Ich wunderte mich immer wieder darüber wie leicht es doch war den Menschen ihr Geld aus der Tasche zu ziehen. Alleine in den letzten zwei Wochen hatte ich siebenunddreißig Silberstücke eingenommen, ohne dass ich auch nur einen einzigen Finger dafür hätte krümmen müssen. Es war erstaunlich. Die Leute glaubten einem im Grunde alles. Man musste es nur richtig angehen und offenbar war ich eine Meisterin darinnen. Ich war eine Magierin, denn ich vermochte es Börsen zu leeren ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken.
Genüsslich zog ich an der fein gearbeiteten Zigarettenspitze. Jade und Weißgold, ein teures Vergnügen. Eigentlich viel zu kostspielig um damit durch die Straßen zu ziehen. Unsinnig es überhaupt zu besitzen. Es war Luxus, den ich mir nicht hätte leisten sollen. Am Ende gehörte sie aber ja auch gar nicht mir alleine und darum befand ich für mich und meine Umwelt, dass das durchaus in Ordnung ginge. Im Prinzip war ich mit der eigentlichen Besitzerin eine Gütergenossenschaft eingegangen. Sie würde es verstehen sobald ich ihr davon erzählte. Schrecklich modern und über die Maße fördernswert. Ich tat Gutes. Ich war ein guter Mensch. Das musste ich mir nicht einmal einreden, denn in meiner Welt entsprach es einem unumstößlichen Fakt. Ich hätte niemals getan was ich eben so tat, wenn ich nicht vollkommen von der Reinheit meiner Seele überzeugt gewesen wäre.
Mein Blick fiel auf das blank polierte Silberstück auf meinem Oberschenkel. Nummer achtunddreißig. Es war noch keine Stunde her, dass ich die vielen Kupferlinge gegen diese wundervolle Münze eingetauscht hatte. Ich mochte Silber. Ich mochte wie sich das Licht darinnen spiegelte und wie es auf meiner Haut wirkte. Ich war zu blass für schweren Goldschmuck und zu eingebildet ihn zu tragen. Gold trugen doch nur solche, die nichts anderes hatten, mit dem sie aufwarten konnten. Seine Gänsebrosche war natürlich eine Ausnahme. Das stand außer Frage. Gut gelaunt pflückte ich das Geldstück von meinem Bein und schob es mir in den Stiefel. Es lief sich einfach wesentlich sicherer wenn man eine Münze im Schuh trug. Ein alter Aberglaube, der mir schon das ein oder andere Mal meinen hübschen Hintern gerettet hatte. Und hübsch musste er sein, denn wieso sonst hätte der blonde Narr mit seinem Schönlingsgesicht mir so viel Geld für einen wertlosen Brief aushändigen sollen? Natürlich hatte ich ihn gelesen, aber dass er mir das zum Vorwurf gemacht hatte verletzte mich. Ich mochte es nicht leiden, dass andere so über mich dachten. Gute Menschen steckten ihre Nase nicht in Dinge, die sie gar nichts angingen. Es war doch wohl nicht MEINE Schuld gewesen, dass dieser Whynter zu dämlich oder zu verliebt war die richtige Adresse anzugeben.
Mit dem kleinen Finger strich ich mir über die Lippen. Ich musste mir ein besseres Versteck einfallen lassen. Der Topf mit den Gewürznelken war definitiv keine Option mehr. Der Tabak schmeckte widerlich dadurch.
Ich hob meinen Blick als ich einen Mann mit einem Kind auf dem Arm an mir vorbei laufen sah. Irgendwie kam mir sein Gesicht bekannt vor. Er war noch nicht bei uns gewesen, aber er war auch niemand, den man nicht kannte. Jedenfalls hatte ich es im Gefühl. Sein Name allerdings wollte mir nicht mehr in den Sinn kommen. Ein Lächeln hob meine Lippen als ich dem Paar nach blickte. Das Mädchen sah albern aus mit den beiden Zöpfen, zu denen man ihr schwarzes Haar gebunden hatte, aber sicherlich war es nur und ausschließlich auf ihren Wunsch geschehen. Kleine Mädchen liebten solche Zöpfe. Ich war da keine Ausnahme gewesen. Wenn ich es mir recht überlegte, dann würde ich mit solchen Zöpfen heute ziemlich süß aussehen. Definitiv merkenswert.
Mit einem Satz hüpfte ich von der Mauer und vernichtete die Reste meiner Zigarette am kalten Sandstein. Danach verstaute ich gewissenhaft die Zigarettenspitze wieder in meiner Tasche. Dabei fiel mir das Feuerzeug in die Hände, das ich seit ein paar Tagen schon mit mir herum trug. Nachdenklich drehte ich es zwischen meinen Fingern. Wie viel das wohl wert war? Sicherlich zwei bis drei Silberstücke. Mit der Gravur eher dreieinhalb. Zufrieden verstaute ich es, legte es zurück in meine Jackentasche und atmete durch. Ja, es war in der Tat erstaunlich wie bereitwillig die Leute mir ihr Geld gaben.
Auf dem Weg aus dem Viertel heraus sah ich den Lampenmann an seiner Mauer stehen. Er war mir nicht ganz geheuer. Das lag allerdings weniger an seinem Aussehen als viel mehr an dem Umstand, dass er dieses Ding immer und ständig mit sich herum schleppte. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich wesentlich mehr Erfolg hatte als er. So jemandem gaben die Leute allenfalls aus Mitleid etwas Geld oder aus dem Wunsch heraus ihr eigenes Gewissen zu beruhigen und er schämte sich vermutlich auch noch dafür, wenn er denn dann einmal etwas bekam. Ich hatte gesehen wie er sich gewunden hatte die Spende dieses Brückendeppen anzunehmen. Der allerdings hatte ihm die Mäuse auch beinahe ins Gesicht gedrückt. Mir war es unbegreiflich wie jemand sein Geld so leichtfertig aus der Hand geben konnte. An einen Menschen, den er vermutlich gar nicht kannte.
Ich lachte als ich mich an den Zylindermann erinnerte. Einmal nett gelächelt, eine hanebüchene Geschichte erzählt und zack...fünfundzwanzig Silberlinge reicher. Ich meine...fünfundzwanzig Silberlinge einfach so..für nichts! Und da beklagten die Leute sich über den Krieg. Ich fand ihn großartig.
Mir fiel auf, dass die alte Schlosserei nicht mehr zum Verkauf stand. Mich interessierte nur bedingt welcher arme Teufel dafür nun wieder sein Geld aus dem Fenster geworfen hatte. Ja, natürlich der Platz bot sich an ein Geschäft zu eröffnen, aber was würde es dieses Mal werden? Wieder ein Feinkostladen, den sich kein Mensch leisten konnte? Oder eine Goldschmiede mit vollkommen überteuerten Preisen? Vielleicht machte mal wieder jemand ein geheimes Spielkasino auf. Oder wieso nicht gleich ein Wettbüro? Ekelhaft für welchen Mist die Leute ihr Geld ausgaben. Sie sollten lieber ihr Land damit unterstützen und was taten sie stattdessen? Sie gaukelten sich selber Normalität vor. Sich und anderen. Ich zweifelte nicht daran, dass über die Hälfte von ihnen das Ende des Krieges nicht mehr erleben würde. Aber ich war mir auch nicht sicher ob ich in einer Welt leben wollte, in der man Nudelsuppe an einem Imbisswagen mit roten Lampignons erstehen konnte. Er würde das lieben, da war ich mir sehr sicher. Und darum war wenigstens das irgendwo noch halbwegs akzeptabel. Es änderte allerdings nichts an der Tatsache, dass es die bescheuertste Geschäftsidee war, die ich seit langem gehört hatte. Vermutlich wurde es genau aus diesem Grund ein mordsmäßiger Erfolg. Die Leute liebten solche abgedrehten Sachen.
Ich hüpfte von der Straße auf den Bordstein und kam mir dämlich dabei vor. Es gehörte allerdings zu meiner Rolle und darum konnte ich es verkraften. Achtunddreißig Silberlinge. Hase würde sehr zufrieden mit mir sein. Am Ende schickte ich ihm vierunddreißig. Es gab Tage im Leben eines jeden, an denen man eine Entscheidung treffen musste. Heute hatte ich entschieden, dass ich in einer Welt voller verschwenderischem Bestreben nur dann richtig unsichtbar werden konnte, wenn ich mich gänzlich anpasste. Es war also praktisch meine Pflicht gewesen mir die dunkelroten Wildlederschuhe zu kaufen, die ich im Schaufenster hatte stehen sehen. Ich war ein guter Mensch. Ein braver Soldat. Ich tat alles für die Sache. Ja, Hase würde wirklich stolz auf mich sein. Ich immerhin war es auch.
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