Die scharfe Klinge des Messers kümmerte sich weder um Knochen noch um Haut. Zielsicher durchbohrte sie das Herz, zog sich zurück und wurde wieder in den Muskel hineingestochen, sodass sich der Oberkörper vor Schmerzen krümmte. Die verzweifelten Schreie wurden von dem weichen Federkissen, das klamm von Tränen war, gedämpft und waren auf dem Flur schon nicht mehr zu hören.
Erst vor kurzem war das Zimmer liebevoll eingerichtet worden. Die Möblierung war aus hellen, edlen Hölzern, ein flauschiger, türkiser Teppich lag vor dem großen Himmelbett auf dem Boden und auf der Fensterbank standen, neben einigen echten Blumen, Zweige aus Silber mit Orangenblüten aus Perlen. In diesem wunderschönen Zimmer gab es niemanden den sie belügen konnte, niemanden vor dem sie Haltung bewahren musste und niemanden der die Messer davon abhielt sich in ihr Herz zu stoßen. Jede Geste zwischen den Geschwistern hatte einen Dolch geschärft, der einen tiefen Schnitt in ihrem Herzen hinterließ. Die Lügen die sie in Gedanken wiederholte waren alles, was sie davon abhielt, nicht nach jedem Stich zusammenzubrechen 'Ich habe niemanden verloren' - 'Ich sehne mich nicht nach Vertrautheit' - 'Ich wurde nicht verlassen'. Aber in ihrem Zimmer gab es niemandem dem sie diese Lügen sagen konnte und sie selbst kannte die Wahrheit zu gut.
Schon seit Stunden lag Isadria zusammengekauert auf ihrem Bett und weinte. Mal schluchzte sie laut und musste in das Kissen beißen, um niemanden zu wecken, dann lag sie wieder reglos da und Tränen liefen unaufhaltsam aus ihren Augen. Ihre Lunge fühlte sich an wie rauer Fels und ihre Augen brannten, sie kam kaum noch zu Luft nach einem Tränenanfall und ihr Brustkorb schmerzte. Sie konnte sich an keine Nacht erinnern, in der sie nicht geweint hatte, in der sie nicht Grenth verflucht und wimmernd Layali, Rafael und Armand beschimpft hatte, nur um sich diese gleich darauf mit heiserer Stimme zurück in ihr Leben zu betteln. Besonders schlimm war es in den Nächten die auf Tage folgten, an denen sie sich mit anderen unterhalten hatte. Dann hatte sie gesehen, was sie nie wieder würde haben können und träumte von Armand, der zu schwach wurde, um über ihre wilden Erzählungen vom Tag zu lachen, von Layali, die ihr auf Wiedersehen sagte um wieder Jahre lang weg zu bleiben ohne sich zu melden und von Rafael, der immer seltener zu Hause war und immer weniger sprach.
Und egal was sie machte, sie würde keinen drei bei sich behalten können. Layali war noch nie da gewesen und Armand und Rafael waren tot.
Alles, was ihr blieb, waren schlaflose Nächte.