Seth's Geschichte

Es ist ein warmer Sommernachmittag. Die Sonnenstrahlen brechen hier und da durch das Geäst und streifen seine Haut. Er lächelt, während er vorsichtig die Pilze einsammelt, die überall auf dem Waldboden wachsen. Es ist nichts weiter zu hören außer dem Rascheln der Blätter im Wind, leisen Vogelklängen in der Ferne und der fröhlichen Melodie, die der junge Mann leise vor sich hin summt. Er ist alleine im Wald, doch das macht ihm keine Sorgen. Er ist ja nicht weit von Zuhause und hier ist noch nie etwas Schlimmeres passiert.


Bis jetzt.


Ein gellender Schrei hallt durch den Wald. Schmerzvoll, verzweifelt. Seth springt auf, lässt alles fallen und liegen und rennt wie vom Dämon gejagt nach Hause. Eine Frau hatte geschrien. Seine Frau. Cery.


Ohne anzuhalten und den stechenden Schmerz in der Seite ignorierend, rennt er aus dem Wald und bleibt plötzlich wie angewurzelt stehen. Die Szene vor ihm ist ein Bild des Schreckens. Sein ganzes Gehöft steht in Flammen. Unfähig, sich zu rühren, steht er da und starrt geschockt auf diese Katastrophe. Wieder ein Schrei.


Es war sein eigener. Als er es schließlich merkt, wird er sich wieder bewusst, wo er ist. Zuhause, im Bett. Er hatte geträumt.


Schweißtropfen perlen von seiner Stirn und sein Hemd klebt ihm am Körper. Neben ihm raschelt es leise und eine warme Hand legt sich sanft auf seinen Arm. „Was ist los, Seth?“
Er hatte eben noch leicht gezittert, doch nun wo er die zarte Berührung spürt und ihre sanfte, ruhige Stimme hört, fühlt er sich gleich viel besser. Er war nur ein Traum.


Im fahlen Mondlicht blickt er lächelnd auf seine Frau herab. „Ein Traum, nichts weiter. Verzeih, dass ich dich geweckt habe.“ Er beugt sich zu ihr runter und haucht ihr einen zärtlichen Kuss auf die Stirn.


„Möchtest du darüber reden?“


Er schüttelt den Kopf. Ihre Augen waren an die Dunkelheit gewöhnt, daher weiß er, dass sie diese Bewegung sehen kann. Doch sie lässt nicht so schnell locker.


„Du hast geschrien.“ – „Ich weiß. Ich war erschrocken, das ist alles. Ich will nicht, dass du dir Sorgen machst, oder dich ängstigst.“ Sanft legt er eine Hand auf ihren Bauch. Noch ist dieser flach, doch bald würde dieser kugelrund werden. Er freut sich jetzt schon darauf, was die Zukunft für sie bereit hält. Doch gerade deswegen durfte sie sich nicht aufregen. Sein sanfter Engel.


„Versuch weiter zu schlafen, Liebste. Vielleicht erzähle ich dir morgen davon. Wenn die Sonne hoch am Himmel steht.“


Sie zieht einen leichten Schmollmund und sieht ihn leicht bockig an. „Ich kann jetzt nicht einfach wieder schlafen.“


Er lacht leise und beugt sich wieder über sie. „Wenn das so ist…“ Er haucht ihr einen zärtlichen Kuss auf die Lippen „weiß ich etwas anderes sinnvolles mit der Zeit anzufangen.“
Als sie ihn anstrahlt küsst er sie wieder, während seine Hand unter ihrer Decke auf die Suche geht…



~ * * * ~


„Wolltest du nicht Pilze sammeln gehen?“


Seth gähnt herzlich und blinzelt eine Träne weg, ehe er sich freundlich lächelnd zu ihr umdreht. Sie steht am Herd und hat schon damit begonnen, die Kartoffeln für das Mittagessen zu schälen. Einen Augenblick verliert er sich in ihrer Schönheit. Sie war eigentlich nichts Besonderes, naja außer für ihn. Eine einfache Bäuerin. Sie trägt schlichte, nützliche Kleidung, die ihr eigentlich etwas zu weit ist. Aber er weiß ja, was sich darunter verbirgt. Sie ist etwas tollpatschig, doch das fand er einfach nur süß an ihr. Genauso wie ihre hüftlangen, blonden Haare, die schmale Taille, ihre kleine Stubsnase, ihre kleinen, zarten Finger, wo fast immer ein Pflaster dran klebt und ihre helle, sanfte Stimme. Er liebte sie von ganzem Herzen.


„Ja, ich weiß. Aber ich denke, ich werde heute ein paar Besorgungen in der Stadt machen. Ich brauche unbedingt neues Werkzeug. Das hier wird langsam stumpf.“


Sie sieht von ihrer Kartoffel auf und blickt ihn stirnrunzelnd an. „Kannst du es nicht einfach schärfen lassen?“


„Durchaus, aber dann bleibt von der Klinge nicht mehr viel übrig.“ Er lacht leise und schlendert gemütlich zu ihr rüber. Sie sieht ihn arglos an. Es ist süß, wie sehr sie ihm vertraut. Dabei müsste sie es doch besser wissen. Blitzschnell fahren seine Hände nach vorne und beginnen sie an ihrer Taille zu kitzeln. Erschrocken lässt sie die Kartoffel und das Messer fallen und versucht sich schwach zu wehren, was ihr aber kaum gelingt, da sich ihr Körper vor Lachen schüttelt.


„Hör… auf…ich muss …das Essen...bitte…“ Sie lacht Tränen und windet sich unter seinen unerlässlichen Kitzelattacken, als er schließlich Erbarmen zeigt und damit aufhört. Grinsend schaut er in ihr gerötetes Gesicht, welches böse zurückguckt. Zumindest versucht sie es.


„Schau mich nicht so an. Du wolltest, dass ich dich durchkitzle. Dafür helfe ich dir auch mit dem Essen.“


Er will gerade nach dem Messer greifen, als sie ihn sachte mit der Hüfte zur Seite schubst und das Messer selbst in die Hand nimmt. „Kommt nicht in Frage. Um das Essen kümmere ich mich. Dafür machst du heute den Stall.“


„Das ist nicht fair, ich war gestern dran.“


Sie sieht ihn ernst an und schält dann weiter die Kartoffeln. Seth lächelt leicht und streichelt ihr dann sanft über den Kopf. Er weiß, dass sie ihm nicht wirklich böse ist. Es lag einfach nicht in ihrer Natur, jemandem etwas nachzutragen.


„In Ordnung, aber erst reite ich in die Stadt. Bis zum Mittag bin ich wieder zurück.“ Dann drückt er ihr einen sanften Kuss auf die Wange, schnappt sich seinen Mantel vom Stuhl und verlässt schlendernd das Haus.


Glücklich blinzelt er in die Morgensonne und streckt sich noch einmal ausgiebig, ehe er sich seinen Mantel überstreift und zum Stall geht. Er hat nur ein einziges Pferd und mit schnellen, geübten Handgriffen ist es gesattelt, aufgezäumt und Aufbruch bereit. Er führt es aus den Stall heraus und lässt noch einmal seinen Blick über sein Zuhause schweifen. Das ungute Gefühl, das der Traum hervorrief, ignoriert er. Dann steigt er auf und reitet eilig davon. Er will so schnell wie möglich wieder zurück sein.


Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er seinen Hof heute gar nicht erst verlassen, aber die Einkäufe sind wichtig und so bleibt ihm keine Wahl.


In der Stadt - andere hätten es wohl eher als Dorf bezeichnet, aber es war immerhin umzäunt - angekommen beeilt er sich mit seinen Einkäufen. Bekannten Gesichtern nickt er nur grüßend zu, ehe er weitereilt. Heute überlässt er das Plaudern anderen. Auch bei der Auswahl neuer Werkzeuge beeilt er sich, doch mäßigt er schließlich seine Ungeduld. Diese Werkzeuge sind wichtig für ihn, also zwingt er sich, sie sorgfältig auszuwählen.


Als er diese schließlich bezahlt hat, macht er noch einen schnellen Rundgang über den Markt, um sich nach einer Besonderheit für seine Frau umzusehen. Er kam nie ohne ein Geschenk für sie zurück. Und er würde heute nicht damit anfangen. Doch er muss nicht lange suchen. Er weiß, was ihr gefällt und so fällt sein Blick schließlich auf einen hübschen Kamm. Er war cremefarben und mit hübschen, bunt glitzernden Steinen verziert. Er fand ihn kitschig, aber Cery liebte bunt glitzernde Dinge. „Was kostet der Kamm?“ Eine ältere Dame dreht sich zu ihm um und begrüßt ihn mit einem strahlenden Lächeln. „Na, du auch mal wieder hier, Seth? Euch zwei Hübschen sieht man nicht mehr oft in der Stadt.“


Seth errötet etwas, grinst aber frech zurück. „Natürlich nicht, wir haben schließlich viel zu tun.“


„Natürlich, mein Junge.“ Sie zwinkert ihm kurz zu und nimmt dann den Kamm und beginnt ihn in einfachem Papier einzuwickeln. „Für Cery nehme ich an? Zwei Kupferlinge und er gehört ihr.“
Seth nickt lächelnd und reicht ihr zwei kleine Münzen rüber. Dann packt er den Kamm ein und lächelt sie entschuldigend an. „Verzeih, aber heute habe ich es eilig.“


„Ihr habt doch noch euer ganzes Leben vor euch.“ Die Verkäuferin lacht gutmütig und winkt Seth hinterher, der bereits wieder auf dem Weg zu seinem Pferd ist. Dort angekommen, verstaut er alles in den Satteltaschen und macht sich auf den Rückweg. Das mulmige Gefühl ist stärker geworden und daher treibt er sein Pferd zum Trab an.


Zum Glück wohnt er nicht weit von der Stadt entfernt. Nur eine Stunde ist er unterwegs, doch das ziehen in seinem Magen wird immer stärker. Nur wenige hundert Meter von seinem Hof entfernt bleibt er schließlich stehen und lauscht verwirrt in den Wald hinein.


Es ist ruhig. Viel zu ruhig.


Besorgt treibt er sein Pferd zum Galopp an und lehnt sich flach nach vorne. Die Bilder aus seinem Traum blitzen vor seinem Auge auf und am Hof angekommen springt er eilig vom Pferd.
Vielleicht würde er sich lächerlich machen, wenn er so panisch ins Haus stürmt und sie erschreckt, doch das war ihm so egal wie der pelzige Arsch eines Lamas.
Als er sich dem Haus nähert, bleibt er geschockt stehen. Das Beunruhigendste ist nicht die fehlende Begrüßung seines Hundes oder die weit offen stehende Haustür, die halb in den Angeln hängt. Auch nicht das nervöse Schnaufen seines Pferdes, sondern die Stille.


Es ist nichts zu hören. Keine Tiere, weder im Wald, noch im Stall, keine Geräusche im Innern des Hauses. Er hört nur seinen eigenen schweren Atem und das leise Klappern von Hufen hinter ihm. Sein Pferd tänzelt nervös umher.


Stockend nähert sich Seth seinem Zuhause. Zu besorgt, zu unerfahren um sich um seine eigene Sicherheit zu sorgen.


Als er schließlich an der Tür ankommt und vorsichtig hinein späht, keucht er entsetzt auf.


Seine Frau liegt auf den Tisch, die nackten Beine weit auseinander gedrückt, der Blick leblos zur Decke gerichtet. Das ganze Zimmer ist verwüstet, sein Hund liegt tot neben der Tür.
Ein schneller Blick zeigt, dass hier geplündert wurde. Doch Seth kann nur fassungslos auf seine Frau starren. Wie in Trance nähert er sich ihr und nimmt sie vorsichtig, wie eine zerbrechliche Puppe, in den Arm. Als er spürt, dass ihr Lebenslicht längst erloschen ist, knicken ihm die Beine weg. Er drückt seine leblose Frau verzweifelt an sich und weint bittere Tränen. Sein Klageschrei hallt über den Hof und bis in den Wald hinein…

Kommentare 2

  • *schnief* Mensch Ayu... der arme Seth.

  • Das ist traurig, zu traurig... Argh ist das traurig :'<