Warum Götterfels?


„Pass bitte auf dich auf mein Kind und wenn es dir nicht gefällt, dann kannst du jeder Zeit nach Hause kommen.“ Ihre Mutter hatte wieder dieses sanfte Lächeln im Gesicht. „Bei Kormir! Marie! Sie wird nicht zurückkommen. Du kennst doch DEINE Tochter. Wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat…“ Immer wenn Marlene etwas tat was gegen den Willen des Vaters war, war sie die Tochter ihrer Mutter. Sie lächelte als sich die Kutsche endlich in Bewegung setzte. „Endlich.“ Flüsterte sie leise und schloss die Augen. Raus aus dem Elternhaus.


Es brannte. Überall. Lichterloh. Die Glaskuppel des Turms würde bald nachgeben und in sich zusammenfallen. Sie wusste es, aber es hielt sie jedoch nicht davon ab im Schulgebäude zu bleiben. Er war schuld. Ihr Bruder. Er hatte dieses Feuer entfacht. Die Kreaturen gerufen die sich unbarmherzig durch das Gemäuer fraßen und die Menschen verletzten die hier wohnten und arbeiteten. Schüler, Lehrer. Als das Feuer ausgebrochen war, hatte sie versucht es zu löschen. Bereits als er angefangen hatte seine Formeln zu lesen, wollte sie ihn unterbrechen. Der Magister hatte ihn doch gewarnt. Statt dem Feuer den Sauerstoff zu nehmen, damit es erlosch, machte Marlene es nur schlimmer. Die Flammen wirkten erbost über die Versuche der jungen Komtess und kreisten sie ein. „Marlene!“ Sie hörte seine Stimme und sah, dass er sich zu ihr durchkämpfte. „Wir müssen hier weg Liebes. – Schau mich an!“ Es war so laut um sie herum. Das Entsetzen stand ihr im Gesicht als er die Hände links und rechts an ihre Wangen drückte und sie zwang den Blick von dem Chaos was er angerichtet hatte abzuwenden. „Marlene! Wir MÜSSEN hier weg!“ Er duldete keine Widerworte. Sie hätte ihn auch niemals alleine gehen lassen.


„Meine Füße tun weh. Außerdem habe ich Hunger. Gerald ich mag nicht mehr.“ Brummelte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. „Trag mich.“ Es war zumindest ein Versuch es auszusprechen. Er hatte die Augenbrauen zusammengezogen und musterte sie. „Bei Kormir. Warst du schon immer so anstrengend?“ fragte er einfach gerade heraus. „Nein. Erst seit du mich gezwungen hast die Akademie zu verlassen.“ „Ich habe dich zu nichts gezwungen. Du wolltest mitkommen.“ Sie schaute ihn vorwurfsvoll an. Er wusste genau was sie meinte. „Schau. Bis nach Götterfels ist es nicht mehr weit. Komm.“ „Götterfels?! Das ist ein schlechter Scherz. Du weißt doch was man dieser Stadt alles nach sagt!“ „Nein Marlene. Aber das interessiert mich auch nicht. Sie ist groß genug, dass wir beide nicht auffallen.“ Sie hob eine Augenbraue. Nicht auffallen? Ein schlechter Scherz des älteren Bruders.


Das Gesicht der Schwarzhaarigen konnte sie nicht erkennen. Eine hübsch verzierte Maske zierte das Antlitz der Frau. Mittlerweile trug sie selbst eine Maske und der Rotwein floss ihre Kehle hinab. „Hinter einer Maske kannst du sein wer du möchtest!“ Sie fragte sich einen kurzen Augenblick wer sie denn eigentlich sein wollte. Ein kurzer Blick auf ihre Schuhe war Erinnerung genug, dass sie einen langen Spaziergang hinter sich hatten. Einen Gewaltmarsch, wenn man es so will. Gerald hatte ein Tempo an den Tag gelegt, als sei er sein Leben lang Soldat gewesen. Er war ihr eigentlich völlig fremd und doch näher als irgendjemand anderes. Er war ihr Bruder. Und nun war er schon wieder weg. Sie hatten sich doch erst vor Wochen getroffen. Es war mehr oder weniger das erste Kennenlernen. Er hatte sie in den Arm genommen als hätten sie all die Jahre ihrer Kindheit zusammen verbracht. Doch Marlene wusste es besser. Als die junge Frau sich auf die Lehne des Sessels setzte und ihr nacktes Bein auf den Schoß der Komtess platzierte, zog es Marlene die Röte in die Wangen. Sie schmunzelte. „Wo ist mein Bruder?“ fragte sie und spielte mit dem kleinen violetten Steinchen in der Hand. Die Schwarzhaarige meinte lediglich, dass es ihm sicherlich gut gehen würde. Stumm nickte Marlene diese Aussage ab und blinzelte auf den Tisch auf dem die andere Frau tanzte. Sie war froh, dass sie ihr nicht so viel Aufmerksamkeit schenkte wie dem Pärchen welches sie anstierte. Ein wirklich freizügiger Tanz. In der Akademie und auch zu Hause bei den Eltern, hätte es sowas nicht gegeben. Noch immer dröhnte die Stimme ihres Vaters in ihrem Kopf als sie damals ein leichtes Sommerkleid angezogen hatte und seiner Herrenrunde beiwohnen wollte. Das gehörte sich ja auch nicht. Die Damen hier waren alle leicht bekleidet.


Sie konnte nicht aufhören zu lachen. Der Hunger war völlig vergessen und auch der Zustand der teuren Samtstiefel die bis hoch zum Oberschenkel reichten. „Vater wird dich umbringen!“ Die Citrine füllten sich mit Tränen als sie erneut losprustete. „Vater wird das niemals erfahren Marlene. Ich möchte dich daran erinnern, dass er nicht wissen darf wo wir sind!“ Murrte Gerald in ihre Richtung und verschränkte die Arme als sie den Weg gen Ossa-Viertel einschlugen. „Du bist unmöglich. Ein Freudenhaus Marlene! Und DU findest das auch noch amüsant!“ Das fand sie und stieß ihren älteren Bruder in die Seite, nachdem sie sich an seinen Arm hängte. Er musste selbst grinsen. Es war das erste Lächeln seit langem in seinem Gesicht.


„Hier bleibe ich nicht.“ Das war das erste Kommentar welches sie von sich gab. Sie stellte sich hinter ihn und schüttelte den Kopf. „Marlene! Es ist nur für diese Nacht. Du hast doch gesagt, dass dir die Füße weh...“ „NEIN! Er hat dir eine andere Adresse genannt. Lass uns dahingehen.“ Gerald knickte ein. Nach einer weiteren Wegbeschreibung seitens des Wirtes, verließen sie die zerbrochene Wunderlampe und begaben sich zum Rurik-Viertel.


Am Brunnen stand er dann. Ein Blick auf seine Kleidung und Haltung hatte Marlene genügt. Als Gerald ihn nach dem Weg fragte und sie in sein Gesicht gesehen hatte, wusste sie direkt, dass es ihre Aufgabe war. Den Gepflogenheiten der Gesellschaft nicht gänzlich entzogen gewesen, hat sie das Wort an ihn gerichtet. Freundlich, umschmeichelnd. Der Blick seiner Bernsteine war durchdringend und hart. Sie gestand sich ein, dass ihr dieser Ausdruck in seinen Augen imponierte.

Kommentare 2

  • Es brannte. Überall. Lichterloh.


    Ein dunkles Geheimnis. Interessant. *macht die Merkel-Raute*

  • Wie sie als allererstes mal abcheckt ob die Kleidung auch teuer ist und dann guckt ob das Gesicht auch dazu passt. =D