Kapitel 2 - Kälte und Wärme

"Verflucht kalt heute morgen.", sie grummelt und hebt den Kopf. Dick eingepackt in Fell und Leder und ein Dolyak an den Zügeln führend, überquert sie die Brücke über die Schlucht. Nun lässt sie die Abtei hinter sich.
Der Weg liegt noch im Schatten der aufgehenden Sonne, die Steine sind vom Frost überzogen, doch nicht glatt. Es hat schon lange nicht mehr getaut, nichts hätte also eine Eisbildung gefördert. Der Wind peitscht eisig durch die Schlucht und erfasst alles und jeden, welcher auch nur in ihre Nähe kommt. Die dicke Kleidung schützt ihren Körper, doch das Gesicht ist der gnadenlosen Kälte fast schutzlos ausgeliefert. Sie hatte sich das Gesicht zuvor mit Bärenfett eingerieben, eine gängige Maßnahme um die Haut vor der Kälte zu schützen, doch heute Morgen war der Wind wirklich grausam und schien sich mit tausenden Nadelstichen durch ihr Fleisch bohren zu wollen.
'Ich muss doch die Maske anlegen.', geht es ihr durch den Kopf. Sie murrte leise für sich, denn das bedeutete die Kapuze abzunehmen.
Mitten auf der Brücke blickte sie knapp nach rechts. Da war der Platz...an dem ihr Liebster ihr den Ring angesteckt hat. Sie fühlt das flaue Gefühl in der Magengegend, welches, gefühlt, bis zum Herzen hochsteigt. Sie vermisst ihn jetzt schon irgendwie.


Am anderen Ende der Brücke ragen zwei Felsen auf, welche ein wenig Windschutz gegen die eisigen Böen aus dem Norden geben würden. Dort stoppt sie das Dolyak und sucht an seinem massigen haarigen Körper etwas Schutz vor dem Wind. Sie nimmt die Kapuze ab. Sogleich zieht der Wind an dem langen roten Haar. Sie geht ein wenig in die Knie um hinter dem Dolyakrücken zu verschwinden. Aus einer Tasche nimmt sie die Maske. Es ist eher ein dickes Mundtuch sowie eine klobige Schutzbrille, doch sie eignet sich hervorragend um im Eisklamm-Sund zu überleben... und dieser Tage wohl auch in Lornars-Pass. Nachdem Sarah die Maske angelegt und die Kapuze wieder aufgesetzt und festgezurrt hat, geht es weiter. Nach Norden, die schmale Passstraße entlang.
Sonst sind hier immer ein paar Grawle. Meistens sind sie friedlich, ab und an allerdings versuchen sie sich an den Reisenden zu bereichern. Meistens aber nur um etwas zum Essen zu haben, die Winter sind hart im Pass.
Bei diesem Wetter trauen sie sich allerdings nicht raus. Sarah war ja selbst ziemlich blöd gewesen jetzt schon loszugehen. Aber sie wollte nicht länger warten, nicht warten bis Seth wach werden würde und sie mit ihm reden müsste. So wirr und zweifelnd ihre Gedanken gerade waren, soviel wir ihr gerade durch den Kopf geht.


Gedankenverloren trottet sie, das Dolyak im Schlepp, den schmalen Pass entlang. "Zieht euch zurück!", schallt es in ihren Ohren. Sie schüttelt den Kopf, vertreibt die Bilder vor ihren Augen. 'Ach Seth...', denkt sie wehmütig an ihren Liebsten zurück. 'Was er jetzt wohl macht? Weiß er überhaupt wie es mir geht? Wie geht es ihm eigentlich? Was, wenn er es auch nur nicht sagt, wenn er auch immer und immer wieder diese Bilder und Schreie erlebt. Darf ich ihn überhaupt damit belasten? Überfordere ich ihn nicht ohnehin schon zu sehr?' Sie seufzt leise als sie ihre Gedanken auf den Ring an ihrem Finger lenkt, wohlige Wärme macht sich in ihr breit und lässt sie kurz etwas lächeln.
'Ach Seth...', er hatte ihr diesen Ring angesteckt. Er sei verzaubert, hatte er ihr gesagt. Wenn sie ihre Gedanken auf ihn konzentriere, könne sie ihn bei sich spüren. Sie hat den Ring dahingehend nie untersucht, doch es scheint zu funktionieren. Ob es wirklich ein Zauber ist oder doch nur ihre Erinnerungen, das ist ihr egal.


Es sind schon Stunden vergangen seit sie aufbrach. 'Zeit für eine Pause.' Sie ist schon ein ganzes Stück weit gekommen. Bis zum Abend würde sie fast am Nordende des Passes sein, wenn sie weiter so gut durchkommt. Dort muss sie sich einen Lagerplatz suchen. Bis zu Korakatts Halle wird sie es wohl nicht mehr schaffen ehe die Nacht hereinbricht. Die Tage sind noch zu kurz zu dieser Jahreszeit.
Vor dem Rivenweg sind einige Felsen, welche einem Schutz vor der Witterung geben können. Ein idealer Platz für eine kurze Rast. Sarah führt das Dolyak dorthin. Hinter einem Felsen stoppt sie dann mit dem Tier. Von der Ladefläche nimmt sie einen kleinen Futtertrog, solche welche man vor das Maul von Lasttieren binden kann. Sie füllt den Trog mit einer Mischung aus Körnern und Heu um ihn dann vor das Maul des Dolyaks zu binden. Mit den behandschuhten Händen streichelt sie durch das dichte buschige Fell des Tieres. "Du hast es doch gut, hm? Musst nur langsam herumlaufen und bekommst dafür dein Futter, du musst nicht frieren und scheinst die Ruhe selbst zu sein.", spricht sie zu dem Zottel während es gemütlich frisst. "Und zum Schlachten bist du auch schon zu alt.", meint sie schmunzelnd. Ihr Lächeln gefriert als die Bilder der Schlacht vor ihren Augen vorbei zucken und zeigen wie Menschen, Nornen, Charr und Sylvari, wie ihre Freunde und Kameraden von den Mordrem...geschlachtet werden.


Langsam schieben sich ihre Hände unter die Plane, welche das Lastengestell des Dolyaks abdeckt, und tasten nach ihrem Gepäck. Sie zieht das Gepäckstück unter der Plane hervor. Eine kalte Hand, grau und staubig, blutgesprenkelt, der Arm, gepackt in der eisernen Rüstung der Wachsamen. Sie schreit entsetzt auf, taumelt zurück und füllt zu Boden. Schockiert starrt sie den Arm an, welcher unter der Plane heraushängt.
Zwei Männer schleppen die Trage über den heißen Sand. Die Leiche mit einem Laken bedeckt, doch rutschte der rechte Arm hervor. Er baumelt da so friedlich vor sich hin, so ruhig und gelassen. Sie wendet den Kopf ab und starrt wieder gegen grauen Fels und weißen Schnee. Ihr Atmen geht schwer. 'Die Maske stört...diese scheiß Maske!', sie setzt die Kapuze ab und zieht die Maske vom Kopf. Eisige Luft flutet ihre Lungen, es drück, es schmerzt. Sie hustet keuchend. Ihr Blick wandert wieder zum Dolyak hinauf, einige Lederriemen baumeln unter der Plane hervor. Mühsam rappelt sie sich auf und schüttelt den Kopf. Sie greift nach den Riemen und zieht ihren Rucksack hervor.


Der Tee ist heiß. Sie wärmt die Hände an dem Blechbecher, es zwickt und kneift, es brennt etwas aber das ist schon in Ordnung. So merkt sie wenigstens, dass sie noch lebt. 'Verdammt, was soll das? Natürlich lebe ich noch! Was für ein Leben... ich bin bescheuert, ich halluziniere schon. Wieso jetzt und hier?', schießt es ihr durch den Kopf. Die letzten Tage und Wochen waren voll mit Ablenkung gewesen. Keine Zeit Gedanken zu fassen, keine Zeit. 'Ich habe versucht Seth eine tolle Verlobte zu sein...', sie schüttelt den Kopf. "Quatsch, du hast nur versucht dich selbst abzulenken. Das geht nun mal nicht ewig, das hast du selbst immer zu Ayu gesagt.", mault sie sich selbst murmelnd an.
'Nun hast du es also. Mitten im Nirgendwo, ein Dolyak dein Begleiter und deine eigenen Sinne spielen dir Streiche.', "Du musst das Erlebte aufarbeiten.", 'Leichter gesagt als getan.'
"Ich könnte... ausrasten!", murmelt sie leise in ihren Teebecher und sinkt etwas zusammen. An den Felsen gelehnt, den magisch erwärmten Tee in den Händen, hockt sie regungslos, ihre Augen fühlen sich wässrig an. Sie spürt Wut in sich, ungezügelte Wut und maßlose Trauer und doch keine Ahnung, was sie damit anfangen soll.