Ebonfalke, 1326 n.E.
"Sie werden mich hassen, sollten sie es jemals erfahren. Alle." Meine Worte waren nur ein leises Flüstern, dass sich allzu schnell in der Finsternis der Krypta verlor, während ich auf die verwitterte Tafel des Sarges sah, vor dem ich stand. Nur eine einzige Kerze brachte Licht in den kalten Raum, so spärlich und klein, wie ich mich gerade fühlte. Nur das ich mich deutlich weniger wandt, als es die Kerzenflamme in der Windstille des Ortes je vermochte. Nicht einmal die Tränen schaffte sie zu offenbaren, die sich durch das helle Puder auf meinen Wangen fraßen und der Stärke spotteten, die ich doch halten wollte. Alles hatte seinen Preis wie man so schön sagte und an diesem Tag begann ich die erste Rate dafür zu zahlen. "Du bist krank mein Kind, sie werden es dir verzeihen. Kranke Menschen tun Dinge, die man ihnen vergibt." Mutters Stimme klang wie süßer Balsam in meinen Ohren, während meine so dünnen Fingerspitzen fahrig über die Tafel ihres Grabes strichen. Welch perverser Moment, den ich auch noch genoss; Aber wer sollte mich auch schon dafür tadeln? Ich war alleine im Grab, mit dem beschworenen Ebenbild meiner Mutter im Rücken und die Toten konnten mich im Moment wohl kaum dafür richten, dass ich die Ruhe des Ortes so störte und verspottete. Noch schlimmer war wohl, dass ich mich irgendwie an dem Zerren im Geiste labte, denn sie brachte die süße Genugtuung von Macht.
Nur langsam ging mein Blick zur durchscheinenden Gestalt der Frau, die mich einst gebar, während ihre sterblichen Überreste in dem zugemauerten Sarg neben mir verrotteten. Immerhin hatte ich den Anstand bewiesen, ihren schmalen Zügen etwas durchscheinendes, ätherisches zu verleihen, um diesem Ort irgendwie meinen Respekt zu zollen und gleichsam darauf zu spucken, weil ich mich doch so intelligent fühlte. Hatte ich mich jemals in meinem Leben selbst so dermaßen verachtet und geliebt gleichermaßen? "Würdest du mir vergeben können, wenn du noch lebtest Mutter? Würde deine Liebe dem Hass meiner künftigen Taten überwiegen, wenn du...es überleben würdest?" Sie schwieg für einen Moment, weil ich es so wollte und auch die samtenen, leisen Worte die sie vortrug waren genau die, die ich hören wollte. Die ich im Geiste formte, wie jede Nacht aufs neue, wenn ich ihr Bilde beschwor."Natürlich mein Kind. Ich würde dir alles verzeihen, du bist doch meine Tochter." Welch Balsam für die Kindesseele die in mir schrie, es nicht zu tun, weil es mir doch gut ging. Eigentlich. Und selbst das war eine Lüge, weil das Kind in mir einfach nicht verstand was mich trieb. Das letzte bisschen Unschuld das ich besaß, neben der des Leibes aber die war wertlos. Verkaufbar wie alles auf der Welt- sogar die des Geistes, die bald auf dem silbernen Tablett ihr Ende in der Asche finden würde. "Ri ist gegangen...sie war klüger als ich." so banale Worte die über meine Lippen perlten in dem wirren Versuch eine längst tote Person über die derzeitigen Ereignisse zu informieren. Natürlich wusste das Bilde meiner Mutter längst darüber bescheid, immerhin war sie mit dem Geiste verbunden und doch war da dieser kleine Drang, es ihr erzählen zu müssen. Die Illusion einer funktionierenden Beziehung zu einer Frau, die mir viel zu früh entrissen wurde und mit ihr ein starker Halt, den ich gebraucht hätte. "Ri ist ein starkes Mädchen Aiko, dass weißt du. Ihr seid beide klug, auf eure eigene Art und Weise. Sie wird auf dich warten." Worte wie sie nur eine Mutter vollbrachte, Worte die ich mir so sehr von der fehlenden Frau wünschte in diesem Moment. Ein Nicken brach meine Regungslosigkeit, noch ehe ich mich der zarten Erscheinung der canthanischen Blüte näherte. Sie war längst verwelkt, doch in meinen Augen das schönste, was ich je sehen durfte.
Ich erlag der eigenen Illusion die ich schuf, schmiegte mich in die behütende Umarmung von ihr, als könne sie alles Übel dieser Welt mit dieser kleinen Geste von mir vertreiben. Sie raunte leise, summte gar an mein Ohr und schaffte es tatsächlich für diesen kleinen, flüchtigen Moment den Schrei meines Herzens verstummen zu lassen. Minuten verstrichen wohl, wo ich mir einredete das alles gut sei, mir den Duft von ihr wieder in Erinnerung rief, um das Bild meiner Mutter abzurunden und meine Sinne damit zu betrügen und den Verstand zu täuschen. Roch sie tatsächlich wie der taufrische Morgen, geküsst von den ersten Sonnenstrahlen eines beginnenden Tages? Ich wusste es tatsächlich nicht mehr genau, aber in diesem Moment...da war es einfach richtig dass sie so roch."Egal was passiert, egal was ich tun werde...vergiss nie, dass ich dich über alles liebe Mutter, ja? Versprich es mir. Vergiss es nie und...vergebe mir bitte. Ich liebe sie, aber...es wird Zeit für einen Neuanfang." Und natürlich vergab sie mir in diesem Moment und sprach mir wohlwollend zu, denn sie war meine Mutter. Das Ideal, dass meinem Geiste entsprang und selbst wenn sie noch leben würde...sie wäre zu Feige gewesen, mit dem sanften Lächeln auf den Lippen und dem stummen Schrei im Blick zu brechen. Eine Feigheit von der ich mich lösen würde und das schon bald.
Ein letzter Kuss fand ihre Lippen, so unendlich zart und vorsichtig auf das dunkle Rot gehaucht, dann löste sich ihre Gestalt auf und mein Blick ging zu der Kerze nach der ich griff. Es wurde Zeit die nächsten Schritte zu gehen und irgendwie beruhigte mich der Gedanke, dass nicht ich das Messer führen würde, dass so vielen meines Clans das Leben kosten würde.~