Am Küchentisch

„Wo hast du den denn her? Der ist ja uralt! Über hundert Jahre!“
Helenas Augen glänzten, als sie die Weinflasche in den Händen drehte. Adrian nahm sie ihr ab und goss ein. Es standen bereits Gläser mit Kartoffelschnaps und Aleshas Nusslikör auf der Tafel, Helena hatte außerdem miserable angeschwärzte Pasteten gemacht; jetzt hatten sie jeder einen Kristallkelch ziegelroten, von bräunlicher Nuance durchsetzten Weines vor sich.
„Das war ein großzügiges Geschenk eines befreundeten Sammlers“, behauptete Adrian, dabei funkelte er raffiniert zum neuen Hausdiener, einem Schrank namens Vito, der eine Braue siegesgewiss in die Höhe riss und die Lippen spitzte. Helena musterte Adrian verstehend.
„Also dann!“ Sie hob den Kelch. Ein hoheitliches Zeremoniell umgab sie. „Auf dich.“
„Auf die Familie! Magistra, trinkt mit uns!“
An der Wand vor der Treppe stand statuengleich die Magistra Sternensang.
„Ich danke für die Einladung, wohne dem Beisammensein aber bevorzugt ohne Getränk bei.“
Adrian tauschte einen verschmitzten Blick mit Antonia Godart, seinem Mächen für alles, die sich um die Nicht-Trinkgewohnheiten der Serena Sternensang nicht ansatzweise kümmerte. Was sie selbst betraf hatte sie den Likör und den Kartoffelbrand schon geleert. Der Wein gab ihr möglicherweise Rätsel auf. Umtrunk war Umtrunk und es gab nichts was sie fürchtete, dann wiederum war sie derart wertvolle Tropfen nicht gewohnt. Immer wieder spähte sie den Kelch schräg an als misstraue sie ihm in grundlegender Weise.
„Wo ist eigentlich Betty?“, fragte Helena, fragte mehr Toni als Adrian, die es aber auch nicht wusste und nur die Schultern hob, ohne sich aus ihrem Blickduell mit dem alten Wein reißen zu lassen.
„Vito!“ Adrian lehnte sich in seinem Stuhl zurück, dass der auf die Hinterbeine kippte. Mit den Füßen unter dem Tisch eingehakt hielt er das Gleichgewicht. „Bring den Jungs vor der Tür auch einen. Robart und Eduard sollen auch was davon haben!“
„Robart trinkt nicht, Adrian“, wusste Toni, die erst wesentlich kürzer im Haus lebte als er, dafür hatte sie mehr mit dem Fußvolk zu tun.
Der Mann führte die Hand in einem jähen Wisch vom Körper weg.
„Mir egal!“, lachte er.


Vito machte sich gerade daran, sein Glück bei den Hauswachen zu versuchen, als die Tür sich öffnete. Koljas verschwitzte Gestalt stand in der Diele und glotzte blöd.
„Kolja!“ Adrian hatte blendende Laune. „Komm zu uns! Trink mit uns! Genug trainiert für heute:“
„War Hannah da?“
„Was weiß ich? Setz dich her.“
Nikolaj, sich seines stinkenden Zustands bewusst, haderte einen Moment mit sich, bis Helenas zustimmendes Heranwinken seine Überlegungen abschnitt. Er nahm einen Stuhl und trank mit. Auch Ilie war aus Shaemoor gekommen, saß abgegrenzt stierend am Tisch, kommentierte manchen Spruch mit einem gemütlichen „Hehehe“ und schenkte allen nach, wenn nicht Toni es vorher tat.


Vito kam mit drei leeren Gläsern zurück in die Runde, sah zufrieden aus und verschwieg, dass zwei davon an ihn gegangen waren.
„Wo ist Cird?“, fragte Kolja Helena, aber Adrian in seiner überschwänglich behaglichen Laune antwortete.
„Vielleicht ja in irgendeinem Graben. Ich hab gerade einen guten Lauf.“
„Hehehe.“
„Ihr seid überhaupt nicht gewitzt!“
„Schau dir ihr Gesicht an, Ilie.“
„Hehehe. Ach Leni, ist doch nur Spaß.“
„Trink noch einen mit mir!“ Toni schenkte Schnaps nach. Den Wein hatte sie noch nicht angefasst.
„Was ist das denn?“ Kolja hatte die Pasteten entdeckt.
„Du bist auch nicht witzig.“
„Ach von dir sind die?“ Er überwand sich, biss herzhaft in die Mitte des Teigkuchens und überlächelte sein Grauen. „Dhü snn mber gnt.“
„Du musst die Perspektive sehen, die sich damit auftäte, Helena“, fuhr Adrian vollkommen ignorant gegenüber der Empfindlichkeiten seiner Base fort. „Du könntest einen netten Minister heiraten, das wolltest du doch.“
„Heirate du doch einen Minister!“
„Gut, dass unsere Familie so schlagfertig ist.“ Kolja trank den Wein, ohne dessen Wert überhaupt zu bemerken, es war schlicht das nächste Getränk gewesen, mit dem er den Geschmack eines Kohlebeckens aus seinem Mund spülen hatte können.
„Was hast du gegen Cird?“
Adrian drehte sein Gesicht Ilie zu, von dem die Frage gekommen war.
„Generell? Oder aktuell?“ Und ohne auf Spezialisierung zu warten sagte er: „Er ist auf Florean los.“
Ilie schwieg. Nicht aus Schrecken, er hatte lediglich nichts dazu zu sagen.
„Hat er's verdient?“, fragte er dann.
Mit einem Schmunzeln müder Irritation legte Adrian seine Hand flach auf den Tisch.
„Nein. Ilie. Hat er nicht.“
„Und jetzt?“, fragte Ilie wieder.
Wie eine Ikone saß Helena da, aber bei noch so perfekter, bis ins Detail brillierender Haltung konnte sie nicht den verhärteten Ausdruck ihres Unterkiefers abstellen, den ihre aufeinander mahlenden Backenzähne ergaben. Adrian musterte sie offen, aber er sprach mit ihrem Bruder.
„Das sehen wir, falls Florean ihn anzeigt.“
„Weiß Leon davon?“, holte Kolja ein, obwohl sein Hauptinteresse nicht dem Thema galt, sondern dem Apfel, den zu schneiden er begonnen hatte. Er warf trotzdem einen kurzen Blick zu Serena, wie sie in stiller Gravität auf einem Stuhl harrte und nur sprach, wenn sie gefragt wurde. Und gerade war Adrian gefragt.
„Nein. Und das muss er auch nicht. Leute, echt mal, hört auf mir die Laune zu verderben!“ Seine Beschwerde war eine Lüge, seine Stimmung ungetrübt, sein Glas wieder voll und in diesem Moment feierlich erhoben. „Trinkt lieber mit mir. Toni, schenk Vito noch einen aus.“
Kolja biss in einen Apfelschnitz. Dann erst kam die Essenz der Situation bei ihm an.
„Was wird hier eigentlich gefeiert?“
Früher hatte Adrian Nikolaj, weil er ein Rubinstein war und es ihm von seinem Vater so vorgemacht worden war, keines Blickes gewürdigt. Jetzt gehörte dieser ehemals stets abgewandte Blick ihm ungeteilt mit einem Kolorit der Innigkeit.
„Du Depp!“, belustigte er sich. „Du bist Ratsherr.“
„Was ich?“
„Was? Nein, ich! Hab ich du gesagt?“
„Du hast er gesagt“, nickte Helena teilnahmslos ab.
„Was?“ Adrians Lachen färbte sich umso heller, umso kräftiger. „Du doch nicht! Ich hab natürlich von mir gesprochen. Oder wollte.“
„Adya was hast du alles getrunken?“
„Hehehe.“
„Ich wusste ja, dieser Wein ist komisch.“
„Ach, der verträgt einfach nichts.“
Über die Einwürfe seiner Familie hinweg leuchtete Adrians humorvolle Farbgebung.
„Das ist Lenis Kraut“, behauptete er arglos. „Helena was war das?“
„Gut, Adrian, dass du solche Fragen hinterher stellst“ erwiderte seine junge Base ihm zufrieden und blickte ihm aus ihren großen Augen selbstgerecht entgegen. Dann ließ Kolja die Hand mit dem Apfel sinken.
„Aber – warte mal. Du bist Ratsherr? Echt jetzt?“

Kommentare 5

  • Nö, ab jetzt nur noch in Form von Geschichten.

  • Und ob wir das ausspielen müssen!

  • Ja. Haha. Dabei sollte das eigentlich "nur" heißen, dass es eben gewissermaßen direkt aus dem Spiel kommt. Das könnten wir so erlebt haben - da stirbt ja auch nicht ständig wer, so wie du nicht ständig wen umbringst, in deinen Geschichten. Und das macht es irgendwie total "echt" und wie direkt aus dem Rp heraus. Wir müssen das gar nicht länger ausspielen! Du schreibst das einfach.
    Und auch von flüssigerer Hand, als 'den Unseren' im Rollenspiel.
    Dass ich ein Fan deiner Erzählungen bin weißt du, aber jetzt mach ich es halt offiziell!

  • Wie ihr immer in jeder Geschichte extra anmerkt, dass niemand stirbt XD


    Danke <3

  • Die ist richtig schön geworden. Niemand stirbt und das sind halt schon genau unsere Charaktere. Da scheinen die Macken durch. Ach, echt schön.