Von Ähren und Klingen IV - Blutvergießen in der Siedlung

Ein Klopfen an der Tür ließ sie die Gedanken verlieren. Den Blick hob sie gen der massiven Holztür und mit fester Stimme sprach sie: "Herein.". Die Tür öffnete sich und gab den Blick auf eine junge Frau in einer Novizenrobe der Dwayna frei. Blondes Haar und blaue, wache Augen. Das Typischste an ihr war aber das sanfte Lächeln auf den Lippen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass sie die Novizin je ohne dieses gesehen hatte.
"Edeldame Thaliana Ährentanz." Damit verneigte sich die Novizin andeutungsweise. "Dwayna mit euch, Herrin." Fügte sie noch hinzu, eh sie die Tür schloss und näher an den Tisch heran trat, hinter dem Thaliana saß.
"Und auch mit dir, Anneria. Setz dich. Du wolltest mich sprechen?" Der vertraute Umgangston war dem geschuldet, dass sich die junge Frau selbst in die Dienste Thalianas begeben hatte, mit den Worten, dass sie eine bessere Gläubige sei, als es all die Priester in Götterfels sind, die angeblich den Sechsen dienen. Die Worte hatten ihr geschmeichelt und so stellte sie sie in ihre Dienste, und überließ sie Shedim Winchester, ihrem Hauptmann, zudem einer ehemaligen Priesterin der Dwayna, die der Novizin noch einiges lehren konnte.
"Ja, das wollte ich. Allerdings sind es keine dringlichen Angelegenheiten. Ich möchte etwas in Erfahrung bringen von euch, etwas persönliches, sofern ihr dazu bereit seid, es mir zu erzählen." Die Worte sprach sie leise und mit sanfter Stimme, unterstrichen von ebensolchem Lächeln. Auf den Wink der Edeldame hin nahm sie auf dem kleinen Sessel Platz, der am Schreibtisch stand, weich gepolstert, ohne aber zu luxuriös zu sein.
"Ich wollte euch fragen, wie es dazu kam, dass ihr nun das Anwesen hier besitzt und euch so sehr um die Siedlung kümmert." Stellte die junge Frau offen und direkt ihre Frage. Unehrlichkeit war das Letzte, was Thaliana von der Novizin erwarten würde und so zauberte ihr die Frage ein Lächeln auf das Gesicht. Die Tasse in der Hand lehrte sie und stellte sie auf dem Tisch ab, um sich gerade aufzusetzen. So zurückgelehnt sahen sie eh nur die vertrautesten Personen, doch empfand sie es als unhöflich, die Geschichte so zu erzählen. Dass sie die Erzählung ablehnen konnte, wusste sie, und ebenso wusste sie auch, dass sie der Frau ihr gegenüber vertrauen konnte.
"Zu der Zeit war ich noch in Ebonfalke, meine zweite Dienstperiode." Begann sie die Erzählung. Die Hände legte sie auf dem Tisch übereinander. Die Ärmel des schwarzen Hausmantels schloss sie dabei zum Teil mit ein. "Ich hörte dort von meinem Onkel, der meine erhaltene Ländereien inne hatte, dass er mit den Separatisten kooperierte. Er hatte sogar einen Trupp finanziell unterstützt, der meinen Trupp anfallen sollte, um mich zu töten. Zu der Zeit wusste ich noch nicht um sein Vorhaben in der Siedlung, sondern hielt es für ein Gerücht, um uns gegeneinander aufzuwiegeln und mich aus der Ebonvorhut hinaus zu treiben. Immerhin erwartete ich so etwas nicht von einem Mann mit zwei Töchtern und drei Söhnen, und einer fürsorglichen Frau. Ich ignorierte also erst einmal die Meldung." Ein großer Fehler, dachte sie noch bei sich, sprach es aber nicht aus. Im Stuhl lehnte sie sich wieder zurück, ließ sich aber nicht so weit hinabsinken, wie sie noch zuvor saß. Die Hände legte sie auf die Armlehnen.
"Erst als man mir davon berichtete, dass er eine Miliz plant in der Siedlung zu errichten, die nicht gegen die Zentauren vorgehen soll, sondern gegen krytanische Besetzer, wurde ich hellhörig. Er war ja immerhin selbst Krytaner und benannte dann seine Landsleute so. Ich schickte einen vertrauten Späher aus der Ebonvorhut aus, um in der Siedlung nähere Erkundigungen einzuholen. Als er zurückkam, bestätigte er mir die Gerüchte und berichtete ebenso davon, dass schon die ersten hierarchischen Strukturen der Miliz feststehen. Die Söhne meines Onkels wurden als Hauptmann und Offiziere eingesetzt und sollten mit der Rekrutierung von Ascaloniern beginnen." Ein Schnauben entwich ihr dabei. Zwar sah sie sich selbst als Ascalonierin, weniger als Krytanerin, aber sie wusste, dass das Herz nur wenig in der Politik zu entscheiden hatte. Somit hielt sie sich lieber bedeckt, versuchte aber dennoch die Traditionen zu wahren, die ihr ihre Wurzeln auferlegten. "Ich nahm also die Reise aus Ebonfalke bis zur Siedlung auf mich. Um mich nicht ungewollt anzukündigen, nahm ich mit einigen Getreuen aus der Vorhut den Weg zu Fuß, über die Zittergipfel, wie es einst auch meine Vorfahrin tat. Auf dem Weg durch die Felder schlossen sich uns noch ein paar Kämpfer an, darunter auch die Söhne von Amalia Mulcahy. Ihr Ältester ist ja mittlerweile mit meiner Cousine verheiratet und steht im Dienste als Hauptmann. Auch die anderen beiden sind loyale udn treue Kämpfer." Die Worte bedachte sie mit einem kurzen Lächeln und einem knappen Nicken.
"Als wir in der Siedlung ankamen, waren die Seraphen überrascht einen kleinen Heereszug zu sehen. Mein Onkel hatte gut gearbeitet. Niemand hatte etwas davon mitbekommen, dass er versuchte eine Miliz auszuheben. Niemand, der nicht ascalonischen Blutes war und ihn unterstützte. Meiner Bitte danach, die Zivilisten zu evakuieren, kamen die Seraphen nach und so konnte ich meinen Onkel offen stellen, dachte ich zumindest. Im Anwesen hatte er sich aber verschanzt, wie ein Feigling, und schickte uns die Rekruten der Miliz entgegen, die er schon aufgebracht hatte. Keine erfahrenen Kämpfer, aber hartnäckig und sie kosteten uns geringfügige Verluste. Auch zwei meiner Cousins waren darunter. Ich war bereit, ihnen Gnade zu gewähren, aber sie wollten es nicht. Sie nannten mich krytanische Verräterin und stürzten sich mit dem Kopf voran auf mich und mein Gefolge. Der Eisige mag ihnen vergeben haben." Leise sprach sie die letzten Worte, ein leises Gebet. Auch wenn sie nicht gut hieß, was ihr Onkel und seine Söhne taten, so war es immernoch ihre Familie.
"Meine Cousinen dienten im Anwesen als Geiseln. Auch wenn ihr ältester Bruder damit drohte, sie umzubringen, wenn wir zu nah kamen, tat er es nicht. Er forderte mich zum Zweikampf heraus, doch er hatte keine Chance. Ein Kämpfer war er, ja, aber kein richtiger Soldat. Meine Cousinen waren damit befreit und ich machte mich auf den Weg, meinen Onkel zu suchen, innerhalb des kleinen Anwesens. Schlussendlich fand ich ihn, tot. Seine Leiche lag im Keller neben seiner Frau, die er vorher getötet hatte, bevor er sich selbst ins Schwert stürzte. Der Weg eines Feiglings und ein Feigling war er schon immer." Bittere Wahrheit war es, die sie da sprach und nichts konnte sie besser machen oder überzeichnen.
"Mit dem Tod meines Onkels übernahm ich das Anwesen und den kleinen Hof. Meine Cousinen schlossen sich ohne Weiteres mir an. Leider ist davon auch nur noch Alvienne verblieben." Ihre zweite Cousine, die jüngere der Beiden, hatte sich abgesetzt, als die Schlacht in Löwenstein tobte, wo sie sich gerade mit ihrer Zofe befand. Thaliana hatte es akzeptiert, hatte sie sich doch mit Marlene nie gut verstanden, noch dazu war sie ein Bastard ihres Onkels und die Einzige in der Familie, die ein großes Talent zur Magie aufwies. Die finanzielle Unterstützung versagte sie ihr aber nicht. Und so erhielt sie regelmäßig Briefe von ihr, die berichteten, wie es nahe Shaemoors ist, in einem eigenen Haus und mit ehrlicher Arbeit. Aber vor allem berichtete sie davon, wie glücklich sie ist. Etwas, was Thaliana stets auch zwischen den Zeilen lesen konnte und was sie milde stimmte. Offiziell jedoch war ihre Cousine beim Überfall auf Löwenstein gestorben.
"Danke, Herrin, dass ihr mir das erzählt habt. Ihr habt richtig gehandelt, auch wenn ihr damit das Werk Dwaynas vernichten musstet." Sprach Anneria leise, aber besänftigend, eh sie sich auch schon wieder vom Stuhl erhob. Mit einem Nicken, begleitet von einem schmalen Lächeln, bedachte Thaliana sie, eh sie ihr nachblickte, wie sie hinaus ging. Die junge Frau war ihr lieb geworden. Eine würdige Novizin Dwaynas war sie, vergaß dabei aber nicht, dass sie auch Mensch war, ein Abbild aller Sechs in einem Körper vereint. Eine gute Priesterin würde sie einmal werden, was sie auch schon in der Abtei unter Beweis gestellt hatte, nachdem Löwenstein seinem Schicksal anheim fiel.