Von Ähren und Klingen III - Vasallin der Locksleys

Über den Inhalt der Tasse in ihrer Hand blies sie. Nicht weil er heiß war, sondern um sich für einen Moment der Gedanken zu entledigen, die sie überfielen. Nach einem Schluck der schwarzen Flüssigkeit, mit Zitrone verfeinert, kehrten die Gedanken aber wieder zurück. Wie sie nach Ebonfalke zurückgekehrt war, trotz dass sie einen Titel von der Königin erhielt, der sie als Edle Krytas auswies und ihr ein kleiner Hof sowie ein Anwesen in der Siedlung zuteil wurde, den sie ihrem Vater überließ. Dieser wiederum zog es aber vor, innerhalb Götterfels' zu verweilen, um mit seinen Erfahrungen beratende Tätigkeiten einnehmen zu können, wodurch schlussendlich der kleine Besitz an seinen Bruder, ihren Onkel, überging. Etwas, dass sie noch bereuen sollte.
Weitere Jahre verbrachte sie in Ebonfalke, wobei sich ihre Feinde wandelten. Es war nicht leicht für sie, das erste mal das Schwert gegen die zu erheben, die sie früher als ihre Brüder erachtete, die nun aber Separatisten waren. Ein Umstand, den sie bis heute nicht begriff. Warum kämpft man an der Seite der Charr darum, die Charr weiter bekämpfen zu dürfen? Es war lächerlich, was diese verblendeten Menschen taten, um ihre blutige Tradition zu wahren. Mit Sicherheit hasste auch sie die zu groß geratenen Raubtiere mit ihrem Fell und den martialischen Hörnern, aber sie begriff ebenso, dass man Fehden begraben musste und trotzdem Tradition wahren konnte. Einen Vorsatz, den sie sich immer beibehalten hatte und auch beibehalten würde.
Das neuerliche Eintreten Elises riss sie aus ihren Gedanken heraus. Das junge Mädchen verbeugte sich mit einem Lächeln vor ihr. Anders als bei vielen Adligen erlaubte sie es ihr, sie direkt anzublicken und dies tat sie auch mit den smaragdgrünen Augen, die in einem jugendlichen Gesicht saßen. Sie mochte dieses Mädchen und manchmal überkamen sie Muttergefühle für sie, selbst wenn sie nur ihre Dienerin war. Der Umstand, dass sie nie Mutter werden würde, spielte dabei wohl eine große Rolle.
"Was gibt es?" Fragte sie mit einer ruhigen Stimme, in der sogar ein sanfter Unterton lag.
"Novizin Federklang wünscht euch zu sprechen, Herrin. In einigen Minuten würde sie gern bei euch sein. Soll ich ihr ausrichten, dass sie euch nicht stören sollte?" Fragte Elise, ohne dass das Lächeln von ihren Lippen schwand. Kein Lächeln der Höflichkeit wegen, sondern ehrlicher Zuneigung gegenüber ihrer Herrin, die sie, wie all die anderen Bediensteten, stets gut behandelte. Selbst die anfänglichen Fehler hatte sie ihr vergeben. Nur selten kamen drastische Strafen vor und sie trafen nur die, die Fehler begingen ohne sie sich oder anderen einzugestehen.
"Sag ihr, dass ich sie gleich empfangen werde. Eine Novizin der Dwayna weist man nicht ab, schon gar nicht die Schülerin Winchesters."
"Wie ihr wünscht, Herrin. Kann ich euch noch etwas bringen?" Auf die Frage hin bekam die Dienerin ein Kopfschütteln und so schloss sie die Tür hinter sich wieder, nicht ohne sich noch einmal knapp zu verneigen. Kaum dass die Tür geschlossen war, kamen auch die Gedanken wieder, und so schoss ihr das Bild in den Kopf, als sich der Sarg ihres Vaters schloss, der friedlich in die Nebel übergegangen war. Eine Zeit des Umbruches für sie, denn damit zog sie sich aus dem Dienst für die Ebonvorhut zurück, um die Kontakte ihres Vaters in Götterfels zu pflegen und seinen Posten einzunehmen. Ein Besuch in der Rurikhalle, die damals noch unter den Locksleys stand, war ihre erste größere Tat und sie schloss schnell Bekanntschaften, auch wenn man ihr anmerkte, dass dies nicht die Umgebung war, die sie gewohnt war. Kein aufeinander schlagendes Eissen, nur das Rascheln von Kleidern. Keine Befehle, nur die leise gesprochenen Gerüchte hinter vorgehaltener Hand. Keine Brüderlichkeit, nur der Stand nebeneinander aus einem Nutzen heraus. Aufgrund dieser Umstände fühlte sie sich öfter fehl am Platze, doch stand sie es durch und bemerkte so, dass die Locksleys anders waren als all die Adligen innerhalb Götterfels'. Es fiel ihr nicht schwer, in den Vasallendienst für die Gräfin und ihren Bruder zu treten. Eine schöne Zeit, wenn sie heute so darüber nachdachte, immerhin wusste sie, für was sie ihre Klinge gab und hatte stets Rückhalt innerhalb der Locksleys. Keinerlei Meinungsverschiedenheiten gab es, viel eher wirkte es manchmal, als wäre sie ein fester Bestandteil des Hauses, aus dem Haus selbst geboren.
Umso missmutiger stimtme es sie, als sich die Locksleys aus der Öffentlichkeit zurückzogen und sie von ihrem Vasalleneid entbanden. Aus einem festen Gefüge heraus stürzte sie in die Schwerelosigkeit hinein. Eigentlich sollte sie den einstigen Herren dafür böse sein, doch konnte sie es nicht, hatte sie doch eine sehr angenehme Zeit in ihren Diensten verbracht. Auf der Suche nach neuen Aufgaben irrte sie umher und nicht nur einmal überkam sie der Gedanken, zur Ebonvorhut zurückzukehren. Nach längerem Abwägen tat sie dies auch. Ihren alten Posten erhielt sie zurück und somit fiel sie zurück in ihr altes Leben, gewoben aus Schlachten, Blut und inniger Freundschaft.