschwert abseits angelehnt hatte. "Ich hab' nicht viel erwartet, um ehrlich zu sein. Nein danke."
Godfrey sah trotzdem einen Moment lang zur Seite, gen der Anrichte im linken Eck des Raumes, entschied sich der Höflichkeit halber jedoch dagegen, sich selbst trotzdem zu Wein zu verhelfen. Weniger aus wirklicher Höflichkeit denn viel mehr, weil er schon so bequem saß, und es tat ja keinen Schaden, den Schein zu wahren. Er lehnte sich ein wenig im Sessel zurück, überkreuzte die Beine unterm Tisch an den Unterschenkeln. Dabei schlug er das Buch von Loam, eine alte Glaubensschrift der Gründerväter des Weißen Mantels, in der er bis gerade eben gestöbert hatte, mit einem Handwisch zu und schob es beiseite. Der Inquisitor tastete abermals nach seinem Monokel, entschied sich dann aber, es abzunehmen und säuberlich fortzustecken. Die Ellbogen auf die Armlehnen des Sessels gestellt, die Fingerkuppen in der Höhe aneinander gelegt, betrachtete er Nataleigh. Sie saß da wie eine alte Betschwester, die Hände auf den Oberschenkeln mit kühlem Blick, steif, unbescholten und öde, dass man garnicht glauben sollte, zu welchen Abgründen sie in anderen Momenten fähig war. Godfrey kräuselte die Lippen und führte diese sacht gegen die eigenen, in schwarzes Leder verpackten Finger. Er zeigte ihr das Schmunzeln als Geste der Freundlichkeit, dachte aber in Wahrheit daran, was sie mit Charity Cochrane und dem Kutscher getan hatte. Die radikalen Bilder waren ihm noch lebhaft vor Augen. Beinahe lenkte ihn das ein wenig ab. Aber nur beinahe. "Du wirkst nicht allzu guter Laune.", ergriff er wieder das Wort, nachdem er den Mund von den Handschuhen gelöst hatte. "Sag', was führt dich her?"
"Ich vermute mal, dass du die Nachricht erhalten hast bezüglich Lazarus und den aktuellen Gerüchten?" Sie stellte keine wirkliche Frage, sprach in der festen Erwartung, dass er informiert war. Ihre Pause war bedeutungsschwanger. "Wir auch."
Aber Godfrey hob nur eine fein gezupfte Augenbraue. "Bitte? Du musst mich aufklären. Ich fürchte, hier draußen kommt nicht jede Nachricht an."
"Lazarus plant, gemeinsame Sache mit unseren Feinden zu machen, heißt es."
Jetzt beginnt es also.
"Moment, Moment, Moment!" Godfrey blinzelte heftig, dann weitete er die Augen. Er löste die Händen nun voneinander, packte mit der Linken die gepolsterte Armelehne, so fest, dass er die Sehnen an seinem Handgelenk hervortreten spürte. Er beugte sich nach vorn, um Nataleigh mit seinem Blick förmlich zu durchbohren. Die Rechte blieb mit empor gespreizten Fingern erhoben. "Lazarus der Schreckliche ist erfolgreich erwacht? Bei Saul, ich dachte, Operation Wiedergeburt wäre mit der Festung der Treuen zugrunde gegangen!"
"Du... weißt nicht vom Sumpf? Der Blutsteinexplosion? Dem Beichtvater und dem Verrat?" Ihre Mimik war dabei genauso monoton wie die Worte, die sie sprach.
"Dochdoch, natürlich weiß ich von der Blutsteinexplosion." Godfrey wedelte unruhig und aufgebracht mit der Rechten herum, mit hellwachen, fast fassungslosen Augen. "Aber... der Beichtvater? Ich warte seit Wochen auf Berichte. Was ist passiert? Ich verlange unverzüglich Aufklärung!" Er fegte die Hand in einem flachen Schlag auf die Tischplatte herab.
"Er wollte den Mantel für seine politischen Zwecke missbrauchen, heißt es. Er konnte fliehen durch ein Portal. Ein Großteil seiner Vertrauten wurde getötet durch Lazarus. Es gibt ergo eine Entscheidung zu fällen, Inquisitor. Caudecus oder Lazarus."
Ein Moment des angespannten Schweigens entstand zwischen ihnen. Nataleigh war noch immer eisern in ihrer Mimik und gefasst in ihrem Tonfall. Sie zuckte mit keiner Wimper, gab keine Regung preis. Und nicht für eine Sekunde ließ die Ritterin ihn jetzt noch aus den Augen. Aber du hast dich schon vor fünf Sätzen verraten, Mädchen. Godfrey starrte ebenso glatt und frostig zurück, seine Züge wie aus Porzellan geformt. Er lehnte sich geschmeidig im Sessel zurück und sprach zwischen klirrender Kälte und feurigem Zorn. "Caudecus oder Lazarus." Ein abfälliges Schnauben entkam ihm, und er gebrauchte es für einen weiteren Moment des schweigenden Blickduelles. Dann zischte er langsam: "Ich hoffe dir ist klar, werte Nataleigh, dass es keine Entscheidung gibt. Wir sind der Weiße Mantel. Und ich hoffe sehr, dass du mir nun berichten kannst, dass Haus Ainsworth die Treue hält. Andernfalls..."
"Ich folge keinem Verräter, der seine miese Politik über das Wohl der wahren Götter stellt." Sie war nicht eingeschüchtert durch sein offenes Ende und bewies den wüsten Stolz eines wahren Eiferers. Die beherrschte Mimik blieb ihr allerdings erhalten. Viel zu einfach. "Die Treue des Hauses Ainsworth gilt den Plänen des Mantels und Lazarus." Darauf wäre ich jetzt nie gekommen. "Wenn Caudecus weiter hunderte Jahre lang Intrigen schmieden will und den Mantel dafür missbrauchen möchte, dann sei es so. Aber dann hat der Mantel eine Ritterin weniger." Rührend.
Auch Godfreys Blick wandelte sich nicht eine Sekunde, während er ihr lauschte. Und das blieb auch lange Momente danach noch so. Kein Muskel zuckte. Er fixierte sie, prüfend, durchlöchernd, schien sie und ihre Worte abzuwägen. Seine Fingerkuppen hatte er inzwischen wieder in der Höhe zusammen gelegt. Dann plötzlich schenkte er ihr ein gequältes Schmunzeln.
"Immerhin ein kleiner Trost.", seufzte er. "Verzeih mir, bei der Weißen Inquisition lernt man, Niemandem zu vertrauen. Aber das kennst du gewiss von deinem Bruder." Er löste die Hände und raufte sich mit der Rechten durchs Haar.
"Mh.. kenn' ich." Sie lockerte sich ein wenig auf, wiegte den Kopf zur Seite.
"Ich möchte in Freudengeschrei ausbrechen über das Erwachen unseres Gottes, aber dieser Verrat... bei Saul." Verächtlich engte der Inquisitor die Augenlider. "Und was genau ist nun der Wille des Schrecklichen? Du erwähntest eine Kooperation mit dem Feind?"
"Es gibt Informationen, dass er nach Tarir gegangen ist. Allerdings wurde die Stadt nicht zerstört oder erobert, wie angenommen wurde. Seitdem... Nichts. Ehrlich gesagt keine Ahnung, was nun los ist. Es gibt keine neuen Nachrichten aus dem Dschungel."
Godfrey lauschte ihren Worten brütend. Wo er sich gerade noch durchs Haar gefahren hatte, strich die Rechte jetzt über den eigenen Mund, grüblerisch und gebannt. "Das ist eine überaus prekäre Situation.", stellte er schnaufend das Offensichtliche fest. "Was könnte er vorhaben? Aber es ist nicht an uns, zu hinterfragen. Die Wege der Ungesehenen sind unergründlich."
"In der Tat." Sie pausierte. "Nur... was machen wir jetzt mit Caudecus?"
"Der Beichtvater selbst, ein Verräter. Das ist ein herber Schlag." Er lachte bitter auf, fuhr sich in frustrierter Geste energischer mit den ledernen Fingern über die Lippen und versank tiefer in seinem Sessel. "..aber es darf keine Nachsicht damit geben. Für das Haus Ainsworth ist es klar, was zu tun ist. Eure Zelle besteht aus langjährigen Getreuen, ihr braucht nur zu warten, dass der Ruf des Schrecklichen Euch einbeordert. Was mich betrifft... ich fürchte, ich werde etwas tun müssen, das mir ganz und garnicht gefällt." Er engte die Lider noch schärfer und kratzte sich am Kinn. Das ist immerhin tatsächlich so.
"Mh.", machte Nataleigh geistlos und langsam, im Kontrast zu ihrer Wortwahl. "Ich halte den Beichtvater für einen furchtbaren Idioten. Nichts, womit du nicht fertig wirst." Im einen Moment schien sie sich nicht merken zu können, dass man die formale Ansprache schonmal hinter sich gelassen hatte, im nächsten dann wieder doch.
"Heh.", machte Godfrey, unfreiwillig angeheitert, senkte den Arm und schmunzelte der Ritterin mit einer mühsam aufgebrachten Wärme entgegen. "Das will ich meinen. Der Beichtvater hat trotzdem noch viele hochrangige Anhänger, die ihr Deckleben hier in Kryta führen. Aber das ist nicht einmal das größte Problem. Das Problem sind meine Leute."
"Dann... tötet die auch?", fragte sie in prägnanter Betonung. Jetzt bin ich langsam ein wenig enttäuscht von dir, Nataleigh.
"Ah, meine liebe Nataleigh." Der Inquisitor des Weißen Mantels schüttelte sacht den Kopf und kräuselte die Lippen zu einem wissenden Schmunzeln. "Ich wurde mit dem Auftrag nach Kryta entsandt, einen Gutteil der Banden zusammen zu ziehen und sie zu koordinieren, die Übernahme vorzubereiten. Und das ist mir, wie ich jetzt mit einer gewissen Bitterkeit feststelle, gut gelungen. Weißt du, aus welchem Grunde?" Sie antwortete nicht und lächelte jetzt plötzlich - ein falsches, kleines Lächeln, das ganz ihm galt. Godfrey hielt sich daran nicht auf, da sie Nichts sprach, und fuhr ausschweifend fort: "Weil die Banditen Scharlatane sind. Ein lebendes, atmendes Mittel zum Zweck, das mit der Übernahme Krytas noch viel leichter zu ködern ist als mit religiöser Missionierung. Sie sind Bauern in einem großen Schachspiel. Aber Bauern sind nur solange artig, wie sie das Gefühl besitzen, dass ihre Ziele eine Zukunft haben. Nimmt man ihnen das, proben sie Aufstand." Sein Blick schweifte flüchtig, aber ohne wirkliche Sorge zur Tür. "Dieser lausige Haufen dort draußen ist nur ein bescheidener Bruchteil der Männer und Frauen, die ich koordiniere. Sie alle zu eliminieren ist gelinde gesagt nicht möglich, ohne dass sie bemerken was geschieht und mich dann überrollen. Die Furcht hält sie folgsam. Wenn aber der Zorn dazu kommt, dann ist alles verloren. Nein, ich habe einen anderen Plan." Er schärfte das Augenmerk wieder auf Nataleigh. "Einen, durch den wir vielleicht wesentlich schneller an den Kopf des Beichtvaters kommen als sonst."
"Mh... da habt Ihr Recht.", gestand sie ihm knapp ein, doch sie wollte mehr hören. "Nun?", hängte sie abwartend an und verfiel wieder in Schweigen. Wo man vor wenigen Wochen noch gemeinsam gefeiert hatte, ging sie hier ganz in ihrem Dienst auf.
"Ich muss das, was ich bisher getan habe, fortführen. Soll heißen, ich muss den Anschein erwecken, es zu tun." Er sprach in selbstkritischer, aber entschlossener Intonierung. "Caudecus rechnet mit der Unterstützung der Banditen, um ihn auf den Thron zu verfrachten. Und je länger die Banditen glauben, dass sich Nichts geändert hat, desto besser. Wenn es ihnen dann gesagt wird, werden sie trotzdem weiter ihre weltlichen Ziele haben, und diese müssen ihnen gelassen werden, bis der große Fisch an den Köder beißt. Caudecus wird Unterstützung wollen-", betonte er wiederholend, "-und deswegen wird er früher oder später seinen Standort verraten, oder seine Pläne präzisieren. Je mehr die wahrhaftigen Jünger der Unsichtbaren davon erfahren, desto besser. Ich werde sein System infiltrieren, damit wir zuschlagen können, sobald er sich unvorsichtig zeigt. Dann werden die Verräter sauber ausgemerzt, ohne dass es zu weiteren Komplikationen kommt."
"Falls Ihr meine Unterstützung braucht - zählt auf mich.", schoss es abrupt und entschlossen aus der Ritterin hervor. Hingebungsvoll, aber gefasst, und ohne jegliche Form der Hinterfragung. So, wie man es von ihr erwartete.
"Oh, und wie ich auf dich zähle, meine geschätzte Nataleigh." Godfrey vertiefte sein Schmunzeln und betrachtete sie in gelassenem Wohlwollen, das den Ernst der Situation jedoch nicht durchbrach. "Ich werde auf dich angewiesen sein, um Kontakt zu halten und Informationen auszutauschen. Allerdings können wir uns von nun an nicht mehr so treffen wie hier. Zu gefährlich. Die Gauner könnten Verdacht schöpfen."
"Weil zwei Zellen Kontakt halten, schöpfen sie Verdacht?" Sie schrägte nur fragend den Kopf und verstand nicht. Meine Schöne, das könntest du wirklich besser.
"Sie werden Verdacht schöpfen, sobald sie wissen, dass es eine Spaltung gegeben hat.", antwortete Inquistior schlicht und nüchtern, in Erläuterung der Tatsachen. "Das wird spätestens dann geschehen, wenn ein Gesandter des Caudecus sich hier blicken lässt. Und da Haus Ainsworth Lazarus die Treue hält..." Er ersparte es sich, den Satz zu beenden, vollführte stattdessen eine ausholende, überdeutliche Geste mit der Rechten, ihr entgegen weisend.
"Ah. Achso. Gut. Dann meldet Euch, sobald Ihr es für sicher oder wichtig haltet, Inquisitor."
Sie hatte kaum ausgesprochen, da stand die großgewachsene Ritterin des Weißen Mantels auch schon wieder kerzengerade neben dem Stuhl, pflichbewusst und abmarschbereit.
"Sicher.", sprach auch Godfrey, indem er ihr noch solidarisch zunickte. Dann allerdings hob er wieder die rechte Braue. "Hast du übrigens bereits vergessen, dass wir per 'Du' waren?" Erst im Abklang seiner Worte erhob er sich, weit weniger militärisch als sie, langsam und auf Eleganz bedacht.
Derweil ergriff sie ihr langes Schwert und scheidete es in routinierter Manier, um sich aufbruchbereit zu machen. "Ah... Mh.", machte sie nur, erschreckend stumpf insgesamt, selbst in einem Moment wie diesem. "Ich vergesse Vieles und bekomme Vieles nicht mit." Ja, das ist mir aufgefallen.
"Dabei hattest du es uns doch angeboten.", entgegnete Godfrey mit einem leichten Blinzeln des Erstaunens, nur um es wieder verwehen zu lassen und stattdessen wieder sein wissendes Schmunzeln aufzusetzen. "Ah, aber wir haben viel um die Ohren in diesen Zeiten - da fällt es manchmal schwer, die kleinen Dinge im Kopf zu behalten. Die Pflicht ruft uns eben."
Er umrundete mit aufrechten, geschmeidigen Schritten den Tisch, ganz gemächlich, und blieb vor Nataleigh stehen. Das gönnerhafte Schmunzeln war ihm erhalten geblieben.
"Wir werden uns jetzt für eine gewisse Zeit nicht sehen.", sagte er. Dabei hob er seine Rechte und legte die Hand an ihren gerüsteten Oberarm. "Gibt es bis dahin noch etwas, das ich für dich tun könnte?"
~ * ~
Nachdem der Bandit, den er wieder mit dazu geholt hatte, die Tür hinter Nataleigh schloss und sie fortführte, erhob Godfrey sich lächelnd vom Schreibtisch, den er abermals umrundete. Der Verschworene war eingetreten. Schlaksig und stark ragte der unnatürlich riesige Henker vor ihm empor, das abnorm große Zweihandschwert auf dem Rücken statt vor sich aufgestellt, und starrte ihm aus jenen violetten Augen entgegen, die sein einziges Mittel zur Sprache waren.
"Mein treuer Freund!", trällerte Godfrey in Hochstimmung, die Arme feierlich ausgebreitet, während er dem drei Köpfe größeren Mann entgegen trat. "Jetzt hast du mich schon so lange begleitet, und endlich ernten wir die Früchte unserer Arbeit. Mit großem Frohlocken kann ich dir berichten, dass unser verbliebener Gott, Lazarus, zu neuem Le..."
Der Arm seines Henkers schoss so unerwartet nach vorne, dass der Inquisitor garkeine Möglichkeit hatte, zu reagieren. Wie eine Puppe wurde er von den Füßen gerissen und ein Stück weit umher geschleudert, als der vermummte Riese ihn am Hals packte und gegen die Innenvertäfelung der Hütte donnerte. Godfrey spürte einen stechenden Schmerz sein Rückgrat hinaufschießen, in peinigender Erinnerung an das Malheur vor einigen Wochen. Der Verschworene mochte für seine wirklich ungesunde Übergröße mehr Masse einbüßen als andere menschliche Hünen, aber er war so stark wie die Besten von ihnen. Und er drückte langsam aber sicher zu.
"Was.. gargh.. hat das zu bedeuten!?", keuchte Godfrey und packte hektisch mit beiden Händen ans Handgelenk seines Henkers, doch er vermochte den Griff nicht zu lösen. "Lass mich.. los! Gargh.."
Der Verschworene sagte Nichts. Ganz so wie immer. In diesem Moment war das umso unheimlicher und beängstigender. Er engte nur seine seltsamen, fliederfarbenen Augen, hielt den Inquisitor eisern gepackt und förderte mit der freien Hand ein Stück Papier zutage, scheinbar aus dem Nichts. Godfrey musste nur einen kurzen Blick darauf erhaschen, um zu wissen, was es war. Zevs Brief, der ihn schon vor exakt zwei Wochen über Lazarus informiert hatte.
"Du hast meine Sachen durchwühlt. Ich kann das alles erkl... garglaaarglarrgh.." Ihm quollen die Augen aus den Höhlen, als der Verschworene ihm das Wort abschnitt, indem er ruckartig fester drückte. Bei all seinem bedingungslosen Gehorsam und der ewigen Stille, musste der Inquisitor jetzt feststellen, konnte man leicht vergessen, für wen dieser Mann wirklich arbeitete.
Heißer, wütender Atem drang durch die Maske des Henkers, und er machte das Ganze zu einer langsamen, qualvollen Angelegenheit. Äußerst gekonnt quetschte er ihm den Hals zusammen, wo er sonst nur blitzartig Köpfe abschlug. Godfrey packte mit aller Kraft in die Finger des Riesen, zwei Hände gegen eine, zerrte und bog in panischer Todesangst, um sich ein kleines bisschen Atemluft zu erkämpfen.
"Gargh.. ich.. gargh.. wusste nicht wem ich.. garghlarrgh... vertrauen konnte! Garrrghh.." Ihm tanzten Sternchen vor den Augen, und die Sicht begann zu verschwimmen. In seinem Schädel staute sich das Blut, und alles was er noch hören konnte, war ein dumpfes Pochen von innen, als würde ihm der Kopf gleich platzen. Keine Luft mehr. Inquisitor Godfrey strampelte mit den Beinen wie ein kleines Kind. Mehr zufällig als beabsichtigt trat er dabei nach dem Verschworenen, der nichtmal zusammenzuckte. Keine Luft...
Seine Sicht klärte sich. Der Verschworene hatte ihn losgelassen. Godfrey sank kraftlos mit dem Rücken an der Wand herab, blinzelte, tastete seinen Hals ab, japste schwer nach Luft, lange Momente. Noch immer pochte sein Schädel. Sein Herz nicht minder. Er brauchte gefühlte Stunden, um sich wieder zu sammeln, auch wenn er wusste, dass es rasch genug ging. Mit einem leeren Krächzen hob er den Blick, indem er seinen Hinterkopf an die Holzwand lehnte. Der vermummte Riese stand über ihm und starrte aus gleichgültigen, kalten Augen auf seine Misere herab. Ein warnendes Starren lag in diesem Blick. Dann ließ der Henker den Brief des Mantel-Klerikers los, sodass das Papier auf Godfreys Schoß herab trudelte. Der Inquisitor sah seinem treuesten Mitstreiter mit hasserfüllt funkelnden Augen nach, als dieser sich abwandte, nach draußen stiefelte und die Tür hinter sich zuzog.
Godfrey ließ einige Momente verstreichen, bis er sich sicher war, dass der Verschworene fortgegangen war. Dann brach er in wirres Kichern aus und konnte sich kaum halten vor zerstörtem Lachen. Er konnte nicht glauben, dass er mit dieser Geschichte doch noch durchgekommen war. Sein Gekicher erstarb in einem schweren, röchelnden Husten, als die Nachfolgen des herben Würgegriffs sich wieder in Erinnerung riefen.
Nachdem er sich das blondierte Haar glattgestrichen hatte, tastete der Inquisitor in die Innentasche seines ledernen Kurzmantels. Neben der jüngsten Nachricht von Nair Kell steckte dort noch immer ein weiterer Brief. Der des Ratsherren di Falcone, welchen er zwei Tage nach dem von Kleriker Zev erhalten hatte. Nur zu gut, dass der Verschworene über die Vorsichtsmaßnahmen, die er nach dem ersten Schrieb getroffen hatte, nicht informiert worden war. Nun war es an der Zeit, auch dem Legatminister die Treue zu schwören und seinen Handlangern zuzusichern, das System der Abspalter zu infiltrieren. Und es gab noch einen dringenden weiteren Brief zu schreiben. "Ich hoffe Ihr seid da draußen unterwegs, Qayy, sonst habe ich ein Problem." Abermals hustete er in die Faust.
Schließlich machte Godfrey die Augen zu und blieb noch eine Weile sitzen. Ihr kriegt mich nicht, ihr Deppen, ihr kriegt mich nicht...
((Warnung: Starke Spoiler im zweiten Teil))
Kommentare 3
Estelion
Ich finde, ich ann mir nicht helfen, die Stellen mit "garglaaarglarrgh.." unheimlich witzig =)
Ist natürlich mal wieder gut geschrieben.
Feodrit
Soso, werden jetzt alle gegeneinander ausgespielt Der Henker macht mich nun doch neugierig.
Amina
Wahnsinn Auch sehr interessant, wie er Nataleigh einschätzt. Ich freue mich auf mehr !