Wenn du etwas lernst und alles dafür aufopferst, um den Drang, besser zu sein als andere zu stillen, um es denen zu zeigen die nicht daran glauben das deine Mühen jemals von Erfolg gekrönt sind, tust du es dann noch immer für dich? Oder nur noch dafür, es den Anderen beweisen?
Wege
Viele Winter vergingen, in denen die Mädchen heranwuchsen unter der strengen, doch gutmütigen Hand ihrer Mutter und dem beinahe schon verachtenden Blick ihres Vaters. Je älter sie wurden, desto weniger sprach er mit ihnen. Es war, als wäre er nicht anwesend. Ein Schein seiner Selbst, immer in Gedanken und stets darum bemüht, seine Töchter, wie auch sein Weib bloß zu stellen wo es nur ging. Es war schon eine Ironie an sich, dass die Mädchen alles nur erdenkliche taten, um diesem Norn, der nun langsam zu ergrauen begann, zu imponieren. Doch anstatt Anerkennung und wohl verdientem Respekt, erlangten die Mädchen Schläge. 'Seine' Art der Anerkennung. Und Schläge waren doch noch immer besser als Ignoranz, oder? Wenigstens bekamen sie so seine Aufmerksamkeit. Seinen Respekt?
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Búa, die Älteste, war zu einer begnadeten Jägerin und Bogenschützin herangewachsen. Manche sagten, sie könnten den Segen der Schleicherin bei der großen Brünetten ganz deutlich sehen. Anmut und Eleganz lagen in jedem ihrer Schritte - nein - in jeder ihrer Bewegungen. Sie verstand sich darauf, lautlos und verschmolzen mit ihrer Umgebung durch eben diese zu ziehen und mit einer solchen Präzision zu schießen, dass sie immer traf. Bildhübsch war sie außerdem geworden. Wie sollte es auch anders sein? Denn Skjalda, wie auch Nídhôggr hatten ihrer Ältesten nur das Beste mitgegeben. Und Búa erledigte durch eisernes stählen ihres Körpers den Rest. Sie war die einsame Schleicherin, die sich - trotz ihrer markanten Züge und den vielen kleinen Legenden, die sie mit Mitte vierzig geschrieben hatte - nie auf einen Mann einließ.
Henna, so zierlich und klein gewesen in ihrer Kindheit und letzten Endes zu einer wahrlichen Riesin ihres Volkes herangewachsen. Sie schwang den Hammer in der Schmiede und verarbeitete jedes Erz, das ihr unterkam. Immer probierte sie Neues aus, scheiterte auch viele Male und doch wurde sie zu einer Schmiedin, wie man sie selten kennen lernte. Es gab keine Rüstung, die sie nicht geschmiedet bekam. Es gab keinen Norn, dem sie nicht die Platte so anpassen konnte, damit sie sich anfühlte wie eine zweite Haut. Selbst eingefleischte Lederträger brachte sie mit ihrer eigenen Überzeugung und der grandiosen, wie makellosen Arbeit dazu, sich eine Plattenrüstung schmieden zu lassen. Selbst, als ihr in jungen Jahren ein Krieger hübsche Augen machte, hielt sie das nicht von ihrer Arbeit ab. Nein, es war keine Arbeit - es war ihr Leben. Schmieden und schließlich ihre Tochter. Und auch, als sie selbst ihre beiden Enkelkinder in den Armen hielt, war ihr Körper vom Feuer und der Arbeit in der Schmiede gezeichnet. Doch sie liebte ihr Werk.
Schließlich Raija, die sich zu einer vom Kampf gestählten Norn entwickelte. Ob mit den blanken Fäusten oder mit jeder erdenklichen Waffe, alles was ihr in die Finger kam wurde verwendet. Die Jüngste der Sippe scheute keinen einzigen Kampf und dennoch konnte man immer einen gewissen Funken Verstand bei ihrem Tun erahnen. Die Waffe, die sie immer bei sich trug, war ein schlichtes Schwert. Jedoch konnte die Kriegerin mit diesem so gut umgehen, dass selten noch einer aus der nahen Umgebung eine Herausforderung aussprach. Und so war Raija die Erste, die die Rudelhütte verließ, um nach Hoelbrak zu ziehen und dort mit anderen ihres Schlags neue Herausforderungen zu finden. Der Kampf war ihr Leben. Nur in diesem konnte sie sich so lebendig fühlen, wie sie es wollte. Dort war das Leben so, wie es immer zu Hause gewesen war. Dort traf sie auch den, der ihre Lebensweise mit so kleinen Dingen grundsätzlich änderte. Denn auch, wenn sie trotz ihrer Tochter weiter in den Kampf zog, so blieb sie bei Verstand, als es darauf ankam.
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Doch wie so vieles sich ändert, so änderte sich auch Nídhôggr. Denn der, über viele Winter, angestaute Frust bekam Luft, als das erste Enkelkind die Schönheit und Anmut der Zittergipfel erblickte. Der graue Herr, der stets umgeben von seinen Töchtern und seinem Weib war, fühlte sich für Besseres berufen. Macht sollte ihm zu stehen, wie sie sonst keinem zu stand. Kraft und der Respekt eines jeden Norn. Eines jeden Lebewesen auf dieser, ach so verdammten Welt. Und wie an einem - wie üblich - verschneiten Wintermorgen die Sonne die Zittergipfel in funkelnd glänzendes Weiß tauchte, da war der Alte verschwunden.
Jetzt konnten die Frauen endlich so leben, wie sie es wollten...oder?