„D… du musst das nicht tun.“ Ein atemloses Wispern, voller bitterem Flehen kroch über die rauen Schiffsplanken. Die Mittagsonne brannte kochend durch die Bucht und lediglich eine laue Meeresbrise spendete marginal Luft zum Atmen. Nüchtern gesehen, erstrahlte ein Bilderbuchtag im prachtvollen Glanz an der Küste Löwensteins und hüllte das tiefblaue Meer, unter einem wolkenlosen Himmel, in ein Firmament schimmernder Kristalle.
„Bitte.“ Es war so kläglich, aber welche Wahl hatte er groß. Das außergewöhnlich helle Augenpaar zeigte eine ungesunde Rötung und war dick geschwollen. Dunkelrotes Blut sickerte in dünnen Fäden aus der Nase und die Unterlippe war eben ebenso aufgeplatzt, wie zerfurcht. Sich aus dem eisernen Griff der Männer zu winden, hatte Tyler indessen aufgegeben. Harte Schläge gegen Rippen und Bauch ließen seinen rebellischen Widerstand schließlich zerbrechen, wie ein zu Boden gewuchteter Krug.
„Ich muss nicht, aber ich werde.“ Der süffisante Genuss, welcher der Oktave dieser Antwort anhaftete, war bewusst so gewählt und stellte nur einen zusätzlichen Hieb gegen den bereits zerschundenen Leib dar. „Du hättest mich nicht bescheißen sollen.“ Nunmehr einem Knurren ähnlich, schrägte der bärtige Mann sein rundliches Gesicht. Kleine Knopfaugen sprangen Tyler wie messerscharfen Krallen ins Antlitz. Sie~ wird dafür büßen müssen!“ Die Spitze seines wulstigen Zeigefingers, als Symbol des Todesurteils, erfasste das Konterfei einer jungen Brünetten.
Ängstlich zitternd, flirrten die Smaragde umher, suchten das verbeulte Antlitz ihres Gefährten. Im Gegensatz zu ihm, erschien sie völlig unversehrt. Kein Kratzer entstellte die sonnengebräunte und wettergegerbte Haut, mit dem signifikanten Unterschied, dass um ihr Fußgelenk eine klobige Kette geschnallt wurde, an dessen Ende eine viel zu schwere Kanonenkugel gebunden war. „Hör zu.. ich bringe das in Ordnung.. ich werde..“
Das höhnische Grinsen schwängerte die verbraucht erscheinende Züge des Piraten, ehe er von einem Schwall ekelerregenden Mundgeruchs begleitet, seinen schwarzen Nagel auf die blutige Lippe Tylers legte. „Grüßt die Fische von mir.“ Ein langgezogener panischer Aufschrei, begleitete den Sturz der Frau, ehe kühles Wasser sie empfing und die Klagelaute abrupt zum Verstummen brachte. „NEIN!“ Von seinen Peinigern freigegeben, stolperte Tyler regelrecht über die Reling, ehe auch er kopfüber vom blauen Nass begrüßt wurde.
Dumpfe Stille umfing seinen Geist, während der Schmuggler hektisch seiner sich im Sog der Kette windenden Gefährtin, hinterher schwamm. Sein Herz schlug ihm rasend bis in die Schläfe. Jeglicher Schmerz wurde von einem tobenden Adrenalinschub im Keim erstickt, ehe sich seine große Hand schließlich um die ihre wandte. Der Terror in ihren vor Angst zerfressenen, weit geöffneten Augen, brannte sich unweigerlich und für alle Zeit in seine Seele. Unter einem Kraftaufwand den sein gebrochener Körper kaum bewerkstelligen konnte, zerrte und riss Tyler an den massiven Ketten, versuchte die todbringende Kugel anzuheben.
Auch wenn sein Verstand viel zu schnell erkannte, dass es völlig sinnlos erschien und nichts mehr das Unausweichliche verhindern konnte, weigerte er sich aufzugeben. Seine Lunge brannten wie Feuer und der Druck welcher ihn zur Atmung zwang, verpestete seinen Geist, schrie ihn an sie gehen zu lassen. Fahrig berührten ihre weichen Fingerkuppen sein Gesicht, fuhren die markanten Konturen der Wangenknochen entlang. Etwas Friedliches lag in ihrem Blick, ehe er brach und Tyler in stoischer Ausdruckslosigkeit zurückließ.
Die zuckenden Lider öffneten sich träge und brachten matt schimmernden Flieder an das Tageslicht. Mit den Jahren schreckte Tyler nicht mehr schweißgebadet aus dem Kerker der Albträume, wenngleich sich die Bilder niemals verändert, oder an Schärfe verloren hatten. Zeit heilt alle Wunden, so sagte man. Er wünschte sich, den Urheber dieser losen Phrase in die Finger zu kriegen, um ihn aus seiner verdammten Hose treten zu können.