Die roten Strähnen glänzten zwischen Milans Fingern. Vorsichtig band er die grüne Schleife zurück in das Haar seiner Schwester. "Warum musst du gehen?" fragte die Siebenjährige. "Weil ich das möchte, Mikita." Die Stimme ihres großen Bruders war weich und doch voller Reue. "Weil du weg von mir willst?" Die dunkelblauen Augen blickten ihn verständnislos an. "Nein! Wie kommst du nur darauf?" Das Herz des älteren Bruders sank, als er sah, wie die Verwirrung über das Gesicht seiner kleinen Schwester huschte. Ihre unschuldige Frage ging ihm zu Herzen und machte seine Entscheidung, zu gehen, noch schmerzhafter. Er seufzte schwer und versuchte, die richtigen Worte zu finden, um seinen Weggang zu erklären. „Nein, Mikita“, antwortete er ruhig. „Ich möchte nicht von dir weggehen. Darum geht es nicht.“ Er strich sanft eine Haarsträhne aus ihrem Gesicht, seine Berührung war so zärtlich, als würde er versuchen, den Moment für immer in sein Gedächtnis einzuprägen. „Ich liebe dich und ich werde immer für dich da sein. Du bist meine kleine Schwester und daran wird sich nichts ändern.“ Mikitas Augen weiteten sich. Sie streckte die Hand aus und legte sie auf seine. „Warum gehst du dann?“ flüsterte sie.
•••
"Mikita, bist du jetzt endlich fertig?" Die Stimme ihres Vaters war kühl und distanziert. Selbst jetzt. Am Tag von Mutters Beerdigung. "Hör auf sie zu hetzen!" Milan widersprach Vater zu jedem nur erdenklichen Zeitpunkt. Sie waren beide wütend und stritten in der grünen Wohnküche. Dem Ort an dem sie mit Mutter die meiste Zeit verbracht hatte. Kochen, Tee trinken, selbst ihre Hausaufgaben hatte die Zehnjährige immer am Küchentisch in Gesellschaft ihrer Mutter gemacht. Der vertraute Duft der Küche, einst voller Wärme und Behaglichkeit, lag immer noch in der Luft und erinnerte sie an die unzähligen Erinnerungen, die sie mit ihr geteilt hatte. Aber heute fühlte sich alles anders an. Das Lachen und die Freude, waren einer düsteren Stille gewichen.
„Wir müssen endlich los!“ Die Worte ihres Vaters hallten in ihrem Kopf wider und durchdrangen die bereits spürbare Traurigkeit, die das Haus erfüllte. Es war kein Geheimnis, dass ihre Beziehung immer angespannt war, aber seine Gleichgültigkeit in dieser schwierigen Zeit schmerzte Mikita zutiefst. Sie hatte gehofft, dass er oder zumindest aber Milan ihr etwas Trost spenden oder wenigstens das Ausmaß des Verlusts anerkennen würden. Stattdessen isolierte Vaters Kälte und Milans Wut sie nur noch mehr in ihrer eigenen Trauer.
Als sie die Treppe hinunterging, wurde der Klang ihres Streits lauter. Die grüne Küche, einst ein Symbol der Harmonie, wurde nun zum Bühnenbild ihrer Zwietracht. Mikita konnte nicht anders, als einen Anflug von Groll zu verspüren. Gegenüber ihrem Vater aber auch ihrem Bruder.
•••
„Es tut mir leid, Mikita.“ Die Stimme von Priesterin Deluca war zutiefst bewegt. „Nichts für ungut, aber das ist das Beste, was ihr in ihrer Situation passieren konnte!“ Priesterin Deluca blickte Mikitas Vater verständnislos an. „Vielleicht solltet Ihr einen Augenblick hinaus gehen, Mister Lleto.“ Etwas an ihrer Aussage verriet, dass dies keine freundliche Bitte war. „Vielleicht hat er recht..“ murmelte sie leise, nachdem ihr Vater gegangen war. „Vielleicht ist es besser so. So kann ich zumindest die Schule beenden.“ Als die 15-Jährige zu weinen begann, nahm sie die Priesterin fest in den Arm. Milan hatte ihr am nächsten Tag Blumen geschickt.
Kommentare 4
Amnesyas
Da tut einem alles weh
Saso
Ich wein' nicht! DU weinst!
Minna Autor
Ein klein wenig vielleicht!
Saso