Es ist nun Neun Jahre her.
Neun lange Jahre, doch noch immer verfolgt mich dieser Tag in meinen Träumen und noch immer reißen mich die Erinnerungen hin und wieder aus der Wirklichkeit. Noch immer sehe ich das Gesicht dieses Mannes vor meinem gestigen Auge, wie er schmatzend und gierig sein Fleisch verschlingend an uns vorbei schlenderte, uns spöttisch angrinste und dann ein halbgekautes Stück vor die Füße spuckte. Er zog eine widerliche Mischung aus ranziger Butter, Kadaver und ungewaschener Hure hinter sich her und hielt trotz alledem noch seine hässlige, rote Säufernase in den Himmel. Nie werde ich vergessen, wie meine Schwester auf Knien zu ihm kroch, sich bedankte und nach einem "Verpiss dich Balg!" von seinen auf hochglanz polierten Lederstiefeln in den Dreck getreten wurde. Nie werde ich vergeben, das soviele zusahen als sie das Stück Fleisch vom Boden auf nahm, es in ihrem Mund, mit dem eigenen Speichel vom Schmutz befreite und mir dann mit den Worten "Iss liebe Schwester." entgegenhielt.
Wir waren auf uns allein gestellt, gemeinsam einsam in dieser riesigen Welt. Alles hatten wir verloren, alles ausser Uns. Jedes Gefühl war abhanden gekommen. Jedes Gefühl ausser das der Rachsucht, welches mit jedem Tag, den wir auf den Straßen in diversen, von Menschen bewohnten Orten verbrachten stärker wurde. Sie waren so kalt. Kälter als ihr Verhalten waren nur die Blicke die sie uns zuwarfen, als wir wiedereinmal um etwas essbares baten. Kälter als sie waren nur die Nächte, in denen wir uns gegenseitig versuchten wärme zu spenden um nicht zu erfrieren. Vielleicht weiß sie es nicht, doch ich bemerkte es. Ich bemerkte, wenn sie mich unter sich begrub, mir vorsichtig die Ohren zuhielt und so vor der Nässe und dem Klang des Regens schützte. - Ich hasse den Regen.
Wenn ich nun daran denke vermisse ich diese Momente. Was ist nur mit dir geschehen Schwester? Bist du auf dem Wege eben so kalt zu werden wie die, für die wir nur noch Abneigung empfinden? Ist es vielleicht meine Schuld, das du so wirst oder verstehe ich nur nicht? Ist das der Pfad den wir gehen müssen? Ich weiß es nicht. Ich weiß so vieles nicht, doch eines ist mir bewusst. Ich werde dir folgen, wenn nötig auch in den Tod, denn ohne dich wäre ich bereits nicht mehr..