Ecken und Kanten


„Warum sollte ich mich von kleingeistigen Visionen aufhalten lassen? Diese Idioten, mit ihrer unsäglichen Dummheit und ihrer Überzeugung von nichts und wieder nichts können mich nicht ausbremsen. Ich fahre einfach über die hinweg. Wie ein Wind. Dann sollen sie glotzen und sich ihre Frisuren richten, das Geschmeiß!“
„Helena!“ Adrian stand in der Küche, den Mund erstaunt geöffnet, und lachte. „Es hat doch niemand was gesagt!“
„Ich kümmere mich um die Angelegenheiten, Adrian. Ich bin da. Also stecke ich auch das Geld ein.“
„Niemand will es dir weg nehmen. Was regst du dich denn überhaupt so auf?“
„Weil du hier in der Küche stehst und schaust, als wolltest du mich belehren. Ich brauche dich nicht, um mir zu sagen, wie ich handeln soll. Danke. Ich komme sehr gut allein zurecht. Auf Wiedersehen.“
Zwar sprach Helena ihren Abschied, doch bewegte sie sich nicht. Und so kam Adrian Iorga zu dem Schluss, dass es ihre Absicht gewesen sein musste, ihn zum Gehen zu bewegen. Ein kalkuliertes Lächeln spielte um seinen Mund, einer dieser unhöflichen, geschliffenen Ausdrücke, die ihn in den Augen vieler Frauen so liebenswert machten.
Helena erkannte darin viel mehr als die abweisende Freundlichkeit eines Galans. Sie sah was andere nicht erkennen konnten, was sie hinter Adrians schöner Fassade guter Kultur nicht zu sehen vermochten oder schlechterdings nicht mochten: Er war ein brüsker Mann ohne die geringste Ritterlichkeit. Seine schneidige Art war Berechnung, Voraussicht, war nicht mehr als kalte Planung und Schätzung. Er lachte darüber und machte seine Scherze, gab sich herzallerliebst und glaubte am Ende noch selbst daran, dass er ein anständiger Kerl sei. Aber Adrian war harsch, er war rücksichtslos und er schmückte sich mit Gefühlen und Eigenschaften, als wären es Taschenuhren, Masken, Manschettenknöpfe. Er stand dort im Raum, kräftig, schlank und hochgewachsen, sein Frack auf den Leib gegossen, mit einer gleichmäßigen Hand, die sich hob und einen Gegenstand wegwarf, den er gar nicht in der Hand hielt.
„Erkühn dich nicht, mir schon wieder den Krieg zu erklären“, sagte er. Sein Ton war wie ein Spazierschritt.
Doch Helena war wie die Zerstörerin eines Idylls, die in die ländliche Abgeschiedenheit seiner Gedanken brach, ihm den Spazierstock entriss und über dem eigenen Knie zerbrach. Mit glühenden Schritten war sie zu ihm geflogen, hatte sich hinter ihn gebracht und schob jetzt gegen seinen Rücken.
Adrian lachte, drehte sich, und spürte ihre Hände gegen seine Brust schieben. Aus Entgegenkommen setzte er einen Schritt in Richtung Tür.
„Du willst also wortlos bleiben? Hast du mir nichts zu antworten? Ich komme dich besuchen und du wirfst mich hinaus? Sagst keinen Grund, bekämpfst mich wie einen alten Feind und versuchst, mich so schnell wie möglich loszuwerden? Das ist interessant. Hat es mit deinen Geheimnissen zu tun? Oder warum bin ich auf einmal nicht mehr dein Freund?“
Adrians Distanz war plänkelhaft, farbenfroh und voll zivilisierten Witzes, blühend und vermeintlich fromm, während Helenas Distanz kalt und weiß war, ein bloßes, tundrisches Feld, über dem Sturmwinde ungeregelt einherpfiffen.
„Götter, Adrian!“, stieß sie mit schwachem Druck aus und schob ihn noch, aber sie wurde halbherzig dabei. „Kannst du dich denn nicht einmal beherrschen?“
„ACH!“ Adrians Augen waren forsch. Trotzdem konnte er damit warm blicken. „Dann bin ich derjenige, der Probleme mit seiner Beherrschung hat! Gut, dass du es sagst, ich wäre doch fast dem Irrtum aufgesessen, dass du diejenige bist, die etwas aus der Reihe gebracht ist, etwas kopfscheu!“ Er griff nach ihrem Gesicht und wollte sie, um die Sache noch etwas weiter zu treiben, an der Wange tätscheln, doch Helena riss ihren Kopf zurück und schlug nach ihm.
„Du erinnerst mich an Nicolae!“, rief sie aus. Es war aus ihr herausgeplatzt, man hörte, dass sie es nicht sagen hatte wollen. Als es aber zu spät war, zog sie ihren kurzen Mund zu einer vollen Kräuselung und setzte ihrem Gesicht die richtige Konsequenz nach. „Wenn ich dir ins Gesicht schaue, seh ich mehr von ihm als je zuvor. Du kannst von mir aus alle anderen auf den Holzweg führen. Aber ich sehe, wo es hingeht.“
„Ich bin überhaupt nicht wie Nicolae.“ Adrian klang mit einem Schlag verlangsamt. Sie hatte mit ihren Worten einen bestürzten Strich mitten in sein Gesicht gemalt. Seine Beschwichtigung, so sanftmütig sie ihm von den Lippen ging, verfehlte ihre Glaubhaftigkeit bei Helena, doch nicht, weil sie im Recht war, sondern weil sie in ihrem Bild, ihrer Befürchtung bereits so verbohrt war, dass sie lieber übersah, was sie veranlassen könnte, mild über ihren Vetter zu urteilen und zu riskieren, dass er sie überraschte. „Du denkst, ich bin wie Nicolae? Wie kommst du nur darauf?“
„Ja, Adrian. Wie komme ich nur darauf.“
Und plötzlich tat sich ein Riss im zugefrorenen Grund zwischen ihnen auf. Adrian musste ihn bemerken, denn er lächelte schwach und stieg darüber hinweg, setzte einen Schritt auf Helena zu und fasste sie an der Schulter, die sich hart und knochig in seinem Griff anfühlte.
Als er etwas zu ihr sagen wollte, bemerkte er, dass er auch auf ihrer Seite, jenseits des Risses, nicht zu ihr durchdringen konnte. Er mochte noch und nöcher unsichtbare Abgründe übertreten. Sie hatte sich in einer Idee festgefahren. Jeder Schritt, den er in ihre Richtung machte, ließ ihn auf der Stelle treten. Er redete also nicht aus Gerissenheit und Planung mit ihr, sondern aus einem sonderbaren Anliegen heraus, zu dem vielleicht sie ihn, vielleicht gar, ohne es selbst zu wissen, manipuliert hatte. Oder hatte sie das von Anfang an gewollt?
„Ich nehme dir nichts weg, Helena. Du kannst aus deinem Leben machen, was du willst. Treib deine Geheimnisse weiter. Deinem Wunsch, ein adeliges Mädchen zu sein-“
„Siehst du, Adrian, du kennst mich überhaupt nicht. Du redest immer noch, als wäre ich ein kleines Mädchen. Diesen Traum hatte ich früher, als ich die Welt nur von außen kannte und gedacht hab, dass sie existiert. Mittlerweile weiß ich, dass dieses Leben nur Scharade ist. Es hat keine Substanz.“
Adrian runzelte die Stirn.
„Was dann, Helena? Wieder auf Bäume klettern?“
„Wenn ich es möchte? Wer sollte es mir verbieten?“
Adrians Züge waren markant, er hatte, wie auch Helena, die sippeneigene Schärfe in jeder Kontur, aber sein Gesicht war ganz anders. Darin war Raum für Wärme. Seine Augen hinterfragten die Dinge scherzhaft und leichtherzig, ohne die aufdringliche Neugier und das kühle Misstrauen Helenas.
„Du selbst“, sagte er mit der Ruhe und Güte eines zurückhaltenden Familiensinns. „Wir können nicht anders sein als wozu wir bestimmt sind.“
„Sag du mir nicht, wozu ich bestimmt bin.“
„Das muss ich gar nicht. Ich begreif es jetzt. Deshalb wirfst du mich raus.“
„Ich werfe dich raus“, widersprach sie ihm und klang, als wolle sie im Grunde sagen, dass sie ihn gar nicht hinauswürfe, doch ihre Hand manövrierte Adrian, der dabei still lächelte, durch die Diele und zum Ausgang, „weil du mich immer noch siehst, wie ich einmal gewesen bin, als Kind. Du bist den anderen darin ähnlich. Euer Gerede und Handeln spricht mir die Weiterentwicklung ab. Das ist Unreflektiertheit, die ich nicht um mich will. Also musst du gehen.“
„Auf die Gefahr hin, dass wir dich für kindlich und trotzig halten?“
„Auf die Gefahr hin, es zu sein. Ich muss keinem von euch einen Beweis erbringen. Ich kann tun, was ich will.“
„Übrigens war ich deine Mutter besuchen auf dem Weg hierher.“ Adrian blieb in der geöffneten Tür stehen. „Sie empfindet deinen Umgang als besorgniserregend. Ach, und stimmt es, dass du und Claire auf einmal befreundet seid? Du kommst dir dabei nicht ein wenig schmierenkomödiantisch vor?“
Helena sah ihm seine Freude an, selbst Kind und Narr zu sein und sie noch an der Tür, schon halb im Freien stehend, auf einmal mit Lappalien zu belästigen, von denen er hoffte, dass er sie damit ein wenig aufziehen konnte.
„Guten Tag, Adrian. Und grüß mir Gwennis, sollte sie je zu dir zurückkommen.“ Mit einem liebevollen Schwung, der ihrem leblosen Lächeln Atem verlieh, legte sie ihrem Cousin seinen langen Schal um den Hals, ordnete ihn und schob ihn dann aus ihrem Leben.

Kommentare 5

  • Wunderschön geschrieben - Ich kann mich den Anderen nur anschließen! :)

  • Adrian ist keiner der Männer, die man daran erinnern sollte, dass sie ihrem Vater ähneln.
    Helena ist keine der Frauen, die sich davor scheuen, ihr Gegenüber zu reflektieren und sich darüber zu ärgern, dass sie vor einem Spiegel stehen.


    Coole Szene.
    Und dieser Umgang! :D

  • Dein Schreibstil ist wirklich erstklassig! *Gwennis beipflichtet* Der Satz ist mir auch sehr hängen geblieben, genau wie die beiden Absätze über Riss und Abgrund.

  • Ich war ganz hin und weg über den Satz, mit dem du die Distanz der beiden unterschiedlichen Charaktäre beschrieben hast.

  • Wiedermal ganz großartig. <3 Mehr davon, bitte.