...
„Ehre der Krone. Ehre dem Ministerium. Guten Tag, was kann ich für Euch tun?“
„Ich bin Victor Iorga und ich habe einen Termin. Ich bin wegen der Baupläne des Elysiums hier.“
„Ihr seid Victor Iorga?“
„Ja.“
„Einen Moment bitte.“
...
Mit mildem Interesse beobachtete Victor die beiden Seraphen, die an diesem Abend das große Los gezogen hatten die Zelle mit dem wohl prominentesten Gefangenen der letzten Jahre zu bewachen. Zwischen den dunklen Gitterstäben hindurch musterte er ihre Erscheinung, ohne dass er es sich gestattet hätte tatsächliche Neugierde in ihre Richtung zu empfinden. Die Soldaten, die hier herunter kamen, waren in der Regel alle nicht besonders intelligent und es lohnte den Aufwand nicht zu versuchen einen von ihnen auch nur in den Ansatz eines Gespräches zu verwickeln. Wie sie sich daran aufgeilten einen Blick auf den berühmt berüchtigten Iorgaonkel zu werfen. Auf den Mörder, Vergewaltiger, Kinderschlächter, Betrüger, Separatisten, Volksverräter Victor Iorga.
Ach was hatten sie sich dabei überschlagen ihn „dingfest“ zu machen. Mindestens drei Magier, gefühlt ein ganzes Bataillon Ministeriale, schwer gerüstete Soldaten bis an die Zähne bewaffnet. Schutzschilde, Nullfelder noch und nöcher, Schreie, Rufe, Drohgebärden! Und dann diese Enttäuschung. Dieser alte, unaufregende, vollkommen gelassene Mann mit Hut und Stock, der nicht den kleinsten Ansatz eines Widerstandes geleistet hatte. Aber ganz ehrlich: Was hatten sie denn erwartet? Dass er seinen blonden Pelz ablegte, ein gewaltiges Maschinengewehr aus seinem Zylinder zog und die halbe Stadt in Schutt und Asche legte, um sich bei dem Versuch die Staatsgewalt endgültig zu stürzen selber in einer Explosion, die Primordus nicht besser hätte produzieren können, geradewegs in die Nebel zu katapultieren?! Wer in der Götter Namen war derart hinverbrannt gewesen einen solchen Schwachsinn abzusegnen und dafür auch noch die nötigen Steuergelder locker zu machen, die an ganz anderen Stellen deutlich besser angelegt gewesen wären?
Victor kannte die Antwort und sie amüsierte den Mann, der auf seiner Pritsche saß und genügsam schmatzte. Da hatte die Führungsriege mal wieder mit Bravour bewiesen, dass sie gnadenlos überfordert mit dem „Alten“ war, der das eher als Kompliment seiner Person und nicht etwa als Niederlage auffasste. Was brachte es denn auch sich darüber zu beklagen nun in diesem Loch zu sitzen und der vermeintlichen Überlegenheit dieser Halbaffen ausgeliefert zu sein? Ihre Falle war derart offensichtlich gewesen, dass er jede Möglichkeit gehabt hätte ihr zu entgehen. Es hätte ihn nicht einmal ein Brauenzucken gekostet die Gefangennahme durch das Ministerium zu verhindern und sich seinem Einflussbereich zu entziehen. Aber warum denn? Wieso sollte er flüchten und damit eine Schuld eingestehen, die er nicht als solche betrachtete? Sie hatten ihm noch nicht einmal die Anklage verlesen und hielten ihn nun feste, um...ja...um was genau zu erreichen? Eine Gegenanzeige wegen Nötigung, Freiheitsberaubung und diverser anderer Verstöße gegen das krytanische Recht. Die schmalen Lippen des Blonden lächelten. Er hatte die lange Liste von Verbrechen an seiner Person bereits in Gedanken aufgesetzt und führte sie mit jedem Tag, der verstrich, weiter aus. Wenn diese Narren glaubten ihn brechen zu können, indem sie versuchte ihm weiß zu machen er habe keine Macht hier unten, keine Handhabung ihnen gegenüber, dann hatten sie es noch niemals mit einem Iorga zu tun. Einem der alten Schule. Einem wie ihm, der derart selbst von sich überzeugt war, dass nicht einmal Lyssa höchst persönlich ihm hätte verkaufen können schöner und edler als er selber zu sein...
Als das Kratzen in seiner Kehle sich intensivierte und das Stechen in seiner Brust begann penetranter zu werden, lehnte der Alte seinen Kopf zurück und schloss in stiller Ruhe seine Augen, um den Moment der inneren Verletzlichkeit zu überdauern. Er musste nur noch ein bisschen durchhalten. Nur noch einen Moment warten, bis die Erlösung kam. Ein paar Stunden noch, bis der Wachwechsel vollzogen wurde und er diesen einen, unbeobachteten Augenblick geschenkt bekam seinen Flachmann aus dem Stiefel zu ziehen und den Schmerz für die kommenden Stunden zu ersticken. Diese Leute hier hatten sich keinen Gefallen damit getan ihm eine ärztliche Behandlung zu versagen. Wirklich nicht. Gleich wer sie waren und was sie glaubten erreicht zu haben, er war ihnen bereits drei Schritte voraus. Er kannte ihre Gesichter, kannte ihre Namen, hatte Informationen über die vermeintlich undichten Stellen innerhalb seines Umfeldes und die Schuldenaufstellung längst vorgenommen. Der Tag der Abrechnung würde kommen. Der Alte hatte Zeit.
Niemand pisste Victor Iorga ans Bein und existierte weiter.
Niemand.
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