Bei Ligia

Das war eines der besten Gefühle. Die Hände so tief in weicher, kohlschwarzer Erde vergraben, dass man sie nicht mehr sah, aber im Boden bewegten sich die Finger unter der schwere Decke wie Würmer.
„Du hast es überall“, sagte Helenas Mutter. „Auf den Kleidern und im Gesicht.“
Helena roch den Dreck auf ihrer Wange.
„Schmutzige Arbeit hält den Geist rein“, behauptete sie, indem sie einen Arm streckte und die Schaufel griff, die unter einem Busch Tränendes Herz lag.
„Das kommt auf die schmutzige Arbeit an.“ Ligia Iorga fasste ihre Tochter in einen langen Blick und Helena erwiderte ihn stoisch, da sie ihn bemerkte. Beide wussten, dass sie nicht viel Ähnlichkeit miteinander hatten, weder von außen noch von innen, noch weniger, seitdem Ligia mit Pauls Tod unweigerlich in seltsame Verhaltensmuster gefallen war, das Haar jetzt rot trug und ohne Unterlass davon sprach, ihre Kinder zu verheiraten.
„Wenn man bedenkt“, sagte sie immer wieder, „dass in Eugens Linie durchaus Kinder geboren werden. Ina hat drei bekommen.“
„Und zwei davon sind tot.“ Mit Kraft schob Helena die Schaufel in den nachgebenden Grund. Sie drang wie durch Wasser. „Und Veruca ist außerdem schwanger. Und Leon und Adrian haben Töchter.“
„Und keiner von ihnen ist verheiratet.“ Die Anklage in diesen Worten war nicht zu überhören, sie sprang durch das Gewächshaus wie ein frecher Käfer, bis Helena mit der Schaufel ausholte und danach schlug. „Es wäre genau die richtige Zeit“, fuhr Ligia unbeirrbar fort, wie sie es immer tat, wenn sie in diese Masche verfiel.
„Veruca heiratet.“
„Ich weiß.“ Die Melodie der Anklage wurde nur deutlicher.
„Wir müssen uns was wegen des Eisenhuts überlegen“, lenkte Helena ein, doch ihr Verschleierungsversuch verschlimmerte nur noch, was sie zu vermeiden beabsichtigt hatte.
„Manchmal komme ich hier rein“, fuhr noch immer Ligia fort. Sie hatte jetzt das Gesicht gehoben, die Lippen verzogen in schmerzvoller Bedachtsamkeit, als habe jemand ihr ein schreckliches unsichtbares Gewicht auf die Schultern gelegt und es ihr zur Prüfung gemacht, es still zu tragen. „Stehe zwischen deinen Giften. Es wäre so einfach, denke ich.“
„Mama!“
Ligia drehte das Gesicht. Drei Sekunden bedeckte ein Schleier ihren Blick, dann klärte sich ihr Ausdruck und sie lächelte ihrer schockierten Tochter entgegen.
„Es wäre so schön, wenn Leon eine nette junge Dame fände. Jemanden für die Familie. Oder auch Ilie. Ich habe doch zwei schöne Söhne. Und du solltest dir nicht von diesem Herumtreiber nachstellen lassen.“
„Ich weiß nicht, wovon du sprichst.“
„Der Großgrundbesitzer als Löwenstein. Das wäre eine gute Partie gewesen.“
„Wäre er nicht gewalttätig geworden.“
„Ach! Ja, naja, natürlich.“ Ligias Hände hoben sich bis zur Körpermitte, von wo aus sie wieder hinabfielen und die Arbeit fortführten. „Und doch...“
„Nein, Mama. Da gibt es kein 'und doch'. Lass uns unser Leben nur leben. Wir treffen schon die richtigen Entscheidungen für uns selbst.“
„Natürlich. Aus diesem Grunde bist du auch hier. Weil du richtig entschieden hast, in Shaemoor auf offenem Platz einem Men-“
„Du weißt, warum ich hier bin.“
„Helena, wir wollen alle nur dein Bestes.“
„Ich weiß selbst, was das ist, Mama.“
„Nein, keineswegs. Und zwar in mehrlei Hinsicht nicht. Deshalb bist du eigentlich da, nicht wahr? Einer Mutter kann man nichts vormachen.“
Helena war aufgestanden. Ihre Entrüstung hatte sie, ohne dass sie es gemerkt hatte, zur Tür des Gartenhauses getragen.
„Ich muss nochmal weg.“