Verräter sind die, die einsam sterben

„Das hätte wirklich nicht sein müssen.“
Sie sah aus wie aus einem Gemälde entstiegen. Das Inkarnat ihrer Haut hatte einen Einschlag von Karamell. Der wohlmeinende Maler hatte ihre Gestalt in filigranen Linien erfasst, die sie sowohl auf weiche als auch auf harte Weise mit spitzen Zügen equipierte. In ihrem Gesicht ruhten rätselhaft helle Augen, die sich an den Rändern hin ein wenig aufwärts neigten, darunter saßen eine schmale Nase und ein fast gläserner Mund zwischen hohen Wangenknochen, die sich nicht weit in die Breite ausdehnten und sie umso unerforschlicher machten, als sie den Kopf neigte und ein milchfarbener Schleier von Löckchen darüber fiel. Der Mann krümmte sich auf seinem Bett. Er sah sie durch einen Filter aus Tränen und kaltem Schweiß. Seine Augen rollten in nervöser Erregung in ihren Höhlen, stierten umher, und immer wenn sein Blick sie traf, verstärkte sich seine Übelkeit. Seine Eingeweide brannten, alles brannte, der Raum, und mitten darin stand dieses kleine Mädchen in ihrem Kleid aus fluffiger Seide.
„Mein Onkel hat mir dieses Kleid geschenkt. Gefällt es dir?“
Er rollte sich zusammen. Die Krämpfe bogen ihn in alle Richtungen, so ungestüm und von starkem Ausmaß erschütterte ihn das Gift, das sie ihm gegeben hatte. Auf seinem frierenden Leib spürte er ihre Beobachtung, geheimnisvoll und rätselhaft starrte sie ihn an, und alle Traurigkeit, die sie dabei auflegte, konnte nicht die Faszination schmälern, die sein Anblick in ihr auslöste.
„Du hättest meinen Bruder nicht betrügen müssen, Roman. Aber du hast ihn verraten.“
„Bitte..“
Sie lächelte mit der kindlichsten Verzückung über seinen Sprechversuch.
„Ja?“
Er hörte sich etwas Zusammenhangsloses stammeln, bei dem er das Wort 'Freund' benutzte wie einen Kodexbegriff, an den sich sein Leben klammerte.
„Du hast keine Freunde mehr“, antwortete sie ihm fröhlich und unfreundlich. „Niemand mag Verräter.“
Sein Herz schlug wild und zu heftig. In seinem Bauch war ihm, als hätte sie seine Gedärme auf eine Spindel gedreht und kurbele nun, bis ihm Muskeln und Fasern rissen. Ihre Lippen schürzten sich unter wichtiger Überlegung. Dann ließ sie sich neben ihm aufs Bett fallen.
„Du bist ein wahres Ärgernis. Eine Fusion. Das hätte etwas werden können. Aber nein. Das Laken ist vollgeschwitzt.“
Er wand sich. Ihre Stimme. Bei all den Todesqualen hörte er immer wieder ihre Stimme, wie sie sich lind wie ein Frühlingsgesang über sein Ächzen und Stöhnen legte. Sie seufzte.
„Meine Cousins meinen immer, sie müssten den Dreck wegmachen. Ach, wenn sie nur wüssten, wem ich alles hinterher räumen muss.“
„Krrk.“
„Aber ihr Männer seid ja wehleidig. Das muss ich schon einmal sagen. Soviel wie ihr immer tut haltet ihr nicht aus.“
Er ließ den Oberkörper hastig über die Bettkante fallen und übergab sich unter halbgelähmten Zuckungen. Sie saß neben ihm und schaukelte die Beine.
„Und sie müssen sich immer profilieren, wenn sie mal etwas tun, was ihnen nicht zusagt. Was sie nicht alles leisten!“
Sein Atem war schwer und trotzdem flach, als er den Kopf bewegte.
Er sah ihr Gesicht finster werden, als er sich mit einem Handrücken, der genauso gekrümmt war wie er selbst, über seinen Mund wischte und sich dabei ein Tropfen von seinen Fingern löste, der auf ihrem Rock landete. Erst streckte sie die Stiefel in die Luft. Mit dem Schwung, den sie dadurch bekam, erhob sie sich.
„Mach dir keine Sorgen. Es dauert nicht mehr so lange. Jemand holt dich dann ab.“
Schritte durchflogen den Raum. Er hörte, wie die Tür sich schloss und verriegelt wurde.

Kommentare 1

  • Exquisit. Gehobener und dennoch dahinfließender Streibstil.
    Liest sich sehr rund und leichtfüßig, wie die Dame darin. :thumbup: