Morgengedanken

Sie hörte ihr Herz schlagen. Unregelmäßig. Wild. Wirr. Genauso wie ihre Gedanken. Sie hatte die Tür zugesperrt. Leni klopfte gegen den Rhythmus ihres Herzschlags an das Holz.Wie lange klopfte sie schon? Schwer war ihr der Körper und auch der Geist als sie die Beine vom Bettrand auf den Boden stellte. Sie hatte noch das rote Kleid an. Das spitzenbesetzte Kropfband scheuerte an ihrem Hals. Ihre Handschuhe. Wo waren ihre Handschuhe? Die Schläge an die Tür wurden lauter. Es war nicht Leni die nun gegen die Tür zimmerte, es war Rupert. Die Wache hatte sie gestern nach Hause gebracht. Er war wütend gewesen. Warum? Langsam wanderte sie zu der Flasche die auf der Kommode stand. Cognac, es war nur noch ein kläglicher Rest in der Karaffe. „Komtess! Wenn Ihr die Tür nicht aufmacht, muss ich sie…“ Er hat den Satz nicht beendet. „Untersteh dich.“ Formten ihre Lippen, doch ihre Stimme hörte sie nicht. „Bei den Göttern! Habt Ihr im Korsett geschlafen?!“ Die aufgerissenen Augen der Dienstmagd waren so grau, wie das gesamte Bild was Marlene vor sich sah. Rupert schüttelte den Kopf und verließ den Flur. Wie eine Puppe ließ Marlene von Leni an den Kleidern zerren und atmete tief ein als das zierliche Wesen sie vom eng geschnürten Kleidungsstück befreit hatte. „Ihr riecht nach Alkohol.“ Nein. Sie stank danach. „Ich möchte baden Leni.“ Warum hörte sie sich selbst nicht sprechen? Sie hörte die Stimmen der Anwesenden aber ihre eigene war lautlos. „Ich mache den Badezuber fertig.“ Die Magd verließ ihr Zimmer. Nur das Unterkleid war noch geblieben. Ihre Finger lösten das Kropfband. Erst jetzt vermochte sie zu begreifen, dass nicht nur ihre Handschuhe weg waren. Der Verband, die Wunde – war das alles nur Einbildung? Sie hatte sicherlich nur schlecht geträumt. Das musste es sein. „Kommt. Ich helfe Euch.“ Stumm folgte sie in das angrenzende Badezimmer. „Reinsteigen müsst Ihr schon selbst. Da kann ich Euch nun wahrlich nicht helfen!“ Kaum ausgesprochen, bereute Leni ihre forschen Worte – demütig senkte sie den Blick. Langsam blätterte Marlene sich aus dem Unterkleid und stieg, wie die Götter sie geschaffen, in den Badezuber. Während Leni sich daran machte ihre Haut zu waschen, den widerlichen Gestank des Alkohols von ihr zu schrubben, schloss die Komtess ihre Augen.


Hinter ihren Lidern blitzten die Bilder und Erinnerungen auf:


Eine Ohrfeige auf dem Balkon. Die knisternde Atmosphäre im roten Kaminzimmer. Ein Kuss in der Bibliothek. Ein Strick aus ihrem eigenen Haar um ihren Hals. Das Mondlicht welches das Himmelbett magisch erleuchtete. Ein Cognac Glas und ihr Blut auf dem Boden in dem Büro über den Dächern der Stadt.


Sie erinnerte sich an den Traum den sie letzte Nacht hatte. Ausdruckslos hang sie an Fäden. Eine stumme Marionette aus Porzellan. Sie musste nur den Kopf heben um die Verantwortlichen zu sehen. Jeder von ihnen war bereit dem anderen ein Messer in den Rücken zu jagen. Sie war nicht der Grund, sie war nicht schuld an der Fehde die zwischen ihnen war und doch konnte sie nichts sagen, sich nicht dagegen wehren, dass sie mit reinzogen wurde in den Streit der Puppenspieler.


Jeder von ihnen riss verbissen und angriffslustig an dem hölzernen Kreuz. Dem Leitwerkzeug der die Porzellanpuppe tanzen ließ. Der Streit der Männer riss Marlene den Boden unter den Füßen weg. Erschrocken blickte sie hinauf und versuchte mit einer Hand an den Fäden zu zerren, bevor sie zu weit hinaufgezogen wird. Es wurde laut über ihrem Kopf. Schatten wirbelten auf der Bühne in ihrem Traum. Der Männerstreit wurde intensiver und plötzlich war diese schiefe Melodie zu hören. Das Stück aus ihrer Kindheit was so schlecht gespielt worden ist, dass sie ihre Ohren zuhalten musste. Sie hatte nicht begriffen, dass der Jenige, der zuletzt das Kreuz in der Hand hatte, losgelassen hat. Sie fiel. Sie fiel in einer rasenden Geschwindigkeit auf den Boden und würde zerschellen.
Das Klirren ihres eigenen Scherbengesichts im Traum riss sie zurück in die Realität.


Ihre eigene Stimme drang endlich an ihre Ohren als sie schrie. Sie schrie sich die Seele aus dem Leib. Leni hatte versucht sie zu beruhigen, fragte ob ihr etwas weh tat. Als alles nicht half, eilte das erschrockene Dienstmädchen hinaus. Während all dieser Zeit, beruhigte sich Marlene nicht. Sie schrie weiter. Es vergingen Stunden und die Stimme der Komtess war heiser als sie sich selig lächelnd von dem Arzt verabschiedete, der gerufen worden war. Ein Beruhigungsmittel war notwendig gewesen um sie zum Schweigen zu bringen. Benebelt hatte sie verlangt mit dem Körperkundigen allein zu sein.


„Er hat es nicht getan. Er hat mich nicht beschmutzt.“ Flüsterte sie leise und beobachtete wie Leni das Bettzeug aufbettete und ließ sich anschließend hineinlegen. „Fräulein Lovidicus, ihr solltet Euch ausruhen. Es war sicherlich der Cognac und die lange Reise von Garrenhof zurück. Ihr habt sicherlich nur schlecht geträumt. Morgen fühlt Ihr Euch besser. Hier. Trinkt das, der Arzt hat es verschrieben für heute Nacht.“


„Ja. Ein Alptraum. Es ist doch eigentlich nichts passiert…“ murmelte Marlene leise und nahm einen Schluck von dem Tee der ihr gereicht wurde. Er schmeckte nach Nelken und Safran. Als sie begriff was sie da zu sich nahm, war es zu spät um zu protestieren. Sie fiel abermals aufgewühlt in einen langen Schlaf.

Kommentare 6

  • Sie gibt dem Menschen mit ihrem Verhalten auf jeden Fall Arbeit! :D

    • Wir wollen das RP ja realistisch halten und wer sonst, wenn nicht eine verwöhnte Adelige soll den Menschen um sie herum Arbeit geben? ö.ö

  • Ja, in der Tat, großartig geschrieben, und bestürzend zugleich. Ich hoffe die Träume werden besser, als Leserin bin ich gespannt wie es weitergeht.

    • Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Marlene wird wahnsinnig oder aber.. sie wird wahnsinnig! <3

  • Für mich als Beteiligten sind da natürlich einige Perlen drin. Ich finde es klasse. Ganz ganz besonders die Ironie mit dem Laudanum am Schluss, chapeau! <3