Kapitel 1 - Gedanken

Trockene Luft weht um ihre Nase, ihre Lippen fühlen sich spröde an und die Schreie zehren an ihrer Stimme. "Tötet den Teragreifen! Bringt ihn zu Fall! ... Vorsicht! Da kommen Steine geflogen!", und nur kurz darauf kracht es ohrenbetäubend als der riesige Felsbrocken gegen die Klippen donnert. Die gewaltigen Hüllen weit hinten im Schlachtfeld greifen erneut in die Erde. 'Verdammt, wir brauchen endlich die Artillerie einsatzbereit. Was brauchen die Techniker denn so lange', schießt es ihr durch den Kopf. Immer wieder haben diese Kreaturen versucht die Wächterkanone am Eingang zu zerstören, die erste Linie ist schon durchbrochen. Ein Rückzug hinter das Tor... damit die Leute sich neu formieren können. "Rückzug! Hinter das Tor!", brüllt sie erneut heiser. Die Streiter hören ihre Worte, doch im Kampf gebunden dauert das viel zu lange. Der Teragreif ist schon fast da. 'Was machen die Magier denn bitteschön?!'... "TÖTET DEN GREIFEN!", brüllt sie nach vorn. Nur noch wenige Meter, dann ist er da. Der Greifen verschränkt seine speerartigen Auswüchse vor sich. Sarah weiß genau was jetzt kommt, er wird vorpreschen und das wars dann mit der Verteidigungsline.
Die Schreie schallen in ihrem Kopf, Männer fliegen durch die Luft. Ihre zerschmetterten Körper rutschen am Felsen hinab. Blut rinnt aus ihren Ohren...die Gesichter verzerrt.


Es ist dunkel als sie die Augen öffnet. Natürlich, hier ist es immer dunkel. Schweißgebadet liegt sie in ihrem Bett, ihr Atem ist hastig. Langsam gewöhnen sich ihre Augen an die Umgebung. Ein sanfter Lichtschimmer kommt vom Kamin auf der anderen Seite des Zimmers. Sie sieht die Wände der Abtei, die Schränke und Regale in ihrem Büro werfen lange Schatten. Ein Fenster gibt es nicht. Die Abtei ist tief in den Berg gebaut.
Ein ruhigen Atem hört sie an ihrem Ohr, nicht weit. Sie wendet ihren Kopf dem Mann in ihrem Bett zu. Sie fühlt seine Nähe, seinen Arm, welchen er sanft über ihren Körper legte als sie nach einer Nacht voller Liebe einschliefen.
Seine Wärme auf ihrer nackten Haut schenkt ihr einen Hauch Geborgenheit. Sie betrachtet den Blondschopf versonnen. Seit dem Einsatz in der Silberwüste ist seine milchkaffeebraune Haut merklich blasser geworden, doch ist er noch weit brauner als sie selbst. Sie wird nie braun, höchstens rot.
'Wie friedlich er schläft...', sie beobachtet ihn dabei und seine Ruhe macht sich in ihrem Gemüt breit. Er hat ihr schon immer viel Ruhe geben, viel Verständnis, viel Liebe. 'Liebe ich ihn? Ich habe es oft gesagt, doch ist es richtig? Ist es das wirklich? Wir kennen uns ein Jahr und ich habe ja gesagt als er mich fragte. Doch war das nicht nur aus... aus der Freude heraus nicht mehr allein sein zu müssen? Kann er mich überhaupt halten?'
Langsam schält sie sich aus seiner Umarmung heraus und schiebt sich vom Bett. Sofort umschlingt die Kälte des Raumes ihren nackten Körper und das warme Bett sieht umso einladender aus. Doch diese Zweifel und Gedanken nagen an der Wärme und fressen sich wie die Kälte des Raumes in ihre Glieder.
Sie beugt sich nochmal hinab und gibt ihrem schlafenden Liebsten einen sanften Kuss auf die Wange. Dann nimmt sie sich ihren Morgenmantel vom Haken und hüllt sich darin ein.


Während das heiße Wasser aus den steinernen Ausläufen der Dusche auf ihre Haut prasselt, verfällt sie wieder in Gedanken. Nirgends kann man besser nachdenken als unter der Dusche. 'Was für ein Luxus wir hier eigentlich haben...', kommt es ihr dabei in den Sinn. Sie streift ihre Haare zurück und streckt das Gesicht in den Wasserstrahl.
'Erst die Suspendierung... weil ich die Nerven verlor. Als Einzige. Vielleicht ist das hier wirklich nicht die Arbeit, die ich noch weiter machen kann. Wenn ich die Einzige bin, die den Krieg nicht mal eben so wegsteckt, dann liegt es an mir, nicht am Krieg, dann bin ich schwach und habe dort nichts mehr zu suchen. Der Urlaub... ich hätte mich entspannen sollen, ich hätte Ruhe finden sollen. Stattdessen hat mir Seth gesagt, dass ich ihn überfordere mit meinem Aktionismus. Zumindest klang es so und er hat auch irgendwie Recht. Aber so bin ich nun mal! Er hat keine Ahnung wie es in mir aussieht. Oder?', sie spürt wie tiefer Zorn in ihr hochsteigt. "So bin ich nun mal!"
Sie schlägt gegen die Rückwand der Duschkabine. Nackter, glatter Fels empfängt ihre Faust, stechender Schmerz zuckt ihr durch den Arm. Erneut schlägt sie zu, dieses Mal mit der anderen Faust, der Schmerz ist ihr egal. Sie presst die Augenlider zusammen.


Staub wirbelt auf und erstickt die Schreie der Verletzten, sie hebt die Hände in die Luft und fühlt den Schmerz in ihren Armen, welche langsam schwer werden. 'Bleibt standhaft!', ihre Gedanken sind bei ihren Leuten vorn, die Leute, welche sie in Tod und Verderben...in die Sieg schickt.
Ihr Zauber, gewirkt und gebunden durch ihre Gefühle, entfesselt sich, eine feste Wand aus Stein schiebt sich aus dem Boden und hält den Feind vor dem Tor. Doch einer kam noch durch.
Ein riesiger Teragreif, sicher 2 Meter hoch, stakst fast direkt auf sie zu. Knirschend bohren sich seine Klauen durch die Panzer der Gefallenen, durch ihre Leiber. Er trampelt auf ihnen herum als wären sie nur wertloser Dreck, Geröll aus Menschen, Nornen und Sylvari, Geröll, der einfach nur im Weg herumliegt. Der Sand rötet sich unter den geschundenen Leibern. Sie fühlt wie ihre Knie weich werden.


Zusammengesunken kniet sie auf den steinernen Fließen während das Wasser unerbittlich und warm auf ihren Rücken prasselt. Abwesend betrachtet sie ihre aufgekratzten Knöchel. Das Wasser schmeckt salzig. Sie blinzelt, es brennt in den Augen.


Die Gänge der Abtei sind leergefegt. Nur in der Küche scheint schon jemand zu sein. 'Der Bäcker wird wohl seiner morgendlichen Arbeit nachgehen.'
Sie greift in ihr Fach und holt die Nachrichten des Tages heraus. 'Ein paar Briefe', geht sie die Nachrichten durch, 'nichts Wichtiges.' Doch verweilt sie bei einem blauen Umschlag, die typischen Nachrichten von der Verwaltung, meist Aufträge.
Die Schrift war, wie üblich, gänzlich emotionslos, nie kann man erraten wer diese Briefe geschrieben hat, nur der Name unten sagt das aus. 'Standartdruck, wie üblich.'


Zitat

Arkanistin Bell.


Nordwestlich in den Schneekuhlenhöhen haben wir ein befestigtes Lager, die Gelehrtenkluft. Historiker Urro bittet um Hilfe bei einem kürzlichen Artefaktfund. Der dort zuständige Gelehrte dafür ist leider kürzlich erkrankt und kann daher diese Arbeit nicht durchführen. Zudem benötigt der Historiker einige Ausrüstungs- und Laborgegenstände, Kleidung und neue Vorräte. Anliegend findet ihr eine Liste der Ausrüstungsgegenstände, welche benötigt werden.
Euer Auftrag ist es, euch umgehend auf den Weg zu machen und die benötigten Gegenstände auszuliefern sowie das Artefakt anschließend zur Abtei zubringen.


Mit freundlichen Grüßen,
Gelehrter Willis
Aus dem Büro des Verwalters


Sarah überprüft die Liste. 'Eine Dolyakladung, gut. Kann ich allein machen.' Sie faltet den Brief wieder zusammen und steckt ihn in den Umschlag. Die Liste steckt sie in eine Tasche ihrer Abteirobe.


Es dauerte fast zwei Stunden um alles zusammenzusuchen und auf einen Dolyak zu laden. Proviant für vier Tage, Lebensmittelrationen für die Gelehrtenkluft, Artefaktkisten in unterschiedlichen Größen, Werkzeug und Seile.
Ein letztes Mal betritt sie leise ihr Büro um ihren Liebsten nicht zu wecken. Sie legt einen Brief auf ihr Kopfkissen, sodass er ihn finden würde. Dazu stellt sie noch ein Tablett mit Frühstück und vor allem mit Kaffee auf den großen Tisch. Sie weiß, dass Seth bei dem Geruch von Kaffee bald aufwachen würde. Einen zärtlichen Kuss gibt sie ihm auf die Wange, ehe sie das Büro verlässt.