Spoiler anzeigen
Detaillierte Gewalt
Die Eichenriesin wanderte durch den Hain und die Stiegen hinunter auf dem Weg zu einer Philosophie-Lektion im Garten der Mittagsstunde. Arees erwartete sie, wie immer geduldig. Ein munteres Flackern ihrer Aura liess die Vorfreude und Aufregung erahnen, welche Helyanwè verspürte, wann immer sie auf ihren Mentor stiess. Auch wenn dieser schon das eine oder andere Mal mit ihr schimpfen musste. Die Eichenriesin senkte ihren Kopf und blickte nachdenklich auf den Weg vor ihr.
Trübe Wolken dimmten den Flammenschein innerhalb ihrer Aura. Mit ihr erwachten einige Tag- und Abendblüten, die sich des Öfteren den einen oder anderen üblen Scherz mit ihr erlaubten. Ob dies Spott und Hohn waren oder Blamagen im Kampf. Noch öfters nach solchen Aktionen liessen ihre Emotionen sich dazu hinreissen wie einen Kochtopf überzulaufen. Dabei gab es schon Verletzungen oder Verbrennungen. Sowie eine Schimpftirade seitens ihres Mentors. Gleichzeitig verschlechterte sich ihr Stand bei den anderen Sprösslingen und sie wurde nur noch mehr ein Ziel für deren Hänseleien.
„Hey!“ Die Riesin erwachte zuckend aus ihren betrüblichen Gedanken und mit einer Anspannung, dass die hölzernen Fasern ihrer Arme knirschten, ballte sie ihre Fäuste. Seit den ersten Wochen hatten die anderen Sprösslinge einen ganz bestimmten Namen für sie ausgewählt, auch wenn sie den Sinn dahinter nicht verstand. „Riesiges Springkraut!“ Die Eichenriesin versuchte die Atemübung, welcher Mentor Arees sie das letzte Mal bis zum Umfallen trainieren liess. Augen schliessen. Einatmen. „Dieses kahle Holzgewächs ignoriert uns. Wie gemein…“, maulte eine weibliche Stimme keine fünf Schritte hinter ihr. Ausatmen. Sie versuchte das bedrohliche, hell leuchtende Feuer in ihrer Aura kleiner zu bekommen. „Ich glaube, das Springkraut will sich beruhigen. Lächerlich!“ Das laute, höhnische, dieses Mal tiefere Lachen liess sich dort lokalisieren, in unmittelbarer Nähe zum weiblichen Sprössling. Eine geschmeidige Drehung ihres massiven Eichenkörpers brachte ihr lockeres Blätterkleid zum raschelnden Aufbauschen. Blind, aber zielgenau donnerte keinen Moment später, nach der Überwindung jener Schritte, ihre Faust in die rindenüberwachsene Nase. Ein Knirschen sprach davon, dass jener Teil des Gesichts dringend einer Behandlung eines Heilers unterzogen werden sollte. Als sich die wintergrünen Augen öffneten, blickten sie in die fassungslos und entsetzten gelben Augen des Sprösslings, deren Nase Helyanwé mit einem gekonnten Rechtshaken zertrümmerte. In ihren Ohr-Fortsätzen pochte der Harzsaft. Ihre Aura glich einem lodernden Flächenbrand. Sie roch, wie der Geruch von Rauch beim ersten erfolgreichen Zündeln in ihre Nase stieg. Die Augen ihres Gegenübers lauschten gelähmt dem Knacken innerhalb der Faust, als die ersten Glutspänen darum tanzten.
Ehe sich in ihrer Hand ein wahrhaftiges Feuer ausbreiten konnte, mit dem sie in Freude diese Blätterschnipsel-Fresse verbrannt hätte, riss man sie fort. Instinktiv wehrte sie sich gegen die kräftigen Arme der Hainhüter. Sie wollte mehr. Sie sollen brennen, für ihre Worte… Finster starrte sie beim Versuch, sich aus dem erbitterten Griff zu befreien, zum Sprössling. Ein kokelnder Faustabdruck prägte das einst ebene, fein beblätterte Gesicht mit einer hübsch anzusehenden Rindennase. Goldener Harzsaft floss in gröberen Mengen aus dem plattgedrückten Übrigbleibsel eines sylvarischen Riechorgans. „Sprössling, beruhig dich, ansonsten bringen wir dich in ein Kapsel in den Nachtschatten-Garten.“ Der Versuch mit ihr beruhigend zu reden, brachte den gegenteiligen Effekt. Es loderten ihre Aura-Flammen auf. Von irgendwo her, hörte sie fern, dass man nach ihrem Mentor rief. Gleichzeitig hörte sie die Verwünschungen der Abendblüte und das wehleidige Gejammer der getroffenen Tagblüte. Ihre rindenüberspannten Lippen rissen sich zu einem erfolgs-überzeugten Grinsen. Glutspänen begannen ein weiteres Mal um ihre Hände zu tanzen.
Brennen… Im nächsten Moment spürte sie einen Schwall gekühlten Wassers in ihrem Gesicht. Dieses rann ihr vom Kinn und floss in kleinen Bächen über den eichenbraunen Körper. Die Überraschung kühlte und klärte ihren Kopf. Helyanwè spürte, dass die Rinnsale begannen zu gefrieren. Ein weiterer Akt des Herabkühlens ihrer Emotionen. Der Schwall brachte dadurch sogar ihre Aura zum Erlöschen. Dicke, schwarze Rauchschleier umwölkten ihr Gemüt. Missmutig starrten ihre Augen auf den Mentor vor ihr. Ein Zweitgeborener im tannengrünen Gewand starrte sie mit genau dem gleichen Missmut an. Saphirblau gegen Wintergrün… Ein erbittertes Blickduell zwischen ihr und ihrem Mentor fochten beide aus, wohlwissend, dass eine Strafe darauf noch folgen würde. Die Eichenriesin gab zuerst von beiden auf und senkte ihr Haupt geschlagen vor ihrem Mentor. Dieser seufzte mit seiner Bassstimme und blickte auf die beiden Hainhüter, die immer noch unerbittlich die Arme der Riesin festhielten, obwohl sie sich nicht mehr rührte. „Ihr könnt sie loslassen… Sie wird niemandem mehr schaden.“ Ein Nicken von beiden Hütern folgte mit dem kollektiven Loslassen des Sylvari-Sprösslings in ihrer Mitte. Wenn der Mentor dies einschätzen konnte, so würde er nicht lügen. Zumindest war es auch hainweit bekannt, dass es niemanden gab, der mit Helyanwès Wutausbrüchen besser klarkam als Arees. Ein Mentor der Tagblüten. Seine Kampfkraft und Ruhe machten ihn zum passenden Lehrmeister der temperamentvollen Riesin. Die Saphire betrachteten mit erhobener Blätterbraue die klatschnasse Winterhimmelblättrige vor sich. Lose flackerten einige Glutnester in der Aura seines Sprösslings, aber die gedachte er auch noch zu löschen. Aber das konnte er noch am Grund des Hains machen. Weit weg von den anderen Sprösslingen, die schon wieder mockierten, was ihnen angetan wurde. Arees bemerkte den Umschwung im leise knarzenden Ballen der Fäuste, als Helyanwè die Anschuldigungen hörte.
„Komm“, wies er seinen Sprössling an, ihm zu folgen. Es würde Beschwerden geben von den Mentoren dieser beiden Sprösslinge, aber darum konnte er sich zu einem anderen Zeitpunkt kümmern. Er wies die beiden Hainhüter an, dass man Cahan zu einem Heiler begleiten sollte. Er dagegen würde sich um die erzürnte Eichenriesin kümmern. Die beiden Hainhüter nickten dem Zweitgeborenen zu und verliessen augenblicklich das Geschehen, nicht ohne auf eine spätere Vernehmung hinzuweisen. Im Schlepptau den noch blutenden Cahan mit seiner guten Freundin und Abendblüte Ornice. Der Mentor schüttelte sein Haupt, ehe er losging in die entgegengesetzte Richtung. Tiefer hinab führte er seinen Sprössling. Diese folgte ihm still, den Blick zu Boden gerichtet und noch immer am vor sich hin rauchen. Ruhe breitete sich zwischen den beiden aus, während Arees das leise Getuschel vorbeilaufender älterer wie jüngerer Sylvari mitbekam. „Die Eichenriesin sollte sich wieder an einem unschuldigen Sprössling vergangen und dieses Mal dessen Nase zertrümmert haben… Ach Unfug, die Riesin wurde von den anderen beiden Sprösslingen beleidigt… Ich hab das genau gesehen… Sie hat sich nur gewehrt… Sie hat trotzdem zum wiederholten Male andere Sprösslinge verletzt… Kannst du dich noch an den kleinen, dunklen Spröss-…“
Helyanwè seufzte leise. Es war nicht das erste Mal, dass Arees sie nach einem Ausbruch mit in die unterste Ebene nahm. Dabei an all das hinter der Hand Getuschelte vorbei ging, als existierte es nicht. Sie wusste, was folgen würde. Ein kaltes Bad am See, um jene restliche Wut auszulöschen, die sie immer noch verspürte, und in ihrer Aura vorwurfsvoll glomm. Anschliessend ein paar körperliche Übungen, um die Energie abzubauen. Dann der ursprüngliche Unterricht. Immerhin wollte sie zu ihm, weil er eine Unterrichtslektion in sylvarischer Philosophie halten sollte. Schlussendlich würde sie wie immer noch mit ihm diskutieren, warum sie es wiederholt getan hatte. Sie würde sich entschuldigen müssen bei dieser verdornten, lausgelöcherten Blätterschnipsel-Fresse und vielleicht noch etwas anderes als Strafe tun, weil dies die anderen Mentoren verlangten. Sie seufzte ein weiteres Mal tief. Dabei war sie doch noch gar nicht so lange erwacht. Erst zwei Vollmonde, wenn sie ihren Mentor damals richtig verstand.
Sie hielten am hinteren Seeabschnitt zwischen dem Haus Kahendis und der Behausung einer Erstgeborenen. Im Schatten der Stiege hatte man oft seine Ruhe. Die Riesin hob ihre wintergrünen Augen auf den See und schwenkte ihn dann zu einem abwartenden Blick auf ihren Mentor. Dieser hat sich bereits am Ufer umgedreht, sich in voller Grösse aufgebaut und wartete mit verschränkten Armen. Es schien ihn nicht zu stören, dass sein Sprössling ihn an Höhe eineinhalb Köpfe überragte, aber der hainweite Spitzname ‚Riesin‘ kam nicht von ungefähr bei ihr. „So… Und nun erstmal fünf Runden hin und herschwimmen. Von hier bis zum gegenüberliegenden Ufer. Verstanden?“ Es war kein Donnern, noch ein direkten Befehl, trotzdem nickte die Eichenriesin verstehend und wendete sich dem kühlen See zu. Sie watete ins Nass und auch die letzten Glutnester wurden emotional überschwemmt. Die Riesin wusste, um die Sorgfalt und Freundlichkeit, mit der sie vom Mentor bedacht wurde. Er hielt sie vom Nötigsten ab, gab ihr die Zeit, die sie brauchte, um sich auszukühlen. Auf der anderen Seite griff er durchaus zum einen oder anderen aktiveren, vielleicht auch zu radikalen Mittel, um mit ihr umzugehen. Ein seichtes Lächeln umspielte die knorrigen Züge Helyanwè’s, als sie an ihre erste Woche unter seiner Fuchtel zurückerinnerte. Sie nahm die ersten Schwimmzüge und stiess sich vom Boden ab. Das Wasser würde ihr helfen sich vollends zu beruhigen. Und anschliessend freute sie sich auf die Philosophie-Lektion bei ihrem Mentor. Ein freudig-aufgeregtes Flackern wärmte ihr Inneres. Am Ufer dagegen stand Arees und konnte sein Schmunzeln nicht unterdrücken. Es hatte mal wieder funktioniert. Nun stand einer gemütlichen Lektion in Sachen sylvarischer Philosophie und Maximen-Unterricht nichts mehr im Wege.
Kommentare 1