Mister Travers war ein formidabler Kammerdiener. Er war sich seiner großen und delikaten Verantwortung un-ver-brüch-lich bewusst. Bei einem Grafen in Anstellung zu stehen hieß, einen geregelten Tagesablauf nicht nur eisern einzuhalten, sondern auch zur gänzlichen Zufriedenheit aller Beteiligten zu ermöglichen. Nicht nur jener der Herrschaft, auch zu der Zufriedenheit des Kammerdieners selbst. So durften auch allfälligen Änderungen der Umstände keinerlei Macht über das gutgeschmierte Uhrwerk kammerdienerlicher Tätigkeiten eingeräumt werden. In einem gutbürgerlichen Gasthof in Götterfels zu weilen war für Travers also keinerlei Ausrede, die tägliche Routine des Conte nicht dennoch genau so zum Laufen zu bringen, als wäre man in vertrauter Umgebung von Gut Ährenstolz. Der Tag im "Grünen Greifen" begann für Travers nicht mit dem Hahnenschrei. Hier in der Stadt waren es Hufe und Räder, die über das Pflaster rollten und - oh, wie hatte er es vermisst! - das Rufen früher Händler vom nahegelegenen Markt. Aufgestanden, sich selbst in die Livree im schlichten Schwarz gesteckt und schon war unser fleißiger Diener bereit. Im Schleicheschritt ging es in die Suite seiner noch schlafenden Lordschaft und mit der absoluten Stille des Meisters, langjährig eingeübt, wurden Hemd und Anzug bereitgelegt, die passende Weste herausgesucht (Moosgrün? Umbra? Nein, heute war für den Grafen bestimmt ein Tag für Saphirblau!), das Krawattentuch vorgefaltet, Schuhe und Stockknauf noch einmal poliert. Rasierpinsel und Seife wurden vorbereitet, ein Set Krawattennadeln und Manschetten (zu Saphirblau selbstverständlich nur weiße Brillanten) ausgelegt - kurzum auf den Punkt genau alles zurechtgerichtet, was die Morgentoilette seiner Lordschaft erforderte. Mucksmäuschenleise ging es dann in die Gasthofküche, das Frühstück für den Conte zu ordern: Eine Scheibe Schwarzbrot (knusprig), ein hartgekochtes Ei (drei Minuten, nicht mehr), Tee (schwarz und pur), nach Verfügbarkeit ein Rosinenbrötchen mit frischer Butter - aber bitte alles frisch und etwas zackig, denn seine Lordschaft würde in punktgenau - ein Blick auf die kupferne Taschenuhr - fünfundvierzig Minuten aufgestanden und angekleidet sein. Im Vorübergehen gönnte sich Travers selbst einen Becher Kaffee und ein Stück Apfelbrot sowie einen ausgiebigen Augenflirt mit einem der Hausmädchen und dann war er schon wieder unterwegs in die Suite im Oberstock. Vor der Türe noch ein Blick auf die Taschenuhr, mit dem Blick dem kleinen Zeiger gefolgt, drei, zwei, eins...eintreten. Wie jeden Tag in den letzten zwölf Jahren würde er einen erwachten und bereits erhobenen Conte vorfinden, würde mit höflicher Verneigung grüßen und dann in diskretem Geschick den Schützling einkleiden und ausstatten, ehe er ihn zum sorgfältig bereitgestellten Frühstück entließ. Doch heute...
...war irgendetwas anders. Travers trat ein, auf den Lippen schon das übliche "Guten Morgen, Eure Lordschaft. Das Wetter ist leicht bewölkt, es könnte heute regnen." auf den Lippen und da wurde der Kammerdiener eines völlig unüblichen Anblicks gewahr. Der Graf, sonst ein unverbrüchlich mitwirkendes Zahnrad jenes geschmierten Uhrwerks, war noch gar nicht aufgestanden. Er lag noch im ...Bett. Auf seinem Schoß lag ein Buch, in dem entspannt gelesen wurde. "Guten Morgen, Travers. Ich frühstücke heute im Bett." Zwei Sätze, die der Kammerdiener zeitlebens nicht mehr vergessen würde. Er musste wohl dagestanden und Maulaffen feil gehalten haben, denn nach ein paar Momenten richtete sich der Blick aus den grünen Augen des Grafen auf ihn, die dunklen Brauen waren in einer völlig unvorbereiteten Art milder Erheiterung erhoben. "Außerdem hätte ich gerne Kandis und Sahne im Tee. Das wäre vorerst alles." Mit diesem schlichten Anliegen, in üblicher Ruhe vorgetragen, kehrte die Aufmerksamkeit des Conte wieder zurück zum Buch auf seinem Schoß und Travers, konditioniert auf bestimme Worte der Entlassung, war mit der üblichen Verneigung auch schon unterwegs hinaus aus der Suite. Und draußen am Gang, da stand er dann, die Türe anstarrend und sich fragend, was das nun zu bedeuten hatte?
Mister Travers war ein hervorragender Kammerdiener, der wusste, was sich gehört. Wie konnte man eine solche Unterbrechung der täglichen Routine von ihm verlangen?