Langsam aber sicher legen sich die Schatten über das Viertel des ascalonischen Prinzen. Die ersten Laternen entflammen sich um den Bewohnern einen groben Rest der Orientierung zu lassen. Ich strich über den Türrahmen des kleinen Balkons . Nach einem letzten Blick auf den friedlich schlummernden grauen Fuchs in unserem Bett trat ich hinaus in die kalte Luft, welche wie eine Ohrfeige auf mein Gesicht traf, weckend, brennend und kühl. Es war eine dieser schlaflosen Nächte an welche ich mich im Laufe der Jahre schon gewöhnt hatte. Die frische Luft sollte mir Trost spenden und meinen Kopf klar machen wie den abendlichen Himmel über mir. Aber das hatte noch nie so richtig funktioniert. Die Klarheit der Luft, welche mich umgab, war bisher nie mehr gewesen als eine Illusion, die doch nie meine Lungen erreichen konnte. Die Art von Illusion, welcher man ewig nachjagte sie doch nie zum Greifen zu bekommen. Wie die Irre, die ich war, hatte ich ihr hinterher gehetzt doch ohne jeden Erfolg.
Irgendwie war alles gleich obwohl sich alles geändert hatte. Es war plötzlich so einfach und ich wusste nicht recht was ich davon halten sollte. Der Wind säuselte durch meine dunklen Locken als flüstere er mir süße neue Geheimnisse zu, welche ich gebrauchen konnte um die nächste Existenz auf meiner Liste zu eliminieren. Noch immer konnte ich das warme Blut an meinen Fingern mit welchem ich irgendwo im nirgendwo erwacht war. Doch glauben konnte ich es immer noch nicht. Ab und an flackerte vor meinem inneren Auge was geschehen war, doch war es nicht real genug als das ich wagte davon zu sprechen, auch nur gezielt daran zu denken. In der Befürchtung ich könnte ernüchtert feststellen, dass ich tatsächlich nicht mehr als halluziniert habe. Den Verstand wollte ich nicht verlieren, um keinen Preis. Jedoch konnte ich nicht mit Bestimmtheit sagen ob zwei Mesmer in meiner unmittelbaren Nähe nicht allzu effizient genau das bewirken konnten.
Die anbrechende Nacht hinterließ eine Kühle auf meiner blassen von Schrammen gezierten Haut. Sie würden verschwinden wie alle anderen vor ihnen auch. Schon seltsam wie man sich an manche Dinge gewöhnen konnte, wie selbstverständlich manches war. Wie atmen.
Es funktionierte praktisch von allein, in jeder Sekunde unseres Lebens. Sauerstoff, welcher unsere Lungen erreicht in einer Diffusion an jede einzelne Zelle weitergegeben wird. Gleichzeitig gibt jede von ihnen den unnötigen Ballast, das Kohlendioxyd, wieder ab. Was für eine Ironie, so dachte ich bei mir und doch konnte ich mich als Teil dieses Systems wiedererkennen. Es führt in jedem Falle zu neuer Energie, lässt uns wachsen, lässt zu, dass sich die Bestandteile unseres Körpers bis ins kleinste Einzelteil erneuern. Wie viel davon geschah ohne das wir je davon Notiz genommen hätten. Stets war da eine Art logischer Fehler gewesen, eine Bremse im System, welche viel mehr ein Fehler in meinem Kopf war. Eine Art Blockade, welche das Gefühl erzeugte, ich müsse ersticken, ertrinken in einem Meer aus Leere. Ich hatte mich darauf eingestellt. Das Drücken in der Brust war ein stetiger Begleiter geworden. Irgendwann nicht mehr als ein lästiges Detail in einer Geschichte, die alles in allem aufregend genug verfasst war als das man diesen winzigen Fehler, vermutlich gar nicht mehr als ein an der falschen Stelle gesetztes Komma, weiter beachten musste.
Am Anfang noch da hatte ich hingestarrt, versucht das Komma verschwinden zu lassen und zu korrigieren. Doch je mehr ich es versuchte desto schlimmer brannte es es sich ins Pergament, war wie eine Narbe, die niemals verheilen, im besten Falle verblassen würde. Mit solchen Narben lernt man zu leben, das wusste ich nur zu gut. Wenn man sie schon nicht mochte musste man doch anerkennen, dass sie existierten, für manche von uns nur allzu deutlich sichtbar, manche blieben eine ganze Weile verborgen. Teils tückische Schmerzen die sich nicht ins Fleisch sondern viel schlimmer in den Geist fraßen, unbemerkt unserer Auffassungsgabe unabhängig von unseren Beobachtungen. Falltüren in unserem Kopf die immer da und doch nie geöffnet waren, in einem Gang voller Türen, einem Gang voller Erinnerungen. Egal ob mit Marmor gepflastert oder mit alten Holzdielen, egal ob aus Holz oder Metall, ob zugänglich und einladend oder fest verschlossen um um jeden Preis zu bewahren was im Inneren verborgen liegt. Unbemerkt schleichen sie sich ein und behindern den Weg, den man beschreiten will, legen den Teppich in unschöne Falten, welchen man vor sich auszubreiten versucht.
Und wie reagiert man wenn die Narbe plötzlich verheilt? Wenn die Falltür verschwindet und der Weg sich mit einem Mal eben vor einem erschließt? Eigentlich sollte ich glücklich sein, Freudensprünge vollführen wie junge ungestüme Füchse das taten, nicht wahr? Während ich meinen Blick über die Dächer des Rurikviertels pendeln ließ fühlte ich mich ganz normal, das hieß, was auch immer normal in meinem Falle zu bedeuten hatte. Die kalkulierte Euphorie blieb überwiegend aus. Vielleicht weil ich es noch nicht fassen konnte, weil es so überraschend gegangen war wie es gekommen war. Möglicherweise lag es auch an einer gesunden Prise Paranoia. Womöglich war es ein Trick meines eigenen Verstandes, welcher mich in Sicherheit wiegen wollte. Und noch während diesem Gedankengang bemerkte ich, dass die Pfuschereien in meinem Kopf der letzten Wochen meinen geistigen Zustand keinesfalls verbessert hatten.
Wenn man etwas erst verliert, vermisst man es. So sagt man das doch für gewöhnlich. Dem jedoch konnte ich mich in keinem Punkt anschließen. Das Gefühl in meiner Brust war nichts, was ich schmerzlich zu vermissen in der Lage war. Genau gleich erging es mir mit jenen, die gegangen waren. Vermutlich erwartete man Bedauern von mir, jeder gewöhnliche Mensch würde vermutlich bedauern, oder zumindest den Triumph auskosten. Doch es traf keins von beidem zu. Entweder war ich zu ungeduldig mit meiner eigenen Psyche oder die Ereignisse waren mir tatsächlich gleichgültig.
Freiheit. Was war schon Freiheit und wie man ging man damit um? Hatte sich für mich auch nur das geringste dadurch geändert? Sicherlich, es hatten sich Wege eröffnet, die ich vorher nicht in Betracht gezogen hatte. Jedoch würde ich doch anzweifeln, dass ich es nicht auch auf andere Weise geschafft hätte, diese Wege für mich zu erschließen.
Ich legte die geschienten Finger der linken Hand auf das Balkongeländer. Verletzungen waren nichts mehr wert, lediglich der Schmerz darin war ein willkommener Schatz, ein wiederkehrendes kleines Schmuckstück, welches das Funkeln in meine Augen zurück zauberte.
Tief sog ich Luft ein und schloss die Lider, schmerzhaft war es zwar die Lungen zu füllen und damit den Brustkorb auszuweiten, die Rippen machten noch nicht ganz mit, doch die Luft strömte ins Innere meines Körpers.
Es geschah wieder ganz automatisch. Sauerstoff erreicht die Lunge in deren Inneren eine Diffusion stattfindet. Zellen werden mit neuer Energie gespeist und können sich so erneuern, sich vermehren und weiter entwickeln.
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