Ein Kratzen einer Schreibfeder durchbrach die Ruhe der Wohnkapsel. Abgelöst vom steten Umblättern einzelner Buchseiten. Das Licht der Abenddämmerung erhellte den Raum nunmehr spärlich, beschien die gegenüberliegende Seite der pflanzlichen Wand. Es tauchte den restlichen Raum in Schatten. Am anderen Ende, fern des Fensters, erhob sich eine eichenbraune Hand und liess einen magischen Funken grünlicher Magie zur Lampenblüte überspringen, diese breitete daraufhin ihre hellglühend bläuliche Luminiszenz über die Platte des Pilztisches aus. Es fiel über einen chaotisch wirkenden, Bücher überladenen Tisch. Gähnend streckte sich die Eichenriesin, das Knarzen erklang, als ihre Gelenke sich dehnten. Das Wintergrün ihrer Augen schloss sich in hingebungsvollem Genuss ihrem Körper einen Moment der Pause zu gönnen. Sie sass nun schon seit dem Ende des heutigen Kampftrainings auf dem Blumenhocker, vorne übergebeugt über ihr aktuelles Buch, das den schlichten Namen „Heilen – Unterschiede in der Wasser- zur Naturmagie“ trug. Eine Übergabe ihrer Lehrmeisterin Nairne. Laut ihrer Erklärung stammte das Buch von zweien, sylvarischen Heilern, welche allerdings wenige Generationen vor ihr selbst erwachten. Sie sollte sich nun mal damit auseinandersetzen, war der Tipp ihrer Lehrmeisterin. Immerhin beherrschte Helyanwè seit ihrer ersten Heilung von vor einigen Vollmonden nicht nur die naturmagische Form, sondern auch die elementarische Wassermagie-Heilung. So hatte es sich die Eichenriesin seitdem angewöhnt, mehr und mehr in solche verschriftlichen Übungen zu investieren. Immer nach dem Training zog sie sich in ihre Zwei-Sylvari-Kapsel zurück und las, schrieb sich Notizen oder bereitete den Unterricht in beiden Magieweisen vor oder nach. Nun erhob sich die Eichenriesin zu ihrer vollen Grösse und stand vom Hocker auf. Sie nahm sich den leeren Blütenkelch und wandte ihren Körper zur angrenzenden Quelle, die von einem Felsen hinter der Wohnkapsel herabrann. Einfach zu erreichen, indem sich die Winterhimmelblättrige aus dem Fenster lehnte. Doch einen Nachteil barg dieses „stete Abschotten von den anderen Sprösslingen“, wie liebevoll sarkastisch Tawnee dies benannte. Ihre Mitbewohnerin lag ihr nun seit geschlagenen drei Vollmond-Umläufen in den Hör-Fortsätzen damit, so wie auch am heutigen Abend.
Nach dem Kampftraining verabschiedeten sich die beiden Sprösslingsdamen von den anderen Gleichaltrigen. Natürlich mit der Bestätigung wieder zu kommen und sich gemeinsam das abendliche Leuchten der Glühwürmchen in dieser sommerlichen Zeit anzusehen, dabei Nektar zu trinken und über die Mentoren zu lästern. Die Eichenriesin stapfte gelassen schmunzelnd neben ihrer guten Freundin Tawnee den Pfad entlang zu ihrer Wohnkapsel, in der sie beide seit einiger Zeit wohnten. Die zierliche, frostgrüne Sylvari verbrachte ihren Rückweg allerdings in Stille. Helyanwè war es sich gewohnt, daher liess sie die Frostgrüne in Ruhe, wenn diese in Gedanken hing. Für sie selbst hiess es wieder, einen weiteren Abend in der Kapsel beim Lesen zu verbringen. Allein, da Tawnee es vorzog, bei den anderen Sprösslingen ihrer manchmal wilden Gruppe zu sein. Nicht dass es sie stören würde… Selbst in Gedanken an den heutigen Abend versunken, bemerkte die Riesin nicht, dass ihre Mitbewohnerin anhielt, um die Tür zu öffnen und sie selbst erst stoppte, als sie an der Pilzplatte anstiess. Verwundert schnellte das Wintergrün hoch zum Tisch und dann drehte sich der gesamte Körper in Richtung Eingang um. Sie erblickte ein Schmunzeln im Gesicht der Frostgrünen, als sich deren Mimik für einen Moment in Trauer absenkte. „Du wirst wieder hier deinen Abend verbringen und in deinen Büchern herumwälzen, Helya?“ Sie konnte den Frostdolch in der Übertragung der Aura ihrer guten Freundin in ihre eigene spüren, ehe der kühle Klang der Mezzosopranen Stimme dieser bei ihr angelangt war. Enttäuschung, Trauer und Akzeptanz trafen wie Klingen aus gefrorenem Eis ihre Aura. Das Wintergrün harrte erstarrt an ihrem Platz aus, einen Augenblick versunken in den Emotionen ihres Gegenübers, versunken im harten Graufrost. Graupel überzog das bisher gelassen lodernde Flämmchen und das Seufzen der Kleineren brachte ein unwillkürliches Schaudern bei der Riesin zustande. Sie blinzelte. Einmal. Zweimal. Ehe sie stotternd ihr Wintergrün auf den Boden vor sich senkte und mit der Rechten verlegen den Ansatz ihrer Äste kratzte: „J-Ja…“ Darauf folgte Stille, erdrückend in ihrem Schweigen. „Du kannst nicht jeden Abend nur hinter deinen Büchern stecken und dich in deine Heilerausbildung verkriechen. Die anderen Sprösslinge freuen sich auch mal wieder, etwas von dir zu sehen ausserhalb des Unterrichts…“, die sanfte Stimme der Frostigen durchglitt das Schweigen. Keine Trauer, keine Enttäuschung mehr lag dahinter verborgen. Nur Akzeptanz eines Zustands, der sich mit Überredungskunst nicht ändern liess. „Irgendwann nehmen wir dich einfach so mal mit.“ Entschlossenheit in Stimme und Aura weckten das erstarrte Flämmchen. Rissen die Mundwinkel der Eichenriesin von selbst zu einem Schmunzeln, nachdem der Graupel langsam schmolz. „Das möchte ich sehen, wie ihr mich zu viert zur Sternenlaube zerren wollt.“ Feixend hob sich der rechte Winkel noch ein Stück mehr empor. Das Schmunzeln wurde zurückgeworfen von der Frostgrünen, ehe diese nickte und ihr einen schönen Abend wünschte.
Die Verabschiedung war schnell vorüber gegangen, als auch schon die Riesin kurz darauf sich vorbereitete mit einem Blütenkelch voll frischem Quellwasser, frischer Tinte und ihrer gemochten, blauen Schreibfeder sowie einigen Seiten frischer Blätter. So sass sie bis zu eben jenem Moment auf ihrem Hocker. Die Erinnerung an den Abschied verdunkelte die Aura Helyanwès mit schweren Regenwolken. Düsternis umgab die Eichenriesin. Sie wusste, dass die anderen auf sie warteten. Doch die Eichenbraune dagegen wollte ihre Zeit vermehrt in die Heilerausbildung stecken. Warum eigentlich? Eine Frage, die ihr mal Keir gestellt hatte. Helyanwè konnte sie damals selbst nicht ganz beantworten. Klar, diskutierte man unter den Sprösslingen und besonders mit den eigenen Mentoren auch schon mal über „den Traum“, welcher jeder Sylvari besass. Aber ihr kam das immer komisch vor. Doch ihre Fähigkeiten und ihre schnelle Auffassungsgabe machten sie zu einer guten Heilerin. Ihre elementare Magie-Begabung im Kampf sowie der Heilung von Sylvari liess sich einfach trainieren. Oft hörte sie von Nairne, dass sie wohl dazu erwacht war, eine Heilerin zu sein. So wie andere zu Jägern, Hainhüter oder Reisenden erwacht waren. Sie war nun mal so. Aber irgendetwas in ihr widerstrebte diesem einfachen Satz… Vielleicht mochte es ihre Natur als Mittagsblüte sein, aktiv, unterwegs sein, die Welt sehen. Dinge erleben… Aber warum hatte sie dann im Moment das Bedürfnis weg von dieser Natur sein zu wollen und etwas zu machen, was man eher einer stilleren Abendblüte oder gar einer Nachtblüte andichten wollen würde?
Raschelnd schwangen die Blätter an ihren Ästen hin und her, als sie ihren Kopf schüttelte, um die Gedanken samt der düsteren Regenwolken zu vertreiben. Der Kelch in ihrer Hand überfloss schon längstens und benetzte ihre borkige Rindenhaut mit dem kühlen Nass. Sie zog diese zurück und genehmigte sich einen Schluck. Spürte wie die Kühlung ihren Kopf läuterte und ihrer inneren Flamme Auftrieb verschaffte. Sie würde zurückgehen an ihren Text, welcher soeben den Unterschied beider Magiearten in Bezug auf das Problem von sylvarischen Körper und deren Innenleben behandelte. Helyanwè würde vielleicht irgendwann Klarheit über ihren Traum der Träume erhalten, doch nun wollte sie sich darin vergraben, worin sie eine Stärke besass. Selbst wenn dies nur ein vages Gefühl von Ziel versprach. So war es nun Mal eins. Der Kelch wanderte von einer Hand in die andere, während erstere ausgeschüttelt und am Rock trockengerieben wurde. In einem Anflug von Müdigkeit gähnte sie ein weiteres Mal. Entschieden setzte sich ihr Körper vorwärts, begab sich dabei hin zum Speiseregal. Dort nahm sie einhändig ein Stück Brot heraus und stellte anschliessend den Kelch auf die Tischplatte ab. Nochmals zurückkehrend zum Regal nahm sie zusätzlich etwas Fleisch heraus. Sie würde sich eine kleine einfache Mahlzeit zusammenstellen. Die gedankliche Arbeit machte sie hungrig und sie wusste selbst, dass man mit leerem Magen nur schlecht sich Dinge merken konnte. Diese kleine Pause, welche die Eichenriesin einlegte, war benötigt. Mit getrocknetem Moa-Fleisch und dem Stück abgerissenen Brotes in ihren Händen würde dies ein karges Mahl sein. Vielleicht nahm sie sich zu einem späteren Zeitpunkt noch eine Frucht aus der Schale heraus. Das Wintergrün betrachtete die Obstschale, in der das nicht mehr frische Obst schon die ein oder andere dunkle Stelle aufwies. Das Schulterzucken war gleichgültig. Man lehrte sie, dass sie mit Vorräte umsichtig umgehen sollten, aber manchmal passierten Unglücke. Doch für irgendwas hatten sie nun mal noch ein Messer. Damit würde es dann gehen.
Das Wintergrün huschte zurück auf ihre Tischplatte, als Helyanwè den ersten Bissen Fleisch und Brot einverleibte. Liess ihn über ihre Unterlagen wanderte. Sie war bald fertig mit dem Lesen und Bearbeiten. Dann konnte sie es Nairne zurückgeben. Vielleicht gab es dann ein weiteres Buch. Ein weiterer Brocken Fleisch folgte, genüsslich und nachdenklich zugleich kaute sie. Oder sie machte ihrer Gruppe und Tanwee einen Gefallen und tauchte mal den ein oder anderen Abend wieder bei ihren Treffen auf. Vielleicht konnte sie dort mit ihrem Wissen über die pflanzliche oder magische Heilkunst angeben. Dann konnte selbst der olle Flammen-Iro mal dumm aus den Blättern glotzen. Die Mundwinkel rissen sich unvermittelt hoch, als sie sich das Bild der Fratze machte, welches Keir sicherlich ziehen würde. Das wäre durchaus amüsant. Zwischendurch ein Schluck, um die Essensreste hinunterzuspülen. Lange sass sie nicht am Essen, als sie sich schon bald dabei wiederfand, wie sie die Krümel zusammenstrich und aus dem Fenster in ihre Quelle schmiss. Die Fische werden sich sicherlich über die willkommene Abwechslung in ihrem Speiseplan freuen. So zumindest ihr Gedanke. Schliesslich sammelte sie die bereits getrockneten Blätter zusammen, legte diese sorgsam auf einen Stapel und setzte sich wieder auf den Hocker. Den Kelch ausserhalb der Reichweite ihrer tätigen Hände, aber innerhalb ihrer Armlänge, wurde nun mehr nur selten genutzt. Schnell versank Helyanwè in einem geschäftigen Arbeitsrhythmus. Lesen, Zusammenfassen, Notizen schreiben. Bald erfüllte das stete Kratzen der Schreibfeder, das Rascheln der Buchseiten und das leise Murmeln der Eichenriesin die stille Wohnkapsel. Wort um Wort, Zeile für Zeile, Seite nach Seite galt es sich einzuverleiben. Das Wissen, niedergeschrieben in Etwas, was nur die mutigsten Tag- und Abendblüten kannten, die sich bis ausserhalb des Calendon-Waldes trauten. Ihr Instinkt riet ihr, sich in diesem Wissen zu wälzen. Es aufzunehmen, wie die Luft ihre Rinde. Wie Wasser und Nahrung gleichermassen. Ihr Gefühl gab ihr den Hinweis, dass dies vielleicht ihr oder jemand ihr nahestehendem das Leben retten konnte. Und sie dafür verantwortlich war, das umzusetzen. Vielleicht wollte sie sich auch einfach nur nicht wieder überwältigen lassen, sondern vorbereitet sein, auf was die Welt da draussen für eine Sylvari wie sie bereithielt. Aber was wusste sie schon?