Der Tag war schon seit dem Morgengrauen trüb und regnerisch gewesen. So sammelten sich diverse Sylvari unter den breiten Blättern des Blassen Baumes. Man kam zusammen, um Geschichten zu lauschen, die ruhigeren Arbeiten zu erledigen oder schlicht eine Auszeit von allem nehmen. Besonders für die jungen Sprösslinge waren solche Regentage perfekt dazu geeignet, um in Gruppen zusammen zu sitzen und den Mentoren zu lauschen oder selbst von eigenen Erfahrungen zu erzählen. Helyanwè sass in einer solchen Gruppe. Zu ihrem Glück bestand diese nicht aus den hänselnden Mitgliedern, welche sie vor einige Zeit ihre Faust zu schmecken gab. Ruhig wandten sich die wintergrünen Augen von einem Sprössling zum nächsten. Hier sammelte sich die Gruppe, mit denen die Hainhüter öfters mal Streit hatten. In gewisser Weise eine Runde aus temperamentvollen und weniger temperamentvollen Blüten aus allen vier Häusern, die aber allesamt für ordentlich Chaos im Hain sorgen. Keir war wie sie eine Tagesblüte. Aufgeweckt, immer auf Streit aus und oft unverblümt in seinen Aussagen. Er war allerdings einige Monate älter als sie und passend zum sommerlichen Erwachen leuchtete sein Körper rot und der flammengelbe Iro strahlte wie eine Licht obendrauf. Er war allerdings ihr gegenüber um eineinhalb Köpfe kleiner. Trotzdem hielt ihn das nicht ab Helyanwè anzuzünden mit Worten, wo es nur ging.
Jetzt allerdings hielt er gerade eine flammende Erzählung seiner letzten Exkursion mit seinem Mentor. Die Eichenriesin schrägte ihren Kopf, als sie aufmerksam den Worten lauschten, die vom steten Tröpfeln unzähliger Regentropfen begleitet wurde. „- so entkam ich der Spinnenhöhle bei den Grenback-Teichen! Dank meines Glücks konnte ich einen Blick auf die Spinnenmutter werfen, die DOPPELT so gross war, wie alle anderen Spinnen!“ Keir holte mit seinen Armen aus, um seiner interessierten Zuhörerschaft zu zeigen, welches Mass die Spinnenmutter hatte. Dann schlug er sich auf die Brust, lächelte herausfordernd und verbeugte sich. „Du hast sie also nicht gleich erschlagen?“, warf eine ähnlich grosse Morgenblüte mit weinfarbener Blättermähne ein. Die wintergrünen Seelenspiegel huschten zu dieser herüber. In der Aura jener war Schalk zu lesen, immerhin kannte die Gruppe, die Aufgeblasenheit des Iro-Trägers. Dieser zuckte kurz zusammen und sein Lächeln verrutschte, eher er verlegen sich am Ansatz seines Hinterkopfes kratzte. „Nein, aber hätte ich mehr Zeit gehabt, wäre nicht durch einen gefutterten Pilz klein geworden, hätte ich sie mit Leichtigkeit besiegt…“ Helyanwé lachte den Gelbblättrigen aus und ein flackerndes Flämmchen zeugte vom selben Schalk wie der Fragenden davor. „Also bist du ein Feigling davongerannt, anstatt mit deinem Zahnstocher die grosse Spinnenmutter zu piksen?“ Grinsend rissen sich die Rindenlippen zu einem herausfordernden Lächeln.
Nun verschränkte Keir seine Arme und blickte auf die Eichenriesin herab. Will sie einen Streit anzetteln? Na mir soll’s recht sein… Mit hochgehobener, goldgelber Blätterbraue feixte er ironisch: „Na immerhin kann ich wegrennen, weil mir mein eigenes Leben lieb ist. Wer hat denn letztens den Zaun der Farnhunde angezündelt und versuchte dann auch noch, dumm wie du bist, die Flammen zu kontrollieren.“ Der Automatismus erfasste Helyanwès Körper und liess ihn im Momentum eines Blinzelns auf die Füsse kommen. Knurrend stand sie nun da und überragte das wandelnde Flämmchen um etwas mehr als eineinhalb Köpfe. Dieser liess sich nicht aus der Ruhe bringen. Doch er konnte es nicht lassen, sie weiter zu triezen. Auch wenn ihm durchaus bewusst war, was nun folgen würde, so genoss er das Anschliessende. Er analysierte wie im Training bei seinem Mentor ihre Körperhaltung, die gespannt war und ihre Aura, in der einer wütenden Flamme gleich wild von Winden hin- und hergepeitscht wurde. Doch er gab seine eigene Haltung noch nicht auf. Abwarten und beobachten hiess es jetzt. Und provozieren. Ein breites Grinsen zog seine Mundwinkel hoch, als der herausfordernde Blick aus den sonnengelben Augen den Wintergrünen traf. Helyanwè dagegen spannte sich noch mehr an. In ihrem Kopf pochte das Harz und ihre Aura flackerte vor Wut. Das Gespräch mit ihrem Mentor fiel ihr in diesem Moment ein, ehe ihr Kopf den Schritt zur Unkontrollierbarkeit übertrat.
„Selbst wenn dich jemand beleidigt, versuche die Atemübung einzuhalten.“ „Aber wenn es einen Schritt zu viel ist und ich mich nicht bremsen kann?“ Arees stand mit nachdenklichem Blick vor ihr und schrägte sein smaragdgrünes Haupt. „Ich glaube an dich und an die Sylvari um dich herum.“
Die Sylvari zu ihrer Linken legte eine ihrer zierlichen Hände auf den Arm der Eichenriesin. Frostiges Grau blickte hoch zum kampfbereiten Antlitz. „Lass es, Helyanwè. Er spielt doch nur mit dir.“ Tawnee’s Mezzo-Sopran-Stimme klang weich durch die Gehör-Fortsätze und durch die Erinnerung. Die Riesin wandte tatsächlich zur Nachtblüte neben ihr um, die eher zurückhaltend war. Einen Moment klärte sich der Blick auf, als sie in das winterliche Grau schaute. Dieses schüttelte nur den Kopf anstelle von weiteren Worten. Keir, der das Schauspiel zwischen der sich zu beherrschen versuchenden Mittagsblüte und der ruhigen Nachtblüte beobachtete, wusste, dass er normalerweise nicht den Fortschritt der Jüngeren vernichten sollte. Aber genauso wie sie, war beim Übertritt einer bestimmten Grenze kein Zurück mehr möglich. So tat er dies gerade mit vollem Bewusstsein: „Wer ist nun das Angstblättchen von uns beiden, du Tautropfen? Sonst macht es dir auch nichts aus, einen Kampf anzuzetteln.“ Die beiden Sonnen betrachteten die Reaktion und die Mundwinkel breiteten sich noch ein Stück weiter aus. Wenn die Mentoren das bemerkten, würden sie und vor allem er eine ziemliche Standpauke kassieren, aber… Der Faustschlag, der auf sein Riechorgan zielte, traf durch ein leichtes Abwenden des Gesichts nur die feuerrote Wange. Er reichte aber aus, dass Keir sein Gleichgewicht verlor und rückwärts taumelte, dabei schreckten die übrigen Sprösslinge vor ihm zurück, während der Gelbhaarige über den Baumstamm stolperte. Eine sauber gelernte Rückwärtsrolle brachte ihn allerdings schnell wieder auf die Füsse, so dass er den nächsten Fausthieb mit den Unterarmen abblocken konnte. Die Eichenriesin setzte zum nächsten Schlag an. So etwas wie Deckung kannte sie nicht. Normalerweise gingen die meisten Gegner in wenigen Hieben mit einem K.O. zu Boden. Doch in dem Wutrausch verschlang es das logische, taktische Kämpfen. Nun wollte sie gerade nur noch draufprügeln. Wen nannte dieser Flammenkopf ein Angstblättchen… Dem zeige ich nun endgültig, wo er seinen Streithammer zukünftig hängen soll.
Schlag um Schlag folgten und wurden jedes Mal mit einem guten Block gekontert. Zwischendurch nutzte Keir um selbst zuschlagen zu können. Er war jedes Mal erstaunt, wenn diese wehrfähige Tagblüte keine Faser zuckte, wenn er sie im Gesicht traf oder am Oberkörper. Zwar hielt ihre robuste Borke einiges ab, trotzdem wusste, dass seine Schläge alles andere als locker waren. Der rote Sylvari liess für einmal seine Deckung fallen, damit sie ihn gerade treffen konnte. Sein Kopf wurde durchgeschüttelt, trotzdem ging sein Plan auf, als seine Hände den Schlagarm Helyanwès erwischten und ihn an seiner Seite einklemmten, während sein Körper in ihren persönlichen Bereich eindrangen und sie in einem zweiten Schritt, um ihre Hüfte umfasste. Durch den Zug an Schlagarm nutzte Keir den Schwung, um seine Gegnerin aus dem Gleichgewicht zu ziehen und auf den Boden zu werfen. Die Schläge der Eichenriesin glichen dem Donnern, wenn der Blitz in der Nähe einschlug. Der Körper ihres Gegners wurde bei jedem Block regelrecht durchgerüttelt, immerhin war die Riesin wesentlich stärker in ihrer reinen Kraft als er. So galt es für ihn sie schnellstmöglich auf den Boden zu bringen. Im Faustkampf war er ihr unterlegen. Am Boden nicht. Helyanwè reagierte zu spät, ehe sie schon mit dem Rücken auf dem Boden lag und über sich den Gelbblättrigen knien sah. Irgendwo in den Untiefen ihres Kopfes erinnerte sie sich in einer ähnlichen Ausgangslage einen Kampf aufgegeben zu haben. Eine Schwäche wie sie fand. So wehrte sie sich, indem sie versuchte die Arme des Oberen festzuhalten und gleichzeitig wegzuziehen. Würde sie sein Gleichgewicht brechen können, konnte sie ihn herumrollen. Doch dies erwies sich als entschieden schwieriger als gedacht. Sonnen blickten in kühles Wintergrün, als Keir sich Stück für Stück weitervorarbeitete, an ihre Seite zu gelangen. Mit seinem Gewicht sie am Boden drückend. Zischend blickte die Untere wütend hoch. Der Obere lächelte aber nur breit: „Ein angenehmes Gefühl, dich mal wieder unter mir zu haben.“ Die Jüngere hob ihre Beine in die Luft, ehe sie schnell nach unten schwenkte, um mit dem Schwung gleichsam nach oben zu kommen. Es klappte, was ein erfolgreiches Grinsen durch die Wut hindurchscheinen liess. Überrumpelt liess es Gelbblättrige geschehen, als schon der nächste Fausthieb seine Unterlippe zum Aufplatzen brachte.
„Stop!“, hallte eine tiefe Bassstimme durch die Gruppe. Unverkennbar klang die nicht allzu erfreute Stimme des ankommenden Mentors. Arees sah auf die beiden prügelnden Sprösslinge und schritt in Eile mit einem tiefen Seufzen auf die Inne gehaltene Eichenriesin zu, die einen gekrümmten Keir an den Armen festhielt. Da war man nur kurz einige Augenblicke fort und schon prügelten sich zwei. Tawnee holte ihn aufgeregt, stotterte etwas von einem Kampf zwischen seinem Sprössling und dem Feuerroten. So folgte er ihr zurück. Die Winterhimmelblättrige hielt inne, als die Stimme durch ihren Kopf schnitt. Ihr Bewusstsein klärte sich langsam, da spürte sie schon die kühle, schwere Hand ihres Mentors auf ihrer Schulter. „Aufstehen und auseinander.“ Stumm liess sie die Arme ihres Gegners los, stand auf und entfernte sich zwei Schritte. Der Gelbblättrige folgte ihrem Beispiel. „Was hat dies hier zu bedeuten und wer hat angefangen?“ Ehe Keir zum Sprechen ansetzte, wischte er noch das Harz von seinem Kinn. In der Zwischenzeit antwortete die Eichenriesin selbst mit benommenen Tonfall. „Keir hat mich provoziert, so verlor ich meine Nerven und zettelte die Prügelei an.“ Arees hob nur seine beblätterte Augenbraue und verschränkte argwöhnisch die Arme vor seiner Brust. Sein Saphirblick schwenkte zum Feuerroten hinüber. „Stimmt das, Keir?“ In seiner Stimme schwang Argwohn mit. Er kannte den älteren Sprössling, daher war es nicht vollkommen unverständlich, aber trotzdem hatte auch dieser seine Gründe. Dieser schaute grimmig, da der Kampf unterbrochen wurde. Betont gelangweilt verantwortete er sich: „Sie hat mich ausgelacht, also hab ich sie provoziert. Sie legte es auf einen Streit an.“ Er zuckte unbeteiligt mit den Schultern, während die Gruppe hinter dem Mentor kollektiv nur seufzend mit dem Kopf schüttelte. Typisch für die beiden. Ein bassiges Seufzen erklang vom Mentor selbst. „Es wird ein Nachspiel haben mit euch beiden. Aber nun setzt euch wieder hin. Ich werde mich um deine geplatzte Lippe kümmern, Keir.“ So leisteten beide Sprösslinge dem Befehl Arees Folge und setzten sich hin. Beide lauschten der nächsten Erzählung. Währenddessen streckte der Feuerrote seine Hand entschuldigend Helyanwè entgegen. Als diese das Angebot bemerkte, kniff sie die Augen zusammen und betrachtete die Hand argwöhnisch. Ungeduldig und auffordernd schüttelte der Gelbblättrige seine Hand. Sie sollte doch endlich einschlagen und seine Entschuldigung akzeptieren. Schlussendlich legte sich die wesentlich grössere, eichenbraune Hand in die feuerrote und schüttelte diese als Zeichen, dass Friedensangebot vorerst anzunehmen.