Unverfängliches

Es waren zumeist die stillen Klänge, die durch ihre Schlichtheit, ihre Bescheidenheit in einer Welt zu bestechen verstanden, die so übersättigt an lauter Musik und Beschallung war, dass es leider sehr leicht fiel sich in all ihrem Dröhnen zu verlieren. Ähnlich den Notizen eines übereifrigen Studenten, der alles verschriftlichen musste, ohne auf dessen Wert und Gehalt zu achten, war der Alltag überladen mit Tönen. Übervoll an Eindrücken und Geräuschen, die neben, zwischen, unter den eigentlichen Zeilen standen, den Umstand dabei gänzlich ignorierend, dass die Übersicht dadurch vollkommen verloren ging. Hingeschmiert in einer Eile, die dringlich schien, es aber eigentlich nicht war. Es fiel zuweilen schwer sich in diesem Gewirr aus Stimmen und Wahrnehmungen auf bestimmte Areale zu fokussieren, die dem eigenen Verlangen entsprachen und die Form besaßen zu gefallen. Deutlich einfacher schien es zu sein sie schlicht zu übersehen, sie zu passieren, ohne ihrer wahren Gestalt gewahr zu werden.


Ewelina lächelte, als sie den Schließmechanismus des Fensters in ihrem Studierzimmer betätigte und auf diese Weise wenigstens einen Teil der Eindrücke nachhaltig aus ihrem Umfeld aussperren konnte, die sich den Abend über mal mehr und mal weniger forsch in ihre Stube geschlichen hatten. Die Lichter der Stadt, heimeliges Glühen zum Ausklang eines ruhigen Tages, weckten ihren Gefallen. Die letzten Rufe der Marktschreier, die ihre verbliebenen Waren zum Spottpreis anboten und die Hoffnung verfolgten wenigstens noch ein paar Kupfer dadurch zu erringen, galten längst als verlässliche Abendunterhaltung für die Frau, die mehr Zeit in ihrem Haus verbrachte, als auf der Straße.

Als es an der Türe klopfte und das rundliche Mondgesicht von Mary Pears in deren Rahmen erschien, lächelte die von Eichenweiler matt. „Ich möchte noch nicht zu Bett gehen, Mary. Deiner Dienste bedarf ich heute Abend aber auch nicht mehr. Fühle dich freigestellt und ruhe dich aus.“ Ein Angebot, das die Gräfin ihrer Haushälterin und Zofe dieser Tage sehr oft offerierte. Weniger zum Schutz der fleißigen Frau, als viel mehr aus persönlicheren Gründen, die Ewelina sich immer öfter gestattete zuzulassen. Es fühlte sich gut an für sich selber zu sorgen und obgleich sie es lange gewöhnt war umsorgt zu werden, genoss sie doch dieses kleine Stück an eigenständig errungener Selbstständigkeit. Nur ein paar wenige Worte bedurfte es, die zu sprechen sie lange nicht im Stande gewesen war. Ihre Vertraute mit einem letzten Neigen des spitzen Kinns verabschiedend, wartete Ewa auf das Klicken des Türschlosses. Der leise aber sehr bezeichnende Laut signalisiert völlig nüchtern den eigentlichen Beginn der Nacht. Stunden voller Einsamkeit, die vor der Gräfin lagen, deren stilles Lächeln eben diese mit mildem Wohlgefallen empfing.


Begleitet von dem leisen Rascheln eines sich raffenden Rockes, glitten die schmalen Füße Ewelinas aus den mit Perlen und Silberfaden bestickten Stiefelletten. Den Genuss die besockten Sohlen auf den weichen Teppich setzen zu können, ohne dabei dem Druck fester Hacken an ihren Fersen ausgesetzt zu sein, gönnte sie sich schamlos. Ohne dem Schuhwerk noch weitere Beachtung zu schenken, fiel der Rocksaum wieder herab. Ewelinas Haltung entspannte sich und kurz nachdem sie ihre Hände neben ihren Kopf gehoben hatte, fielen die ersten Strähnen ihres Haares über ihre Schultern. Kupferrote Wellen, die im seichten Schimmer ein langes, von Sommersprossen verklärtes Antlitz umrahmten, das als wenig schön, nicht dem götterfelser Ideal entsprechend galt. Sie kam nicht von hier und man sah es ihr an. Ein einziger Blick bereits war ausreichend, um dieses Urteil zu treffen. Allerdings brauchte es auch nur eben diesen, um der natürlichen Lebendigkeit, dem gelebten Stolz und dem unaufdringlichen aber deutlich vorhandenen Interesse gewahr zu werden, die sich in dem Ausdruck ihrer blauen Augen miteinander verbanden.


Ewelina öffnete die Vitrine, unter deren gläsernem Deckel ein Hackbrett auf grünem Stoff ruhte. Die Frau hob das Instrument mit dem vorfreudigen Schimmer noch unerfüllter Erwartungen von seiner Schlafstatt und trug es zu dem großen Schreibtisch, an dem sie über den Tag hinweg ihre Korrespondenz bearbeitete. Er bot ausreichend Platz und Raum, entsprang gelebtem Pragmatismus und weniger dem dekadenten Denken, das man leider doch sehr häufig von blaublütigen Köpfen zu erwarten hatte. Die mit Filz bespannten Schlägel holte die Gräfin mit einem zweiten Weg, bevor sie den Tisch umrundete und sich setzte. Es mochte vermessen sein in diese Welt, die jeden Augenblick mit dem hysterischen Kreischen des Lebens konfrontiert wurde, weitere Klänge beizumengen. Ein Fass, um dessen Boden sich längst eine stetig wachsende Lache gebildet hatte von all den Tönen, die über seine Ränder schwappten, bis zur Gänze gefüllt. Vermessen und Egoistisch, wenn man ehrlich mit sich wahr. Ewelina aber, sie kam sich sehr verwegen in diesem Moment der selbstgewählten Isolation vor, wagte es. Eine kleine Freude unter vielen glücklichen Gegebenheiten, mit denen sie das Leben in den vergangenen Wochen nach einer langen Strecke des Durstes beglückte. Es machte die Sehnsucht nicht kleiner, die ihrem Herzen entsprang, aber leichter zu ertragen. Die Stunden bis zu einem erneuten Erheben der Sonne kürzer und wenigstens schien es, als schmälerte es die Distanz, die zwischen ihr und jenem lag, um dessen Gelenke sie ihre Finger in diesem Moment so viel lieber geschlungen hätte.


Mary Pears hielt inne, als die ersten gemütlichen Saitenklänge bis in das Foyer der überschaubaren Stadtvilla hinunter drangen. Nur einen Moment des Lauschens nahm die Frau sich heraus, bevor sie ihr hochgestecktes Haar unter einer Kapuze verbarg, nach ihrem Weidenkorb griff und ein letztes Mal an dem mit kleinen Gänsen bestickten Küchentuch zupfte, das über dessen Öffnung gespannt war. Dann verließ sie das Haus, gab ihrem Bruder, der davor die Nachtwache bediente, einen Kuss auf die Wange und verabschiedete sich. Die freien Abendstunden heute kamen ihr ganz gelegen.



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Kommentare 9

  • Das ist ein sehr zarter Text. Ich möchte es gar nicht anders nennen. Ich war neugierig auf deinen Stil und habe mir random dieses Stück herausgegriffen und bin beeindruckt davon, wie leicht und klar es wirkt, wie greifbar der Charakter und seine Gefühle (oder in diesem Fall ja ihre Gefühle). Ich mag, wie du in nur einem kleinen Satz ihre Sehnsucht nach ihrem Partner (?) ausdrückst und doch deutlich machst, dass es die Beziehung zu ihm sein muss, die ihr Leben in der letzten Zeit Stück für Stück verändert hat. Diese tiefe, aber kraftvolle Botschaft kommt nicht belehrend daher, sondern ist etwas ganz Vertrautes. Menschen, die wir lieben, sind eine Bereicherung und verändern uns. Ein schöner Text.

    • Vielen Dank. Es freut mich zu lesen, dass er dir gefallen hat und mehr noch freue ich mich darüber etwas über deinen Eindruck und dein Empfinden zu erfahren, die meine Worte bei dir hinterlassen haben. Es ist schön nach all der Zeit, die diese Geschichte nun schon hier steht, noch einmal davon zu hören, dass jemand sie gelesen hat.

  • In wirklichkeit möchte Ewelina dem Eulenspiegel beitreten! ^^
    Nur ein Spaß.


    Wirklich schön geschrieben. Hat mir wirklich unheimlich Spaß gemacht den Charakter mal so zu sehen, als nur im Wiki, oder aus Gerüchten. :)

    • Danke auch dir. Schön, dass dir der Text zugesagt hat. Ich mag solche Einblicke auch sehr gerne und hatte einfach Lust ein bisschen zu schreiben.


      Aber jetzt verrate mir doch Mal, wieso du immer EwAlina schreibst? Thehe sie heißt EwElina.

    • Freudscher Verschreiber! Das hat sich in mein Gehirn gebrannt. Ich werde versuchen es zu verbessern. *Lach*

  • Durch die Wahl der Worte gibt es dem Leser die Möglichkeit sich in der Szene wieder zu finden, ganz ohne viel Einblick in das sonstige Leben des Charakters. Es könnte das Vorwort eines Buches sein oder aber das Ende eines spannenden Romans.

    Unverfänglich eben!

    • Vielen Dank für deine Worte. Es freut mich, dass der Einblick dir gefallen hat. Wenn ich unterhalten konnte, dann habe ich mein Ziel erreicht :)

  • Zwischen all den Abenteuer- und Heldengeschichten, kommt nun dieser Augenschmaus und Herzschmaus von dir auf einer seichten Brise daher. Als einzelner Abkömmling würde ich ihn wohl fast übersehen können, als Mitglied deiner anderen Geschichten jedoch, ist er so etwas wie ein hütender Erzengel deiner Werke. Es liegt etwas zutiefst weiblich/feminines in deinem Schreibwesen, was sich daran messen lässt, dass du Emotionen in einer Ebene ausdrückst, die ziemlich nah an dem rankommt, was ich stets mit archetypisch meine. Die Geschichte gefällt mir wirklich sehr in ihrer Wahrhaftigkeit, man brauch nicht immer viel Tamtam um etwas wunderschönes schaffen. Danke dafür. Ich liebe so Sätze wie den folgenden. Wenn man Ewelina kennt muss man einfach lächeln.


    "Ewelina aber, sie kam sich sehr verwegen in diesem Moment der selbstgewählten Isolation vor, wagte es."

    <3

    • Vielen Dank dir :) Du scheinst ja richtig begeistert zu sein. Das...hat mich etwas erschlagen, muss ich sagen. Ich dachte nicht, dass dieser Text bei jemandem derart ankommt. Aber es freut mich natürlich. Schön, dass du lächeln musstest <3