Von Stand, Kapitel 3: Aufgaben

Barnaby Travers war ein achtsamer Kammerdiener. Es gab nichts betreffend der persönlichen Angelegenheiten des Conte, dass der lang gediente Untergebene nicht mit vollstem Einsatz zu erledigen wusste. Als er damals - noch vom alten Grafen, die Sechs haben ihn selig - eingestellt wurde, um dem jungen Conte standesgemäß aufzuwarten, ging er sogleich mit Feuereifer ans Werk. Eine brandneue Garderobe musste angeschafft werden, um die es sich auch kammerdienerlich zu kümmern lohnte. Und so bestellte Travers Herrenschneider und Schuster, um dem Conte Florean eine Ausstattung zu verpassen, die nicht von einer Meile entfernt bereits nach Landedelmann schrie. Als einige Jahre später der Leibarzt eine Fehlsichtigkeit beim zukünftigen Grafen feststellte, war es Travers, der die Anpassung und Anschaffung der zukünftig gräflichen Brille veranlasste. Travers sorgte für den (reichlichen) Nachschub an Lesestoff des Conte, arrangierte die (seltenen) Reisen vom Kofferpacken bis hin zu den benötigten Unterkünften und bei Bedarf arrangierte er auch die (raren) Begegnungen mit geeigneten (und diskreten) Mitgliedern des holden Geschlechts. Nach dem Unfall war es Travers, der ein Sortiment an allerlei Gehstöcken aussuchte und sich um die Rekonvaleszenz des Conte Florean kümmerte. Kurzum: Es gab nichts im Leben seiner Lordschaft, was nicht durch Barnaby Travers' herausragendes Organisationstalent dort seinen Platz fand. Doch an diesem Tag wurde er mit einer Aufgabe betraut, die ihn erstmals an seine Grenzen brachte.


Es fing damit an, dass der Graf zur gewohnten Zeit von einem seiner scheinbar endlosen Bittbesuche im Ministerium zurückkehrte. Travers wartete wie zu jeder 5. Nachmittagsstunde mit kalten Knieumschlägen und heißem Schwarztee (seit Neuestem eben mit Sahne und einem Stück Kandis) auf. Der sonst ohnehin ruhige Conte war heute noch schweigsamer. Abwesend nippte er genau einen Schluck vom Tee, dann verlangte er nach seinem Schreibwerk. Statt sich, wie sonst auch, erst einmal eine Weile mit dem hochgelegten und kühl umwickelten Knie bei einem seiner Bücher zu entspannen, fing seine Lordschaft an, wie wild und völlig in Gedanken versunken einen frischen Zettel nach dem anderen zu verbrauchen. Während der Tee langsam ungetrunken kühlte, kritzelte der Graf immer verbissener und furioser umher. Der sonst ausgeglichene Mann schien sich regelrecht in Frust hineinzuschreiben und nicht nur einmal musste der Kammerdiener vom Bürsten der eleganten Gehröcke aufschauen, als entweder ein leiser Fluch oder ein zusammengeknülltes Papier durch den Raum segelte. Nein, Korrespondenz war das keine - und wenn, dann bestimmt keine angenehme. Schon begann der umsichtige Travers sich diskret Richtung Türe zu bewegen - in solchen Momenten sollte ein Gentleman alleine sein -, da rief ihn die ungewohnt scharfe Befehlsstimme des Conte in zackiges Habt-acht. "...nein, so geht das nicht. Travers! Ich will, dass Sie umgehend etwas für mich erledigen." Eilfertig verneigte sich der dienstbare Geist, schweigende Zustimmung und Aufmerksamkeit ausstrahlend. Mit einem leicht frustrierten Schnauben nahm der Graf seine Brille ab und rieb sich die Nasenwurzel. "Schicken Sie umgehend Anweisung nach Ährenstolz. Der Verwalter soll die Besitzbücher sicher verpacken und mir zusenden. Danach gehen Sie los und besorgen mir einen Berater in Wirtschaftsdingen. Das wäre alles." Mit einer ungeduldigen Bewegung warf der Graf seine Brille schlitternd über den Schreibtisch und griff dann zur Teetasse. Das beinahe grimmige Schweigen umhüllte den eleganten Mann wie eine Wolke der Ablehnung und wie in einem Kampfeinsatz wurde der erkaltete Tee in kleinen, knappen Schlucken attackiert.


Beinahe fluchtartig verließ der Kammerdiener die Suite. In solcher Laune hatte er den Conte seit den Tagen der mühevollen Genesung nicht mehr erlebt. Tief atmete Travers durch, rieb sich über die Halbglatze. Er war ein herausragender Kammerdiener. Er hatte bisher immer noch alles herbei organisiert, das sein Schützling benötigte. Wo aber sollte er nun einen Experten für Wirtschaftsfragen her kriegen?

Kommentare 2

  • Vielen Dank, ich auch. Oder nicht, ich weiß noch nicht so genau. *g*

  • Asura! ;) Ich mag es total, wirklich toll und so "steif" geschrieben, dass ich mir Travers seeehr gut vorstellen kann. Den mag ich! ^^