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Einen Tag zu spät zwar, aber das erdreiste ich mich einfach. Für den iorgaschen Schwan. Alles Gute
„Es war einmal ein Iorga.“, setzte die dunkle Erzählstimme Victors an zu berichten. Der Mann saß in einem bequemen Ohrensessel, hatte das lange, flachsblonde Haar zu einem Zopf nach hinten gebunden und blickte dabei mit gemessenem Ernst über die Schar seiner Zuhörer. Sneshana war die einzige, die ihn nicht ansah. Sie hatte beschlossen, dass er heute nur ihren Rücken zu sehen bekommen würde. „Der lebte in Ascalon.“
„Und da wurde er von den Charr gefressen!“ Kolja lachte tumb auf. Er kam sich, es war immer so mit ihm, besonders witzig vor. Levi mit den blonden Locken, der neben ihm saß, bekam einen Schlag gegen die Brust. In dem dicken Jungen mit den rotfleckigen Pausbacken steckte allerdings viel zu wenig Kraft, als dass es den großen Burschen auch nur im Ansatz hätte ins Wanken bringen können. Helena rollte mit den Augen. Ilie drehte den Kopf, besah sich erst einmal das Profil seiner Schwester, bevor er dazu überging seinen Vetter in Grund und Boden zu starren. „Er ist ein guter Junge.“, befand Sorcia, die im Hintergrund auf einem Stuhl saß, in Ligias Richtung. Beide Frauen warfen dem lachenden Kind einen mitleidigen Blick zu. Dann wurde einvernehmlich genickt.
„Weil doch in Ascalon alle von Charr gefressen werden.“, versuchte der Knabe es erneut. Es verunsicherte ihn, dass nicht einmal sein sonstiger Mitverschwörer lachte. Levi aber hatte es schlicht und ergreifend nicht verstanden. Wenigstens legte er jetzt einen Arm um den speckigen Nacken seines Cousins, damit er auf diese Weise seine Solidarität bekunden konnte. Leon musste darüber lachen und am Ende glaubten alle, dass es wegen dem Witz gewesen wäre.
„Es war einmal ein Iorga.“, setzte Victor nach einem Moment der Stille wieder ein. Er hatte die Zeit damit verbracht sich sein Schnapsglas neu zu befüllen. „Der lebte in Ascalon und wurde nicht von einem Charr gefressen.“ Kolja nickte stolz als er das hörte. Es war zwar nicht sein Vorschlag gewesen, aber immerhin hatte der Onkel seine Worte irgendwie aufgenommen und in seine Geschichte eingebaut. Das war viel wert für den Knaben, der sich daraufhin zufrieden in Levis Arm kuschelte.
„Dieser Iorga, ein Onkel von euch allen, hatte ein Pferd.“ „Wieso hatte er keinen Esel?“, fiel Helena dem Älteren unvermittelt ins Wort. Sie hatte keine Zeit gehabt sich darüber Gedanken zu machen und weil ihr nun, als sich alle Blicke auf sie legten, die Worte ausgingen, hob sie selbsterklärend das zerknautschte Eselplüschtier an, das sie bisher auf ihrem Schoß gestreichelt hatte. Veruca, die insgeheim hoffte ihre Cousine erführe jetzt einen Dämpfer, linste verstohlen hinter dem Rücken ihres Bruders vorbei auf die junge Iorga. „Esel sind beinahe wie Pferde.“, lag es nun an Helena sich für ihren Einwurf zu rechtfertigen. Dann aber entschied sie sich dagegen. Immerhin hatte sie am Morgen noch beschlossen heute ein Pirat zu sein. Es gehörte sich nicht für Iorgamädchen Piraten zu sein, darum trug sie ihre Augenklappe versteckt in ihrer Rocktasche. Sie kam sich schlau deswegen vor und richtete sich nun betont gelassen auf, nur damit sie dann den Schoß Victors erklimmen konnte. Den Esel ließ sie nach reiflicher Überlegung zurück. Sneshana griff ihn sich.
„Es war einmal ein Iorga.“, fing Vitja ein drittes Mal an. Voller Geduld zog er Helena an seine Brust, sodass sie es bequemer hatte. „Der lebte in Ascalon, hatte einen Esel, war ein Onkel von euch und wurde nicht von Charr gefressen.“ Kolja gefiel nicht, dass Helenas Esel jetzt vor seinem Charr stand. Er raunte Levi etwas zu, der ihm daraufhin ein zuversicherndes Kopfnicken und ein Lächeln schenkte. „Dieser Iorga...“, weiter kam er nicht. „Hatte keinen Namen! Hatte er einen Namen?“ Das war jetzt Veruca, die sich immer schon für die Namen von Jungs interessiert hatte und es jetzt ganz genau wissen wollte. Sie hatte längst begriffen, dass sie auch Teil von der Geschichte werden konnte, sie sich diesen Platz aber erstreiten musste. Adrian unterdrückte das Verlangen sich seine Nasenwurzel zu reiben. Es ging immerhin um seine Schwester.
„Möchtest du ihm einen Namen geben?“, stellte Victor, den es nicht aus der Ruhe brachte, seiner Nichte die Frage. Veruca nickte begierig. Dafür erdolchte Helena sie mit den Blicken. Dann aber entschied sie sich wieder um, griff nach dem Arm ihres Onkels und legte ihn um sich.
„Es war sicher Gleb. Denn Gleb ist so alt, dass es nur er gewesen sein kann.“, meldete sich Kolja wieder zu Wort. Hoffnungsvoll sah er Levi an, der es dieses Mal gleich verstand und daraufhin lachte. Niemand sonst tat es. „Es sind beides gute Jungen.“, raunte Sorcia gen Ligia, dann tranken die beiden Mütter einen Schnaps.
„Elfriede ist ein guter Name!“ Verucas Blick fiel auf Florim, der noch gar nichts gesagt hatte, nun aber das Gesicht verzog. „Flos Mutter heißt Elfriede.“, teilte das Mädchen allen mit, dabei wussten sie es längst. Die Kinder machten sich nicht zum ersten Mal über diesen Namen lustig. Heute und in Anwesenheit der Erwachsenen aber wagten sie es nicht. „Nicht Elfriede.“, entschied Florim und beendete damit das Thema.
„Es war einmal ein Iorga.“ Dieses Mal war Victor es, der sich selber unterbrach, denn er vernichtete mit einem Ruck den Inhalt seines Schnapsglases. Verliebt beobachtete Helena das von unten und weil sie sich nun auf einer unantastbaren Position wähnte, nahm sie allen Mut zusammen und zog die Augenklappe aus der Tasche an ihrem Rock.
„Er lebte in Ascalon, hatte einen Esel, war ein Onkel von euch, hieß weder Gleb noch Elfriede und wurde nicht von Charr gefressen.“ Im Hintergrund klopfte Levi Kolja brüderlich bestärkend den Arm. „Er nannte sich Nicolaj, denn viele große Iorgas trugen diesen Namen und tragen ihn heute noch.“ Adrian war es, der jetzt den Blick engte und das triumphale Jauchzen seiner Schwester nicht verstehen konnte, die gleich ein paar Fingerbreit wuchs. Kolja im Hintergrund bekam davon nichts mit, denn er erzählte seinem Vetter gerade, dass er Hunger hatte.
„Eines Tages beschloss Nicolaj auf seinem Esel nach Ebonfalke zu reiten.“ Alesha prustete los. Er erschreckte damit Sneshana, die gerade überlegt hatte wie Helenas Plüschtier wohl ohne Ohren aussehen musste, so sehr, dass sie zischend zusammen zuckte. „Ich habe noch nie einen Iorga auf einem Esel reiten sehen! Würde Kolja das tun, dann bräche das arme Tier ja zusammen!“ Jetzt lachten auch Veruca und nicht zuletzt Florim, der das ziemlich gut fand. „Ich habe Kolja auch schon getragen und bin nicht zusammen gebrochen.“, meldete sich Levi zu Wort, der gleich Partei ergriff für seinen besten Freund. Helena blinzelte fassungslos von ihrer erhobenen Position herunter. Ihre Augenklappe war vergessen. Ilie weiter unten spiegelte den Ausdruck seiner Schwester, nur dass er nicht blinzelte. Leon wechselte einen Blick mit Adrian, dann lachten sie beide. Ligia am Tisch der Frauen spitzte die Lippen. Wortlos füllte sie Sorcias Stamperl auf.
„Ich bin schon einmal auf einem Esel geritten.“, gestand Victor schamlos. Seine Lippen verzogen sich dabei zu einem schmalen Lächeln. „Zusammen mit Boris und Paul.“ Jetzt lachte Alesha noch mehr, denn die Vorstellung von seinem Vater auf dem Rücken eines Esels zerlegte ihn. Helena lachte noch immer nicht. Sie war dazu über gegangen das Gesicht ihres Onkels zu betrachten. Suchte misstrauisch nach einem Hinweis darauf, dass er einen Scherz gemacht hatte. Sie konnte allerdings keinen finden und sorgte mit einem Kuss vor, den sie Victor auf die Wange drückte. Jetzt würde er sicherlich keine Schande über sie bringen. Obwohl, sie wusste es sehr genau, er das nie tat. Sneshana am Boden kniff dem Kuscheltier in die Nase.
„Es war einmal ein Iorga, der Nicolaj hieß, ein Onkel von euch war und auf seinem Esel in Ascalon nach Ebonfalke ritt. Dabei wurde er nicht von Charr gefressen. Er wollte zum Markt reisen und sich eine neue Flinte kaufen, denn ihr wisst ja alle wie wichtig es ist eine gute Flinte sein Eigen zu nennen.“ Ilie war damit nicht einverstanden, schwieg aber, denn der alte Prat, Levis Wolfshund, drängelte sich gerade zwischen die Kinder am Boden und machte es sich neben dem Burschen bequem. „Er musste früh am Morgen aufbrechen, denn von dem Ort, an dem er sein Lager aufgeschlagen hatte, war es ein langer Ritt bis in die Stadt. Und weil sein Esel nicht besonders schnell, dafür aber besonders schlau war, mussten die beiden eben sehr zeitig los.“ Es war gut gewesen, dass er den Einwurf über die geistigen Fähigkeiten des Tieres gebracht hatte, denn so blieb Helena versöhnlich mit ihm. „Es war Mittag und die Sonne stand hoch, als die bei...“ Sneshana stand unvermittelt auf. „Ich hatte erst gedacht, dass er uns eine Geschichte von sich erzählen wollte. Aber das stimmt nicht. Er heißt nicht Nicolaj.“ Dann setzte sie sich wieder. Niemand hatte damit gerechnet und darum herrschte jetzt Stille, die erst durch Victors Stimme durchbrochen wurde, der einen Blick auf die alte Standuhr neben dem Kamin geworfen hatte.
„Es war einmal ein Iorga...“
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